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Amatrice: So sieht es ein Jahr nach dem Erdbeben aus


Trümmer, Tränen und Zerstörung
Amatrice – Ein Jahr nach dem Beben

srt, Sybille Boolakee

04.09.2017Lesedauer: 4 Min.
Von der Basilika, hier nur provisorisch mit Planen abgedeckt, ist nur noch ein Trümmerhaufen übrig.Vergrößern des BildesVon der Basilika, hier nur provisorisch mit Planen abgedeckt, ist nur noch ein Trümmerhaufen übrig. (Quelle: srt-Archiv/Sybille Boolakee)
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"Hier stand mein Elternhaus", sagt Miriam Marini, und zeigt auf einen riesigen Schuttberg. Zwischen den Trümmern findet sie ein verbeultes Frühstückskörbchen aus Metall. Sie zieht es heraus, biegt die Streben etwas gerade und bricht in Tränen aus.

Rechts und links der einstigen Prachtstraße von Amatrice, dem Corso Umberti I, türmen sich die Schuttberge der jahrhundertealten Häuser. Der Schutt wurde zusammengeschoben, damit die Straßen für die Bagger frei sind. Doch viel mehr ist offenbar nicht passiert. Einzig der Campanile aus dem 15. Jahrhundert steht noch. Die Zeiger der Uhr sind um 3.37 Uhr stehen geblieben, exakt um diese Zeit brach in der Nacht zum 24. August 2016 die Katastrophe über den Ort herein, eine Erschütterungsserie, die im August begann und bis Ende Oktober dauerte. In der italienischen Kleinstadt am Rande der Apenninen starben damals 235 Menschen. 90 Prozent der Häuser im Zentrum sind fast völlig zerstört. Sogar in Rom spürten sie das Beben.

Tourismus und Landwirtschaft waren wichtige Wirtschaftszweige in Amatrice

Amatrice war vor allem für viele Römer ein erholsamer Ferienort. Lebten im Winter nur etwa 3000 Menschen im Ort, kamen in den Sommermonaten bis zu 40.000 Menschen. "Tourismus war neben der Landwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftszweig", sagt Miriam Marini. Die hübsche junge Frau mit den blonden Locken ist zuständig für Werbung, Handel, Marketing und Tourismus in der Region Latium. Sie kam damals etwa eine Stunde nach dem Beben nach Amatrice. "Es war totenstill und die ganze Stadt war eingehüllt in eine riesige, graue Staubwolke", erzählt sie. Ihre Mutter war tot, eine Nichte konnte sich im letzten Augenblick mit einem Sprung aus dem Fenster retten. Es helfe ihr, immer wieder über die Schrecken und das Grauen zu reden, sagt Marini tapfer.

Schon bei der Anfahrt nach Amatrice fallen einem die vielen zerstörten Häuser auf. Bettwäsche und Handtücher liegen fein säuberlich gestapelt im Holzregal. Es scheint, als hätten die Bewohner nur kurz ihr Haus verlassen. Doch es fehlen die gesamte äußere Hauswand und das halbe Dach. Stromkabel und Eisenverstrebungen ragen grotesk verrengt in die Luft. Das Zentrum des Ortes ist nun eine "Zona Rossa", die nur mit amtlicher Genehmigung und in Begleitung eines Feuerwehrmannes betreten werden darf.

Das Rathaus von Amatrice ist in einen Container umgezogen

Bürgermeister Sergio Pirozzi arbeitet jetzt in einem Container, das Rathaus ist komplett zerstört. Er ist ein Macher, doch seine Macht ist begrenzt. "Den Wiederaufbau finanziert der Staat", sagt er, und dass die Gelder nach Projekten vergeben werden. "Die Kraft kommt von den Bürgern, und Solidarität aus der ganzen Welt," betont Pirozzi aber er beklagt, dass er mit langen Wartezeiten zu kämpfen habe. Doch für Amatrice ginge er mit dem Kopf durch die Wand.

Bisher sieht die Bilanz jedoch ernüchternd aus. Wieviel Korruption und Vetternwirtschaft stecken in dem Wiederaufbau? Wer bereichert sich an der Räumung und Entsorgung?

