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Irak: Schiitenführer al-Sadr im Hungerstreik um Gewalt zu beenden


Politische Krise im Irak
Schiitenführer al-Sadr im Hungerstreik um Gewalt zu beenden

Von dpa, reuters
Aktualisiert am 30.08.2022Lesedauer: 4 Min.
Muktada al-Sadr: Der Schiitenführer hat erneut seinen Rückzug aus der Politik angekündigt.Vergrößern des BildesMuktada al-Sadr: Der Schiitenführer hat erneut seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. (Quelle: ALAA AL-MARJANI/Reuters)
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Schiitenführer Muktada al-Sadr hat im Irak seinen Rückzug angekündigt. Seine Anhänger reagierten mit einem Sturm auf den Palast – es gibt Tote.

Der einflussreiche Schiitenführer Muktada al-Sadr hat Medienberichten zufolge einen Hungerstreik angekündigt, bis die Gewalt im Irak aufhört. Zudem müsse der Einsatz von Waffen beendet werden, meldeten die staatliche Nachrichtenagentur INA sowie das staatliche Fernsehen am späten Montagabend. Eine Bestätigung von al-Sadrs Büro dazu lag nicht vor.

Anhänger von al-Sadr hatten am Montag den Regierungspalast in Bagdad erstürmt. Kurz zuvor hatte der 48 Jahre alte Geistliche seinen Rückzug aus der Politik erklärt. In dem Gebäude in der eigentlich hoch gesicherten Grünen Zone liegt unter anderem das Büro von Ministerpräsident Mustafa al-Kasimi.

Am Abend schlugen mindestens sieben Granaten in dem stark gesicherten Regierungs- und Botschaftsviertel ein, wie aus Sicherheitskreisen verlautete. Im Anschluss waren Schüsse von Schnellfeuerwaffen im Regierungsviertel zu hören. Nach Angaben eines Sicherheitsvertreters feuerte eine Sadr unterstehende Miliz von außen in die Grüne Zone.

Nach Angaben von Ärzten wurden bei Zusammenstößen im Regierungsviertel mindestens 15 Sadr-Anhänger getötet und 350 weitere verletzt. Die Armee setzte Tränengas ein und verhängte eine landesweite Ausgangssperre.

Anhänger verkünden "Revolution des Volkes"

Damit spitzt sich die politische Krise im Irak weiter zu, nachdem Demonstranten vor einem Monat bereits in das Parlamentsgebäude eingedrungen waren. Auch rund zehn Monate nach der Parlamentswahl können sich die Parteien weder auf einen Präsidenten noch einen Regierungschef einigen, während das Land unter einer Wirtschaftskrise, Inflation und Korruption ächzt.

Bereits zum zweiten Mal seit 2014 kündigte al-Sadr seinen Rückzug aus der Politik an. "Ich hatte beschlossen, mich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen, aber jetzt kündige ich meinen endgültigen Ruhestand und die Schließung aller Einrichtungen an", twitterte er am Montag. Ausgenommen seien mit ihm direkt verbundene religiöse Einrichtungen. "Wenn ich sterbe oder getötet werde, bitte ich um eure Gebete."

Keine zwei Stunden nach der Ankündigung strömten Demonstranten in die Grüne Zone. Einige trugen Fotos al-Sadrs. "Dies ist eine Revolution des Volks, keine Sadristen-Bewegung", riefen einige. Andere forderten den "Sturz des Regimes". Die Protestler beseitigten Barrieren und kletterten über Zäune. Sicherheitskräfte versuchten, die Menge mit Wasserwerfern auseinanderzutreiben. Die Belagerung des Palasts ging trotz einer ab dem Nachmittag geltenden Ausgangssperre weiter.

Proteste breiten sich aus

Videos zeigten eine jubelnde Menge in den edlen Räumen des Palastes. Ein Demonstrant sagte, die Protestler würden durch Büros wandern, andere draußen in einem Swimmingpool schwimmen. Es werde dabei aber kein öffentliches Eigentum beschädigt. Sicherheitskräfte versuchten, die Protestler mit Tränengas aus dem Palast zu treiben. Später fielen laut Augenzeugen auch Schüsse.

Die Proteste weiteten sich am Abend auf weitere Landesteile aus. In den südlichen Städten Dhi Kar, Nassirija und Hilla sollen al-Sadr-Anhänger Regierungsgebäude gestürmt haben, in Hilla gab es Straßenblockaden.

Regierungschef al-Kasimi setzte alle Sitzungen des Kabinetts bis auf Weiteres aus. Er sprach von "gefährlichen Entwicklungen" und "ernsthaften Folgen anhaltender politischer Differenzen". Er forderte al-Sadr auf, die Demonstranten zur Ordnung zu rufen.

Die UN-Mission im Irak (Unami) sprach von einer "extrem gefährlichen Eskalation" und forderte die Demonstranten auf, das Regierungsviertel sofort zu verlassen. "Das Überleben des Staates steht auf dem Spiel", erklärte die UN-Mission. Die US-Regierung sprach von "beunruhigenden" Berichten aus Bagdad und mahnte alle Seiten zur Ruhe und zum Dialog.

UN-Generalsekretär António Guterres rief zur "Zurückhaltung" auf und forderte "alle relevanten Akteure" auf, "sofortige Schritte für eine Deeskalation der Situation" zu unternehmen. Die US-Regierung sprach von "beunruhigenden" Berichten aus Bagdad und mahnte alle Seiten zur Ruhe und zum Dialog.

Al-Sadr wollte mit Tradition brechen

Der Irak steckt seit Monaten in einer tiefen politischen Krise. Diese hat sich nach der Parlamentswahl vor rund zehn Monaten immer weiter verschärft. Al-Sadrs Bewegung ging damals als klarer Wahlsieger hervor, konnte jedoch nicht die wichtige Zweidrittelmehrheit erreichen, die für die Präsidentenwahl erforderlich ist. Erst mit der Unterstützung des Staatschefs kann eine neue Regierung gebildet werden. Damit entstand eine politische Pattsituation.

Al-Sadr hat damit vorerst seinen Versuch aufgegeben, das politische System im Irak mit Hilfe des Parlaments zu reformieren. Nach dem Sturz von Langzeitdiktator Saddam Hussein war es Brauch, dass im Kabinett Vertreter der wichtigsten politischen Kräfte vertreten waren. Al-Sadr wollte mit dieser Tradition brechen und eine Mehrheitsregierung aus Abgeordneten seiner Partei, der Demokratischen Partei Kurdistans von Masud Barsani und dem Block der Sunniten bilden. Eines seiner Ziele war auch, den Einfluss schiitischer Parteien zurückzudrängen, die vom Iran unterstützt werden.

"Druck von der Straße"

Mit "Druck von der Straße" und einer Stürmung des Parlaments wollte die al-Sadr-Bewegung schließlich verhindern, dass ihre politischen Gegner um Ex-Regierungschef Nuri al-Maliki, die eine große Nähe zum Iran haben, eine Regierung bilden können. Zuletzt hatte der Religionsführer Neuwahlen gefordert. Seine Rivalen stellten unterdessen einen eigenen Kandidaten als Premier vor, den al-Sadr wegen dessen Nähe zu al-Maliki ablehnt.

Muktada al-Sadr entstammt einer Familie bedeutender Kleriker. Nach dem Einmarsch der US-Armee im Irak 2003 gründete er eine Miliz, die "Mahdi-Armee". Al-Sadr lebte zwischenzeitlich im Iran.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP
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