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Frauen zwischen Kindern und Altenpflege: "Ich fühle mich nur noch als Versorgungsmaschine"


Kinder betreuen und Eltern pflegen
"Ich fühle mich nur noch als Versorgungsmaschine"

Von t-online
20.09.2013Lesedauer: 4 Min.
Frauen zwischen Arbeit, Kindern und Pflege der Eltern. Eine Szene aus der Reportage "Weil wir die Töchter sind" in der Reihe "Menschen hautnah".Vergrößern des BildesFrauen zwischen Arbeit, Kindern und Pflege der Eltern. Eine Szene aus der Reportage "Weil wir die Töchter sind" in der Reihe "Menschen hautnah". (Quelle: WDR)
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Die Doppelbelastung von Frauen weicht zunehmend einer Dreifachbelastung: Kinder versorgen und erziehen, arbeiten gehen - und die Eltern oder Schwiegereltern pflegen. Man nennt sie die "Sandwich-Generation", aber der Begriff ist viel zu soft. Passender wäre "Schraubstock-Generation", denn auf den Betroffenen lastet ein enormer Druck. Ein Satz aus der gestrigen Folge der WDR-Reihe "Menschen hautnah" ist charakteristisch: "Ich fühle mich nur noch als Versorgungsmaschine."

Der TV-Beitrag mit dem Titel "Weil wir die Töchter sind" schildert zwei Fälle. Christine ist Mutter zweier Kinder und voll berufstätig. Als ihr Vater durch einen Schlaganfall zum Pflegefall wird, nimmt sie ihn bei sich auf. "Ich dachte, dann gehen wir mit Papa im Rollstuhl spazieren, er kommt mit in unseren Schrebergarten und wir machen zusammen mit den Kindern Musik - ich hab mir alles so vorgestellt, wie es jetzt natürlich nicht ist." Nun fordern nicht nur die Kinder Zuwendung, sondern auch der Vater. Die Pflege bringt die zierliche Frau körperlich an die Grenzen, die damit verbundene Bürokratie kostet Zeit und Nerven.

Den Vater ins Altersheim zu bringen, haben Christine und ihr Mann ausgeschlossen. Stattdessen sind alle in der Wohnung enger zusammengerückt, um ein Zimmer für ihn frei zu machen. Er soll Familienleben um sich haben. Die Enkel müssen sich zwar nun Mamas knappe Zeit mit ihm teilen - aber "seitdem ist immer was los bei uns und immer ist jemand da. Früher hatte ich oft Angst, wenn ich im Dunkeln alleine im Zimmer war. Jetzt nicht mehr", erzählt Christines kleine Tochter.

Vater gestorben, Mann ausgezogen, Mutter dement

Verena hat vor neun Jahren nach dem Tod ihres Vaters die Mutter bei sich aufgenommen als ihre Kinder vier und sieben Jahre alt waren. Die Mutter wurde zunehmend pflegebedürftig und entwickelte eine Demenz. Erschwerend kommt hinzu, dass Verenas Ehemann die Familie verlassen hat und die Geschäftsfrau seither mit der Betreuung von Mutter und Kindern, mit ihren Sorgen und der beruflichen Belastung als Geschäftsfrau allein dasteht. Wie alle Frauen in dieser Situation spürt sie das schlechte Gewissen, es niemals allen Recht machen zu können. Von Verena stammt der selbstironische Vergleich mit der "Versorgungsmaschine."

Sie befürchtete von Anfang an, wegen der Pflege der Mutter die Kinder zu vernachlässigen. Verenas heute 13-jährige Tochter sagt "Mama war oft mehr bei Oma als bei mir. Da war ich schon ein bisschen neidisch." Der 16-jährige Sohn packt tüchtig mit an und hat schon viele "krasse Situationen" mit der demenzkranken Oma erlebt. Nur vorsichtig deuten die Kinder an, wie belastend das Zusammenleben mit einem pflegebedürftigen, hilflosen Menschen sein kann.

Nach schweren Jahren ist für Verena die Belastungsgrenze erreicht. Zwar kommen täglich zwei verschiedene Pflegedienste für die medizinische Versorgung, doch deren Zeit ist knapp und immer wieder gibt es Probleme. Verena ist an einem Punkt angelangt, an dem sie die Notbremse ziehen muss, "sonst geht man dabei drauf." Sie sucht für ihre Mutter eine Tagespflegeeinrichtung, um ein paar Stunden Freiraum für sich, die Kinder und ihren Beruf zu bekommen.