Amatrice soll zwei Kilometer entfernt neu errichtet werden

Geplant ist, Amatrice etwa zwei Kilometer vom alten Stadtzentrum entfernt neu zu errichten. Denn spezielle Bohrungen haben ergeben, dass der Untergrund des alten Ortes nicht sicher ist. Bisher leben wieder knapp 2000 Menschen in Fertigteilhäusern – oberhalb ihrer Trümmerstadt. Ein kleiner Lichtblick ist die neue "Food Area", die Ende Juli eingeweiht wurde. Sieben historische Restaurants, die durch das Beben zerstört wurden, empfangen nun ihre Gäste in den mit viel Glas und Holz errichteten Bauten. Auch das "Ristorante Roma" ist eingezogen. Es heißt, dort gebe es noch immer die beste Pasta all'amatriciana der Welt.

Aber wichtiger als Pasta sind für einen Ort Kinder. Und für die half die Region Trentino, eine neue Schule zu bauen. Rund um die Schule aus Fertigbauteilen toben inzwischen fröhlich Schüler aller Altersklassen. Schließlich komme es auf die Stimmung in der Bevölkerung an, wie der Bürgermeister bei vielen Gelegenheiten betont.

Kurz darauf bebte es erneut im Oktober 2016

Auch Norcia, die Hochburg des schwarzen Trüffels, wurde in jener Nacht heimgesucht. Ein Erdstoß mit der Stärke von 5,3 auf der Erdbeben-Skala traf das Zentrum der Gemeinde. Weitere Beben folgten und zerstörten die Kirche San Salvatore. Am 30. Oktober folgte das stärkste Beben mit einem Erdstoß von 6,5 morgens um 7.40 Uhr. Bei diesem Beben stürzten die Basilika San Benedetto und viele weitere Gebäude ein.

Die Basilika aus dem 13. Jahrhundert mit der gotischen Fassade war Heimat und spirituelles Zuhause zahlreicher Benediktinermönche und Nonnen. Jeden Morgen waren ihre wunderbaren Choräle zu hören. Seit vergangenem Herbst ist das Gotteshaus ein Trümmerhaufen, nur noch Reste der Basilika stehen und sind provisorisch mit Planen abgedeckt. Die Mönche wurden umgesiedelt nach Rom.

Rund um die Basilika wurden Metallgitter zur Stabilisierung errichtet, in den Nebenstraßen türmen sich die Schuttberge – doch wie geht es weiter? Auch in Norcia scheint es noch einige Zeit zu dauern, bis das Ausmaß der Zerstörung bewertet ist und ein Wiederaufbauprogramm umgesetzt wird.

Bereitgestellte Gelder verschwinden in Italien

Wie zäh Erdbebenschäden in Italien behoben werden, zeigt sich in beispielsweise in Santo Stefano di Sessanio. Während 2016 so viele Orte in Mittelitalien zerstört wurden, wackelten auch in dem malerische Ort im Nationalpark Gran Sasso die Wände, alles zitterte und wankte. Doch die Investitionen eines schwedischen Investors nach dem verheerenden Beben von 2009 haben sich offenbar gelohnt. Der Unternehmer Daniele Kihlgren hat in einem Großteil der mittelalterlichen Gebäude von Santo Stefano ein über den ganzen Ort verteiltes Luxushotel eingerichtet und erdbebensicher saniert. Der mittelalterliche Turm am Rand des Dorfes gehört nicht zu seiner "Albergo Diffuso" und stürzte bereits beim Erdbeben 2009 ein – und ist bis heute eine Ruine aus Stahlträgern und Schutt.

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Längst hätte das Wahrzeichen des Ortes wieder aufgebaut werden sollen. Geld – man spricht von Millionen – war gesammelt und bereitgestellt worden – und auf einmal in unsichtbaren Kanälen verschwunden. Inzwischen ist der Bau gestoppt und alles kommt vor Gericht.

Erdbebenschäden zu überwinden dauert offenbar wirklich Generationen und nicht nur Jahre, wie Fachleute immer wieder betonen.

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