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Borderline-Syndrom: Laura verletzt sich, seit sie ein Kind ist


"Ich war ein perfektes Opfer"
Laura Adrian (22) lebt seit ihrer Kindheit mit dem Borderline-Syndrom

t-online, Nicola Wilbrand-Donzelli

06.01.2015Lesedauer: 5 Min.
Laura hat schon als Kind bemerkt, dass sie anders war als andere.Vergrößern des BildesLaura hat schon als Kind bemerkt, dass sie anders war als andere. (Quelle: privat)
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Borderline-Patienten reagieren meist deutlich intensiver als andere Menschen auf äußere und innere Reize, sind sehr impulsiv, empfinden häufig Wut, aber auch Leere. Sie können nur schwer ihre Stimmungsschwankungen kontrollieren. Eine qualvolle Achterbahn der Gefühle, die nicht selten in selbst verletzenden Handlungen endet. Auch die 22-jährige Laura Adrian kennt seit über zehn Jahren diese extreme emotionale Gratwanderung. Doch mittlerweile hat die junge Frau gelernt, Borderline die Stirn zu bieten. Hier erzählt sie von ihrem Leidensweg.

Laut Schätzungen leiden etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung an der psychischen Störung, der überwiegende Teil heranwachsende Mädchen und junge Frauen. Das Borderline-Syndrom zeigt sich durch unterschiedlichste Symptome und kann erst mit der Volljährigkeit endgültig diagnostiziert werden.

Unbändiger Zorn, der einen nicht loslässt

Schon als junges Mädchen hatte sie bemerkt, dass sie anders war als andere. "Diese Veranlagung trug ich offenbar schon in mir", erinnert sich Laura im Gespräch mit t-online.de. "Ich hatte nicht nur ein großes Misstrauen gegen Fremde und alles Unbekannte. Ich war auch getrieben von einem extremen Perfektionsstreben. Dinge nur gut zu machen, reichte mir nicht. Wenn etwas nicht klappte, habe ich schnell angefangen zu heulen und herumzuschreien, hatte dabei eine große Wut, die ich nicht los wurde."

Dieses Gefühl kochte ebenfalls hoch, wenn Laura mit den Hausaufgaben nicht zurechtkam. Dabei passierte es auch zum ersten Mal, dass sie sich voller Zorn und Aggression selbst verletzte: "Wie aus einem Reflex heraus habe ich mir plötzlich einen spitzen Gegenstand fest über den Arm gezogen. Damals war ich sehr schockiert. Es ist nämlich wie von alleine passiert. Doch es war nur ein roter Streifen, hatte noch nicht geblutet. Aber es half mir in diesem Moment."

Mobbing und Angriffe in der Schule

Auch in der Schule bekam Laura zu spüren, dass sie sich von ihren Mitschülern unterschied. Sie wurde schon in der Grundschule gemobbt und ausgeschlossen, fühle sich als Außenseiterin. In dieser Zeit sei wohl schon die Sehnsucht entstanden, so Laura , einfach verschwinden zu können, sich in Luft aufzulösen, um so der "Hölle namens Leben" zu entfliehen, wo sie sich wertlos und vollkommen fehl am Platz fühlte, wie sie in ihrem Facebook-Blog "Diagnose-Borderline-Ich-will-trotzdem-leben" schreibt.

Später auf der Realschule sei es noch schlimmer geworden. "Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich einen Stempel mit der Aufschrift 'Opfer' auf der Stirn hätte. Ich war so etwas wie ein Antistressball für die gesamten Schüler meiner Altersstufe. Ich war ein perfektes Opfer. Nie habe ich zurückgeschlagen oder bin zu einem Lehrer gerannt und habe irgendjemanden verpetzt. Ich schwieg immer."

Traumatische Erlebnisse verstärkten die Symptome

Unerträglich wurden Lauras seelische Nöte, als sie als 13-Jährige über längere Zeit sexuell missbraucht wurde, sich aber niemanden anvertraute und die traumatischen Erlebnisse dermaßen verdrängte, dass sie sich zunächst an nichts mehr erinnerte. Die Borderline-Störung wurde so wie durch einen Impuls angefeuert und die Selbstverletzungen wurden schwerwiegender. Laura fügte sich nun mit Scheren, Glasscherben und schließlich Rasierklingen immer tiefere Wunden zu, die genäht werden mussten. Heute ist ihr Körper übersät mit tiefen Narben, auf die die meisten Außenstehenden geschockt und ablehnend reagieren.

