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Seeschifffahrt: Deshalb gibt es kein Tempolimit auf dem Meer


Seeschifffahrt
Deshalb gibt es kein Tempolimit auf dem Meer


Aktualisiert am 06.09.2021Lesedauer: 5 Min.
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Containerschiff verlässt den Hafen von Maputo in Mosambik (Symbolbild): Viele Frachtschiffe laufen noch mit Schweröl oder Schiffsdiesel.Vergrößern des Bildes
Containerschiff verlässt den Hafen von Maputo in Mosambik (Symbolbild): Viele Frachtschiffe laufen noch mit Schweröl oder Schiffsdiesel. (Quelle: Westend61/imago-images-bilder)

Wer langsamer fährt, spart Sprit, Geld und Abgase. Eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung gefällt trotzdem nicht allen. Auch nicht auf hoher See.

Für den sechsten Platz gibt es keine Medaille. Erst recht nicht in dieser Rangliste: Wäre der internationale Schiffsverkehr ein Land, stünde er als einer der größten Verursacher von Treibhausgasen an sechster Stelle im globalen Ranking. Knapp hinter Japan und noch vor Deutschland. Denn was bei Öltankern, Containerschiffen und Massengutfrachtern aus den Schornsteinen kommt, ist alles andere als sauber.

Der Grund steckt in den Motoren: meist laufen diese immer noch mit Schweröl oder Schiffsdiesel. Was davon übrig bleibt, wird in dicken Rauchwolken in die Luft geblasen: große Mengen an Stickstoff- und Schwefeloxiden, Ruß und ultrafeine Staubpartikel. Diese Schadstoffe können nicht nur zu schweren Lungenschäden und Herz-Kreislauf-Problemen führen, sondern belasten auch Böden, Gewässer und vor allem das Klima. Bei rund 90.000 Schiffen, die jedes Jahr weltweit unterwegs sind, kommt einiges an Treibhausgasen zusammen.

Kein Welthandel ohne den Seetransport

Knapp 3 Prozent aller klimaschädlichen Emissionen weltweit werden aus Schiffsschloten geblasen, so die Berechnung der UN-Seeschifffahrtsorganisation. In Europa gehen rund 14 Prozent aller Verkehrsemissionen auf Schiffe zurück. Das zeigen die jüngsten Zahlen der EU; Tendenz steigend.

Denn egal ob es chinesische Waschmaschinen, saudisches Öl, deutsche Autos oder Computerteile aus Indien sind, die um die Welt reisen: Fast alles kommt in riesigen Frachtern über den Seeweg. Die Branche gilt vielen deshalb als Klimasünder.

"Dafür, dass Schiffe 90 Prozent aller Waren weltweit und drei Viertel des europäischen Außenhandels transportieren, ist ihr Umwelt-Fußabdruck vergleichsweise klein", findet hingegen Christian Denso vom Verband Deutscher Reeder (VDR). Außerdem habe man in den vergangenen Jahrzehnten schon viel getan, um "noch umweltfreundlicher" zu werden. Beispielsweise das Tempo gedrosselt.

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Weniger Emissionen durch weniger Knoten

"Schiffe fahren viel langsamer als noch vor zehn Jahren", sagt Reeder-Vertreter Denso. Neuere Schiffsmotoren seien sogar für geringere Geschwindigkeiten optimiert. Auch Kreuzfahrtunternehmen wie Aida und Tui Cruises geben an, langsamer unterwegs zu sein als möglich wäre. "Slow steaming" heißt diese bewusste Temporeduzierung.

Der Ansatz ist attraktiv: Die Schiffe verbrauchen weniger Treibstoff und produzieren dadurch weniger klimaschädliche Abgase. Gleichzeitig entsteht auch weniger gesundheitsgefährdender Feinstaub, die Wahrscheinlichkeit tödlicher Kollisionen mit Walen sinkt und der Geräuschpegel unter Wasser geht zurück. Bisher ist es den Reedern und Charterunternehmen aber selbst überlassen, ob und wie stark sie die Geschwindigkeiten ihrer Flotten drosseln.

Freiwilligkeit oder Gesetz

Ein Blick auf die Zahlen der UN-Seeschifffahrts-Organisation zeigt, wie weit Theorie und Praxis deshalb auseinanderklaffen. Zwischen 2012 und 2018 änderte sich am Durchschnittstempo von Frachtschiffen kaum etwas – ein Trend hin zu merklich langsameren Fahrten lässt sich nicht erkennen. Die emissionsstärksten Frachtschifftypen schafften es nicht einmal auf eine Geschwindigkeitsminderung von 10 Prozent.

"Tempo runter", fordert daher Nicolas Entrup von der Meeresschutzorganisation Ocean Care und meint damit verbindliche Geschwindigkeitsbegrenzungen auf hoher See. Denn die Zeit wird knapp, um das Klimaziel der Branche noch zu erreichen: Bis 2050 wollen die Schifffahrtsnationen der Erde den Treibhausgasausstoß der globalen Flotte halbieren. Bisher steigt dieser aber immer noch massiv an. Viele Reeder sehen neue Technologien als Antwort auf das Klimaproblem ihrer Flotten; doch es hakt bei der Umsetzung.

