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Liz Truss: Sie wäre so gerne wie Margaret Thatcher


Liz Truss
Eiserne Lady oder menschliche Handgranate?

  • David Schafbuch
Von David Schafbuch

03.09.2022Lesedauer: 6 Min.
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Liz Truss: Wird sie nach Margaret Thatcher und Theresa May die dritte britische Premierministerin?Vergrößern des Bildes
Liz Truss: Wird sie nach Margaret Thatcher und Theresa May die dritte britische Premierministerin? (Quelle: Rui Vieira/AP/dpa/dpa-bilder)

Liz Truss inszeniert sich gerne als neue Margaret Thatcher und könnte britische Premierministerin werden. Dabei ähnelt sie viel mehr einem anderen Politiker.

Eine Überraschung hatte Liz Truss dann doch noch parat: Die "intelligenten Autobahnen", die es in Großbritannien erlauben, zu Stoßzeiten auch den Standstreifen zu nutzen, würde sie als Premierministerin abschaffen, erklärt sie auf der letzten großen Wahlkampfveranstaltung in London am Donnerstag. Ihr Konkurrent Rishi Sunak hatte sich zuvor bereits für ein Ende des Konzepts wegen Sicherheitsbedenken ausgesprochen. In der Vergangenheit hatte es vermehrt Berichte über schwere Unfälle auf den "intelligenten Straßen" gegeben.

Auch Truss greift Sicherheitsbedenken auf – und schlägt dann noch neue Töne an: Auch die Geschwindigkeitsbegrenzung von 110 Kilometern pro Stunde könnte zur Diskussion stehen. "Wir müssen bereit sein, das zu prüfen", lässt die Politikerin die Zuschauer in London wissen, ergänzt dann aber, dass sie im Moment noch keine genauere Antwort geben könne.

"Ernsthafte Probleme"

Die 47-Jährige hat in den vergangenen zehn Jahren viele unterschiedliche Spitzenpositionen in der britischen Regierung eingenommen, ein Amt im Verkehrsministerium gehörte bisher nicht dazu. In der Vergangenheit hatte Truss schon einmal gefordert, die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h zu erhöhen.

Aber warum sollte sie so kurz vor Ende eines monatelangen Wahlkampfs plötzlich ein ganz neues Thema auf die Agenda setzen?

Die Veranstaltung in der britischen Hauptstadt liefert darauf keine Antworten, andere Themen stehen derzeit stärker im Fokus. Wer sich aber mit den Auftritten der heutigen Außenministerin in der Vergangenheit beschäftigt, findet ähnliche Momente, die einen fragend zurücklassen: Mal bleibt es unklar, ob Truss immer ausreichend nachdenkt, bevor sie spricht. Mal hat man den Eindruck, sie versuche ihren Zuhörern einfach nur genau das zu liefern, was sie gerne hören wollen.

Beides trifft auf eine andere Begebenheit in Norwich vor einer Woche zu: Ob Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein Freund oder Feind sei, könne sie im Moment noch nicht beantworten, sagte die Ministerin dort auf einer Wahlkampfveranstaltung. "Wenn man nicht in der Lage ist, zwischen Franzosen und Briten zu sagen, ob wir Freund oder Feind sind – der Begriff ist nicht neutral –, dann steuern wir auf ernsthafte Probleme zu", warnte Macron einen Tag später. Die brexitbegeisterten Konservativen schenkten Truss dagegen für ihre Aussagen viel Applaus.

Es ist gut möglich, dass Truss und Macron in Zukunft häufiger miteinander zu tun haben werden: Wenn am Montag die konservative Partei Großbritanniens verkündet, wer Nachfolger von Boris Johnson als Parteivorsitzender wird, könnte laut Umfragen Truss den Tory-Vorsitz übernehmen – und damit auch zur dritten Premierministerin der britischen Geschichte werden. Öffentlich versucht die 47-Jährige, sich als starke Fürsprecherin eines schlanken Staats mit niedrigen Steuern wie eine neue Margret Thatcher zu inszenieren. Mit ihrem Hang zum Populismus scheint sie dagegen ihrem Vorgänger Johnson zu gleichen. Was wäre von ihr als Regierungschefin zu erwarten?