"In dem Moment, wo man sich schneidet, tut es nicht weh", beschreibt die junge Frau die Situation, die sie so oft durchlebte. "Der Schmerz kommt erst danach. Aber man hat, um Erleichterung zu spüren, dennoch den Drang es zu tun, weil man sich in seinem Körper gefangen fühlt und dann in eine andere Welt abdriftet. Gleichzeitig ist einem aber auch bewusst, dass man da gerade großen Mist baut. Das verstärkt dann wieder die Aggressionen - ein echter Teufelskreis."

Erleichterung durch selbstzerstörerisches Verhalten

Hinzu kamen schließlich noch Suizidversuche und eine schwere Essstörung. Laura litt an Magersucht und Bulimie, wog am Schluss nur noch lebensbedrohliche 35 Kilogramm. "Das Verlangen, sich selbst zu spüren und den unerträglichen Druck loszuwerden, ist vergleichbar mit einem prall aufgepumpten Reifen", erklärt Laura. "Normalerweise gibt es dann ein Ventil für die Luft. Das hat ein 'Bordi' wie ich nicht. Mir fehlte immer die Fähigkeit, innere Abspannung, Aggression oder Trauer genauso wie euphorische Gefühle zu zeigen und rauszulassen. Dann verletzte ich mich selbst. Das holte mich zurück und ich wusste dann: Ich lebe und ich bin noch hier."

In ihrem Blog beschreibt Laura ihr Leben mit Borderline als einen außer Kontrolle geratenen Zug, bei dem die Notbremse defekt ist: "Es ist wie sterben und trotzdem weiter leben, aufgeben und gleichzeitig weiter kämpfen - ein Leben voller Gegensätze. Meine Gefühle widersprechen sich ständig." Manchmal empfinde sie aber auch gar nichts, außer endloser kalter Leere, so Laura. Dann komme sie sich vor wie in einem irrealen Film, in dem sie zwar mitspiele, sich aber gleichzeitig wie von außen betrachte - so lange, bis sie ohne Vorwarnung wieder von hunderten Emotionen überrollt werde.

"Ich habe meinen Alltag mittlerweile gut im Griff"

Professionelle psychologische Unterstützung bekam Laura zum ersten Mal mit 13 Jahren, als sich die Symptome der Persönlichkeitsstörung immer deutlicher zeigten und sich nach dem Missbrauch sowie nach einem Reitunfall intensivierten. Es folgten zahlreiche Therapien. Insgesamt wurde sie über zwei Jahre stationär in psychiatrischen Kliniken behandelt. Zudem wohnte Laura dreieinhalb Jahre in einer betreuten Wohngruppe, nachdem es zu Hause ebenfalls schwierig geworden war.

Heute weiß die junge Frau mit Borderline umzugehen und die Krankheit, die seit ihrer Kindheit ihr Leben zu einer Gratwanderung zwischen emotionalen Abgründen macht, einigermaßen zu kontrollieren. Doch sie wird weiterhin konsequent daran arbeiten müssen. Seit über anderthalb Jahren hat sie sich nun schon nicht mehr selbst verletzt. Das schafft sie, indem sie zum Beispiel bestimmte antrainierte "Skills" - wie etwa Chilischoten zu essen oder Igelbälle über die Arme und Beine rollen zu lassen - anwendet, um so aufkommende Aggressionen abzubauen.

"Ich habe meinen Alltag mittlerweile gut im Griff, habe geschafft, mich da raus zu kämpfen." Laura macht gerade an einer sozialpädagogischen Schule eine Ausbildung zur Sozialassistentin, will anschließend ihr Fachabitur schaffen und dann am liebsten Journalistin werden.

Mut machen und Vorurteile bekämpfen

Auch ihr Blog hilft Laura, die Krankheit in Schach zu halten. Hier erzählt sie nicht nur detailliert über ihr Leben als "Bordi", sondern klärt auch mit viel Hintergrundwissen offensiv über die Persönlichkeitsstörung auf. Das soll auch anderen Betroffenen Mut machen und ihnen Zuversicht geben. Sie will mit Vorurteilen, die ihr seit Jahren begegnen, gründlich aufräumen: "Menschen reagieren oftmals mit Ablehnung und Stigmatisierung auf Borderliner. Ich will mit dem, was ich schreibe, deutlich machen, dass wir keine unberechenbaren Monster sind. Ich bin auch ein Mensch, dessen Gefühle man verletzen kann, wenn man ihn einfach in eine Schublade steckt, ihn vorverurteilt und ihm so keine Chance mehr gibt."

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