Wenn die Belastung zu groß wird

Pflegende Angehörige sollten sich Hilfe von außen holen, wenn alles zu viel wird. Psychologische Unterstützung finden sie zum Beispiel bei www.pflegen-und-leben.de, einer kostenlosen Online-Beratung, die dem Paritätischen Wohlfahrtsverband angeschlossen ist. Auf der Seite finden Pflegende auch einen Selbsttest, mit dem sie ihre Belastungsgrenze ausloten können.

"Pflegende Angehörige haben generell die Tendenz, sich selbst zurückzustellen. Wir schauen im Einzelfall, was der Pflegende braucht, um auf sich selbst zu achten und auch gut für die pflegebedürftige Person sorgen zu können," erklärt Imke Wolf, Psychologin und Projektleiterin bei pflegen-und-leben.de.

Bei diesem Beratungsangebot stehen die Bedürfnisse der Pflegenden im Mittelpunkt. Über ein geschütztes Postfach können sie mit einem Team von Psychologen in Kontakt treten, konkrete Probleme schildern oder sich einfach den Kummer von der Seele schreiben. Bei Bedarf erstreckt sich der Austausch mit den Ratsuchenden über einen längeren Zeitraum bis zu drei Monaten.

Hier finden pflegende Angehörige Rat und Hilfe

Weitere Anlaufstellen bei drängenden Problemen sind Krisentelefone und Beschwerdestellen für pflegende Angehörige. In vielen Orten gibt es Selbsthilfegruppen und im Internet Foren für den Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen. Auch Kirchengemeinden und karitative Einrichtungen können oft weiterhelfen. Das Netzwerk "Pflegebegleitung" bündelt örtliche Hilfsangebote freiwilliger Pflegebegleiter. Für die Interessen pflegender Angehöriger engagiert sich unter anderem der Verein "Wir pflegen".

Für organisatorische und medizinische Fragen rund um Pflegeleistungen, Pflegedienste, Kostenerstattung für Hilfsmittel oder medizinische Beratung sind die Pflegekassen zuständig. Neutrale Ansprechpartner finden pflegende Angehörige bei den unabhängigen örtlichen Pflegestützpunkten, die bundesweit eingerichtet worden sind.

Kinder und Eltern versorgen - das ist immer noch Frauensache

"Weil wir Töchter sind" - der Titel des TV-Beitrags transportiert die Rollen-Realität: Pflege von Kindern und Alten ist immer noch Frauensache. Dass beide Aufgaben immer häufiger zusammenfallen, ist ein demografisches Problem, denn in Deutschland steigt das Durchschnittsalter von Frauen bei der Geburt des ersten Kindes. Schon jedes vierte Neugeborene hat eine Mutter über 35.

Windeln wechseln beim Baby und bei der demenzkranken Mutter - das ist eher der Ausnahmefall. Aber dass noch schulpflichtige Kinder im Haus sind, wenn Vater oder Mutter beispielsweise nach einem Schlaganfall bei der Familie aufgenommen werden, kommt häufig vor. "Im Durchschnitt sind pflegende Angehörige 55 Jahre alt. 80 Prozent der Betroffenen, die bei uns Rat suchen, sind Frauen. Wenn dann die Pflege, Pubertät der Kinder, eigene Berufstätigkeit und womöglich noch Wechseljahresbeschwerden zusammenkommen, kann das zur großen Herausforderung werden. Diese Situation fordert enorme Kraftreserven," weiß Psychologin Wolf.

Grenzen setzen und sich Auszeiten nehmen

"Pflegende Angehörige brauchen Wertschätzung und Anerkennung. Es ist wichtig, ihnen zu sagen, was für einen wahnsinnig tollen Job sie machen." Ganz wichtig sei es auch, sich Auszeiten zu schaffen und zu gönnen - sei es nur eine Pause im Café oder ein Treffen mit Freundinnen. Hilfreich ist es auch, sich bei der Betreuung von Angehörigen über gewisse Grenzen zu einigen. Christine hat sich vorbehalten, die Intimpflege bei ihrem Vater dem Pflegedienst zu überlassen. Und sie hat klare Prioritäten gesetzt: "Wenn ich gerade mit den Kindern esse, muss Vater so lange warten."

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