"Es kursieren diverse Modelle zu Maßnahmen in der Schifffahrt, um die Klimaziele zu erreichen: von effizienteren Motoren und Propellern über effizienteres Schiffsdesign bis zum Einsatz erneuerbarer Energien und alternativer Kraftstoffe", sagt Meeresschützer Entrup. "Aktuell ist jedoch keine dieser Technologien flächendeckend für große Handelsschiffe einsetzbar." Bis dahin werde es noch Jahre brauchen; Zeit, die angesichts des fortschreitenden Klimawandels knapp wird.

Ocean Care, WWF, Greenpeace und zahlreiche andere NGOs sehen in einem verbindlichen Tempolimit für den globalen Schiffsverkehr deshalb eine einfache und günstige Sofortlösung. Selbst die französische Regierung setzte sich bereits für eine Geschwindigkeitsbremse von ganz oben ein. Die Idee stößt aber nicht überall auf Begeisterung.

Klimaregeln für den Schiffsverkehr: Im Jahr 2015 unterzeichneten nahezu alle Länder der Erde das Pariser Klimaabkommen. Das Ziel: alles dafür zu tun, damit die globale Erderwärmung möglichst bei 1,5 Grad Celsius und spätestens bei 2 Grad Celsius gestoppt wird. Doch weder der Schiffs- noch der Flugverkehr spielen im Pariser Abkommen eine Rolle – als internationale Branchen passten sie nicht in das Raster, das auf nationale Klimapläne ausgerichtet ist. Die Lücke für den Schiffsverkehr füllt seit 2018 eine internationale Vereinbarung der UN-Seeschifffahrts-Organisation: Bis zum Jahr 2050 wollen Regierungen und Schifffahrtsunternehmen die Emissionen der Branche im Vergleich zu 2008 halbieren.

Kritik am Tempolimit

Beim Verband Deutscher Reeder ist man skeptisch. "Jede Geschwindigkeitsminderung bedeutet, dass es im Endeffekt mehr Schiffe braucht, um die vorhandene Ladung zu transportieren", sagt Christian Denso. "Die zusätzlichen Schiffe würden dann ebenfalls Schadstoffe und Klimagase emittieren und die absolute Menge der Emissionen so eher steigen." Auch internationale Branchenverbände wie Intercargo kritisieren den Vorstoß aus diesem Grund. Doch die pauschale Absage ans "Slow Steaming" lässt Transportexperte Jasper Faber von der Forschungsagentur CE Delft nicht gelten.

Es komme darauf an, eine Maximalgeschwindigkeit auf dem richtigen Niveau festzulegen. "Reduziert man das Tempo zu schnell oder lässt es zu stark abfallen, käme es zu einer Verknappung der Transportvolumen", so Jasper im Branchenmagazin "Ship Technology". Daher wehren sich nicht alle Schiffsbesitzer gegen ein mögliches Tempolimit.

Im Gegenteil: 120 Reedereien haben sich bereits mit der Forderung nach einem Tempolimit an die UN gewandt, darunter auch zahlreiche deutsche Unternehmen wie Atlantic Lloyd, Alexander Oetker Schifffahrt und die Nordic Hamburg Shipmanagement GmbH. "Das funktioniert natürlich nur, wenn alle mitziehen. Kein Reeder wird einen Wettbewerbsnachteil in Kauf nehmen", erklärt Experte Entrup. Nur eine internationale Entscheidung komme deshalb in Frage. Aber die zuständige UN-Behörde ziert sich.

Zögern ganz oben

In London, bei der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation, kümmert man sich seit einigen Jahren dezidiert um die Klimawirkung der Branche. Das Klimaziel steht seit 2018, die erste Resolution zum Thema ebenfalls: In einem Strategiepapier hält die Organisation seitdem fest, wie man die Emissionen kurz-, mittel- und langfristig senken könnte. Das Tempolimit hat es als Idee zwar ins Dokument geschafft. Viel weiter ist der Vorschlag aber noch nicht gekommen; zu groß die Gegenwehr der Reeder, Charterunternehmen und einiger Staaten, die weite Strecken zu ihren Exportmärkten zurücklegen müssen.

Dass eine globale Temporeduzierung dem Klima guttun kann, ist dennoch unumstritten. Die Folgejahre der Finanzkrise 2007 haben es bewiesen. Angesichts der mauen Nachfrage nach Konsumgütern schalteten viele Charterer einige Gänge runter, verlangsamten ihre Flotten und sparten dadurch nicht nur Geld und Treibstoff, sondern auch Emissionen. Und zwar massiv. Mit der wirtschaftlichen Erholung nahm die globale Nachfrage nach Sofas, Computern und vielen anderen Gütern wieder zu – die Geschwindigkeiten auf den Weltmeeren ebenso. Die Corona-Pandemie dürfte diesen Trend weiter verstärken.

"Jetzt ist der Moment des Handelns", beharrt Nicolas Entrup deshalb. Er hofft auf ein globales Tempolimit, ausgesprochen von der UN, so bald wie möglich. Dort liegt aber womöglich die größte Hürde. Bisherige Erfahrungen mit der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation zeigen, so die Verkehrsforscher aus Delft, dass politische Vorgaben auf dieser Ebene ihre Zeit brauchen. Genauer gesagt, zwischen fünf und 15 Jahren.

Verwendete Quellen
  • Anfrage an Christian Denso, Leiter der Kommunikation, Verband Deutscher Reeder
  • Anfrage an AIDA
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