Dass Mary Elizabeth Truss irgendwann als erzkonservative Politikerin Karriere machen würde, war nicht unbedingt vorbestimmt: Truss wuchs in einem Haushalt "links von Labour" auf, verriet sie der britischen "Times". Ihre Mutter engagierte sich in der Anti-Atombewegung. Von ihrem Geburtsort Oxford zog die Familie zunächst in den schottischen Ort Paisley, später ging sie in Leeds zur Schule.

"Opportunismus oder Pragmatismus"

Ihre ersten politischen Schritte machte Truss allerdings nicht bei Labour oder den Tories, sondern bei den Liberalen. Mit 19 Jahren forderte sie vor ihren Parteikollegen in einer flammenden Rede, dass Großbritannien die Monarchie abschaffen solle. Heute erzählt Truss, dass sie die Rede "fast sofort" bereut habe. Der BBC sagte sie, sie habe damals kaum Berührung mit konservativer Politik gehabt. Mit der Zeit habe sie verstanden, dass Großbritannien auch wegen der konstitutionellen Monarchie so erfolgreich sei.

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Menschen, die Truss aus ihrer Studentenzeit kennen, attestierten ihr dagegen schon damals die Fähigkeit, sich politisch anzupassen: Sie besitze "eine kleine Anzahl von Verpflichtungen, von denen sie nicht abrücken wird", sagte Marc Stears, der sie an der Universität betreut hatte, der "New York Times". Abgesehen davon suche Truss aber danach, was ihr politisch den meisten Auftrieb verspreche. "Man könnte es Opportunismus oder Pragmatismus nennen, je nachdem, ob man ein Freund oder Feind ist." Zwei Jahre nach ihrer Anti-Monarchie-Rede trat Truss den Tories bei.

Aufregung über britischen Käse

Ihre politische Karriere nahm ab 2010 Fahrt auf: Truss zog als Abgeordnete ins britische Unterhaus ein. Zwei Jahre später begann eine Reise, die sie in diverse Ministerien führte: Sie fängt im Bildungsministerium an, wird später Umwelt- und Justizministerin, ist dann zuständig für Handel. 2019 folgte der Job als Ministerin für Frauen und Gleichstellung, im vergangenen Jahr übernahm sie zusätzlich das Außenministerium.

Skurrile Auftritte bleiben auch als Spitzenpolitikerin nicht aus: 2014 warb sie auf dem Parteitag der Tories dafür, dass in Großbritannien mehr heimische Produkte konsumiert werden. Die Tatsache, dass zwei Drittel des gesamten Käses im Land importiert werden, nennt Truss mit ernster Miene "eine Schande".

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"Truss mag politisch klug und gewandt sein, im intellektuellen Sinne ist sie das nicht", urteilt der britische Politologe Anthony Glees im Gespräch mit t-online. Was den Populismus angeht, könne die Außenministerin allerdings durchaus mit dem scheidenden Premier Johnson mithalten. Glees spricht von einem "Johnson im Kleid". Truss mangele es aber an Charisma, um ihre peinlichen Auftritte so für sich zu nutzen wie der aktuelle Premier.

Wie flexibel Truss ist, zeigte sich auch am Brexit: "Ich möchte nicht, dass meine Töchter in einer Welt aufwachsen, in der sie ein Visum brauchen, um in Europa zu arbeiten", sagte sie 2016 vor dem Referendum. Nach dem Votum für den EU-Ausstieg teilte die 47-Jährige mit, dass sie ihre Meinung geändert habe. Zum Dank machte Johnson sie 2019 zur Handelsministerin.

