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Schulnoten ab der 3. Klasse: Warum diese Forderung "großer Quatsch" ist


Debatte um Schulnoten
Diese Forderung ist großer Quatsch

MeinungVon Bob Blume

15.10.2023Lesedauer: 4 Min.
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Schulnoten auf einem Zeugnis: Die FDP will davon mehr – Unsinn, sagt unser Kolumnist Bob Blume. (Quelle: Tobias Machhaus via www.imago-images.de/imago)

Wir sind in der größten Bildungskatastrophe seit Jahrzehnten – und die Bildungsministerin will über Noten ab der dritten Klasse reden. Eine blödsinnige Nebelkerze.

Welche Note gibt man eigentlich einer Partei, die ständig an ihren selbst formulierten Ansprüchen scheitert? Also ganz konkret: Welche Note müsste man einer Partei wie der FDP geben, die noch vor einigen Jahren großspurig Wahlkampf machte mit den Worten: "Digital first, Bedenken second." Und die laut einem Bericht der "FAZ" vorhat, das Budget für die dringend benötigte Digitalisierung von Verwaltungsleistungen von 377 Millionen Euro in diesem Jahr auf 3,3 Millionen Euro im kommenden zu kürzen. Wahrscheinlich ungenügend, nicht wahr?

Die FDP selbst würde sich vielleicht rausreden und erklären, warum sie ihre Prioritäten verschoben hat – und überhaupt, was sagt schon eine Zahl, man muss das große Ganze sehen. Falls sie das sagen würde, hätte sie übrigens recht. Wissenschaftler haben längst festgestellt, dass "Noten [...] nicht in der behaupteten Weise für das Lernen nützlich" seien und nötig erst recht nicht. Warum das alles relevant ist?

Weil die Bundesbildungsministerin und FDP-Vizechefin Bettina Stark-Watzinger auf der Plattform X (vormals Twitter) verkündet, warum die FDP Noten ab der 3. Klasse will.

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Das ist auf so vielen Ebenen Quatsch, dass man glatt eine eigene Quatsch-Skala daraus erstellen kann. Zunächst einmal gibt es in vielen Ländern schon längst Noten ab der 3. Klasse, was die Frage zulässt, weshalb die Bundesbildungsministerin etwas fordert, das schon längst Realität ist. Das reicht für mindestens drei Clowns auf der Quatsch-Skala.

Die Aussagen der Bildungsministerin sind auf vielen Ebenen Quatsch

Die Behauptung, dass diejenigen, die Schulnoten abschaffen wollen, Leistungsanreize wegnehmen, dürfte glatte sieben Clowns auf der Skala ergeben. Liebe Frau Stark-Watzinger – als Forschungs- und Bildungsministerin ist es vermutlich zu viel verlangt, sich mit Forschung und Bildung auch auseinanderzusetzen. Lassen Sie mich hier kurz helfen: In der "Selbstbestimmungstheorie der Motivation" machen die Autoren Edward Deci und Richard Ryan deutlich, dass das Gegenteil der Fall ist: Extrinsische Motivation, also Motivation von außen – zum Beispiel durch Noten – verhindert die intrinsische. Man könnte auch etwas lapidar sagen: Noten verhindern Lernen.

(Quelle: Thomas Clemens)

Bob Blume

Bob Blume ist Lehrer, Blogger, Podcaster und Aktivist. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. In seiner Kolumne für t-online kommentiert er aktuelle Bildungsthemen mit spitzer Feder und Rotstift im Anschlag. Man findet Blume auf Twitter und auf Instagram, wo ihm über 100.000 Menschen folgen. Sein Buch "10 Dinge, die ich an der Schule hasse" ist überall erhältlich.

Deutlich weiter oben, sagen wir bei 34,5 Clowns, liegt der behauptete Zusammenhang zwischen Leistungsmessung und Leistung. Denn dass gute Bildung und Lust auf Leistung zusammengehören, das kann ich durchaus bestätigen. Aber Leistungsmessung und Leistung? In der letzten Zeit wurde die durchaus blöd zu nennende Korrelation bemüht, die deutschen Leichtathleten hätten schlecht abgeschnitten, weil es keine Bundesjugendspiele mehr gebe. Erstens: Die Bundesjugendspiele sind noch gar nicht abgeschafft, es wird derzeit lediglich diskutiert. Und zweitens: Sind die deutschen Basketballer auch Weltmeister geworden, weil so oft Basketball gespielt wird in deutschen Schulen? Oder weil sie nach jedem Spiel Noten bekommen haben? Sicher nicht!

Noten haben nichts mit Leistung zu tun, sondern mit einer Leistungsimitation. Die gute Note bekommt, wer genau das macht, was herauskommen soll. Das soll eine tolle Leistung nicht schmälern. Aber eine sehr gute Leistung ist auch dann eine sehr gute Leistung, wenn man sie nicht mit einer Note bemisst.

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Schulnote 5 bis 6 für die Bildungsministerin

Wenn die Bundesbildungsministerin beispielsweise alle Kultusministerinnen und Kultusminister auf dem Bildungsgipfel versammelt hätte, um für einen Aufbruch jenseits der Parteipolitik zu sorgen, dann wäre das eine sehr gute Leistung gewesen. Es kamen aber nur 2. In meinem Notenrechner komme ich mit 2 von 16 auf eine 5-6.

Der größte Quatsch dieser Aussage ist aber mit Abstand die Nummer 1 auf der Quatsch-Skala: Noten seien unerlässlich, um bestmöglich individuell zu fördern. Man muss schon wieder sagen: Nein, das Gegenteil ist der Fall! Individuelle Förderung bedeutet eben, sich dem Menschen und seinem Lernen zu widmen. Was zum Teufel sagt mir da eine 3? Oder eine 3-? Und was ist überhaupt der Unterschied? Jeder weiß, wie sehr auch Noten abweichen können, je nachdem, wer sie gibt. Es gibt großartige Bücher darüber, wie Lernen auch ohne Noten vonstatten gehen kann – eben mit alternativen Konzepten der Leistungsbewertung.

Und wenn Sie jetzt denken, dass eine Quatsch-Skala Quatsch ist, weil sie ja so ähnlich funktioniert wie Noten, dann haben sie völlig recht. Denn eigentlich, eigentlich haben wir so viel zu besprechen, was an deutschen Schulen verändert werden müsste. Als Bundesbildungsministerin hätte man über den deutschlandweiten Bildungsprotest sprechen können. Oder darüber, warum es in so vielen deutschen Schulen kein WLAN gibt. Nicht, dass es nicht viel Wichtigeres gibt.

Aber mit dem Punkt sind wir dann wieder bei der FDP. Und wenn jetzt jemand sagt, dass die Bundesbildungsministerin doch sowieso wenig zu sagen hat in diesem föderalen System, dann stimmt das. Also fast. Denn beim Digitalpakt könnte der Bund die Leitung übernehmen. Beim nächsten, denn der alte läuft im Mai 2024 aus. Aber das Bundesbildungsministerium, und das ist als Pointe so schön, dass wir eine neue Skala brauchen, will nicht sagen, ob es einen zweiten Digitalpakt geben wird. Bedenken first, Digitalisierung second eben. Gott sei Dank muss ich dafür keine Note geben.

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