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Vergleiche zu Thatcher

Es dürfte die entscheidende Wendung in Truss' Karriere gewesen sein. "Um die Tories zu führen, muss man ein harter Brexiteer sein", ist sich auch Glees sicher. Anders als ihr Konkurrent Rishi Sunak mag Truss zwar gegen den EU-Ausstieg gestimmt haben. Im Kampf um die Downing Street wettert sie dagegen lautstark gegen Brüssel und kündigt an, sich weiter gegen das auf der Insel umstrittene Nordirland-Protokoll einseitig hinwegsetzen zu wollen. Sunak vermied dagegen scharfe Töne gegen die EU – und kann nicht auf die Unterstützung der Hardliner setzen.

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Zu ihrem zweiten Verkaufsschlager in ihrer Partei machte Truss im Wahlkampf das Versprechen auf baldige Steuersenkungen. Um die Inflation und die hohen Energiekosten zu bekämpfen sei es wichtig, die Wirtschaft anzukurbeln. Manche attestieren der Außenministerin daher auch, mit einem schlanken Staat und einer entfesselten Wirtschaft auf den Spuren von Margaret Thatcher zu wandeln.

Verstärkt wurden die Vergleiche dadurch, dass sie sich auch optisch der "Eisernen Lady" angenähert hat. Es gibt Bilder, die sie genau wie Thatcher in einem Panzer zeigen. Im Wahlkampf trug sie in einem TV-Duell eine große weiße Schleife, Thatcher trug in der Vergangenheit vergleichbare Outfits.

Öffentlich lehnt Truss die Vergleiche mit der ersten britischen Premierministerin ab, nutzen dürften sie ihr an der Parteibasis trotzdem. Anthony Glees sieht abgesehen von der Optik aber keinerlei Gemeinsamkeiten: "Es ist völlig irrsinnig zu behaupten, dass Liz Truss eine neue Margaret Thatcher ist." Denn anders als Truss sei Thatcher eine große Unterstützerin des europäischen Binnenmarkts gewesen.

Fürs Erste reicht Truss allerdings der Rückhalt ihrer Parteibasis, um in die Downing Street Nummer 10 einzuziehen. Denkbar ist aber, dass die Freude nur kurz anhalten wird: Offiziell steht die nächste britische Unterhauswahl zwar frühestens 2024 an. Unter Druck könnte Truss aber schneller geraten: In der Tory-Fraktion hatte zuletzt ihr Konkurrent Sunak die meisten Fürsprecher. In der gesamten Bevölkerung liegen im Moment die Sozialdemokraten deutlich in Führung. Den letzten Wahlsieg fuhr Boris Johnson 2019 auch deshalb ein, weil er in traditionell labourfreundlichen Regionen im Norden viele Wähler auf seine Seite ziehen konnte.

"Menschliche Handgranate"

Truss hingegen ist aus Sicht von Glees für diese Wählerschichten "die völlig falsche Politikerin". Sauer könnten den Menschen im eher ärmeren Norden auch Äußerungen von Truss aufstoßen, die erst kürzlich der Presse zugespielt wurden: In ihrer Zeit im Finanzministerium soll Truss gesagt haben, dass es ein fundamentales Problem mit der britischen Arbeitsmoral gebe, besonders außerhalb von London.

Und dann ist da noch Boris Johnson: Öffentlich gilt der scheidende Premier als Förderer von Truss, obwohl er zuletzt versprochen hat, jeden seiner Nachfolger "voll und uneingeschränkt" zu unterstützen. Der ehemalige Johnson-Berater Dominic Cummings, der seit seinem Abschied aus der Downing Street eine Schlammschlacht gegen Johnson führt, wittert dahinter einen Plan: Johnson habe die Hoffnung, dass Truss als Premier versage, damit er irgendwann in der Zukunft zurückkehren kann. Cummings gab Truss den Spitznamen "menschliche Handgranate", weil sie nur Chaos verursache.

Mehrere britische Medien meldeten zuletzt ebenfalls, dass Johnson darauf spekulieren könnte. Der 58-Jährige hatte immer wieder seine Bewunderung Winston Churchills kundgetan. Auch die Lichtgestalt der britischen Politik war 1951 nach einer sechsjährigen Pause in die Downing Street zurückgekehrt.

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