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Wagner-Söldner in Belarus: Droht Putin Vergeltung für Prigoschin?


Russlands Chaos erfasst Belarus
Nun droht Vergeltung

Von Patrick Diekmann

25.08.2023Lesedauer: 6 Min.
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Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko: Der Kremlchef wird den belarussischen Präsidenten bereits am 26. Dezember in Moskau empfangen.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko: Der Tod des Wagner-Chefs in Russland stellt auch das belarussische Regime vor Probleme. (Quelle: Pavel Bednyakov/TASS/imago images)

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin ist offenbar tot, und Tausende seiner Söldner sind noch in Belarus stationiert. Stellen sie sich nun gegen Wladimir Putin? Einzelne Einheiten deuten bereits Vergeltung an.

Es herrscht große Verwirrung. Nach dem mutmaßlichen Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin ist die Furcht vor Chaos in Belarus greifbar. Es herrscht Stille. Diktator Alexander Lukaschenko reagierte öffentlich gar nicht auf den Flugzeugabsturz von Prigoschin, stattdessen lobte er die Arbeit der belarussischen Förster in diesem Sommer. Wenn jemand denke, "dass Putin so boshaft und nachtragend ist, dass er ihn morgen kaltmacht ... Nein, das wird nicht passieren", hatte Lukaschenko nach der gescheiterten Wagner-Revolte von Prigoschin Anfang Juli gesagt. Es passierte offenbar doch.

Eineinhalb Monate später ist Prigoschin wohl tot und mit ihm die politische Führung der Söldnertruppe. Klar: Es gibt keine Beweise für die Verstrickung des Kremls in den Absturz. Doch viele Experten sehen in dem Vorfall einen Racheakt des russischen Präsidenten. Immerhin hatte Putin in seiner Reaktion auf den Tod Prigoschins noch einmal daran erinnert, dass der Wagner-Chef Fehler gemacht habe.

Video | Hier plaudern Prigoschin und Utkin über den Tod
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Quelle: t-online

Es scheint so, als wolle Putin in jedem Fall eine Botschaft senden: Das passiert mit Freunden, die mich verraten. Sie fallen aus Fenstern, ihre Flugzeuge stürzen vom Himmel oder sie werden vergiftet.

Eben diese Botschaft kommt an, auch in Belarus. Lukaschenko hatte Prigoschin Sicherheitsgarantien gegeben, er dürfte sich vom russischen Präsidenten nun düpiert fühlen. Aber er weiß natürlich auch, dass um seinen Hals ebenfalls schon ein Strick hängt. Der Tod Prigoschins zeigt: Putin hat keine Freunde, er hat nur Diener, die ihm nutzen oder eben nicht mehr. Für Lukaschenko ist das eine Warnung, aber er sieht sich in seinem Land auch mit mehreren Tausend Wagner-Söldnern konfrontiert. Was passiert nun mit ihnen?

Belarus ist ein Pulverfass

In jedem Fall löst der Tod von Prigoschin große Unruhe in Belarus aus. Dabei ist Lukaschenko ein Diktator von Putins Gnaden. Der Kreml hatte ihm nach den Protesten großer Teile der belarussischen Bevölkerung gegen seinen Wahlbetrug 2020 geholfen, an der Macht zu bleiben. Russland schickte daraufhin immer mehr reguläre Soldaten nach Belarus, aus dem Nachbarland wird seit Februar 2022 auch die Ukraine angegriffen.

Putin hat in Belarus das geschafft, was ihm in der Ukraine nicht gelang: Er kontrolliert Belarus mit Lukaschenko als Marionette.

Die Macht des belarussischen Diktators ist begrenzt. Er muss Putin gefallen und fürchtet gleichzeitig einen Bürgerkrieg in seinem Land. Neben der Opposition, die teilweise ins Ausland geflohen ist, möchte auch ein Teil des Militärs die Unabhängigkeit von Belarus gegenüber Russland verteidigen – und Hunderte Soldaten meldeten sich in der Ukraine freiwillig, um gegen die russische Armee zu kämpfen. Auch deshalb kann das belarussische Regime revoltierende Wagner-Söldner nicht gebrauchen.

Lukaschenko saß schon vor Prigoschins Tod auf einem Pulverfass: Einerseits tut er gerade so viel, um Putin nicht zu verärgern. Er konnte bisher aber auch verhindern, dass belarussische Truppen an der Seite Russlands in der Ukraine kämpfen. Wahrscheinlich weil er fürchtet, Teile seiner Armee könnten sich gegen ihn wenden.

Ein Drahtseilakt für Lukaschenko

Deshalb versucht Lukaschenko, eine Eskalation in Belarus zu verhindern. Zuletzt stiftete eine Grußbotschaft des Diktators Verwirrung, die die belarussische Führung am Donnerstag zum ukrainischen Unabhängigkeitstag auf Telegram verbreiten ließ: "Viele Generationen von Weißrussen und Ukrainern leben seit Jahrhunderten in Harmonie und Respekt", sagte Lukaschenko darin. "Wir müssen den Wert unserer Nachbarschaft nutzen, um die Konfrontation zu beenden. Die belarussische Seite ist bereit, dafür alles Notwendige und noch mehr zu tun. Ich glaube, dass wir es schaffen können".

Diese Nachricht war ungewöhnlich. Immerhin stellt Lukaschenko belarussisches Staatsgebiet bereit, damit die russische Armee die Ukraine mit Raketen beschießen kann. Aber es wäre verständlich, wenn Lukaschenko Sorge hat, dass sich die Wagner-Söldner nach dem Tod ihres Anführers nun mit Kräften in Belarus zusammenschließen könnten, die Putin ablehnen.

Deutlich wird auf jeden Fall eines: Das Chaos, das Putin mit seinem Angriffskrieg in der Ukraine verbreitete, gefährdet auch die Sicherheit des Regimes in Belarus. Für Lukaschenko wird es ein immer größerer Drahtseilakt, aber Putin hat ihn und sein Land fest im Würgegriff.

Prigoschin war beliebt

Umso überraschender war es, dass Lukaschenko sich nach dem Wagner-Aufstand weit aus dem Fenster lehnte und mit Putins Segen Prigoschin und seinen Söldnern Asyl in Belarus anbieten durfte. Der Tod des Wagner-Chefs zeigt nun, dass diese Absprache nichts wert war. Sollte sich Putin an Prigoschin gerächt haben, zeigt er damit auch, wie viel Respekt er vor Lukaschenko hat: ziemlich wenig.

Für Lukaschenko sieht es so aus, als habe Putin ihn im Regen stehen lassen. Außerdem hat er noch 4.500 Wagner-Söldner in seinem Land. Und es ist völlig unklar, was diese nach dem Tod Prigoschins nun tun werden. Eine heikle Situation, auch für Belarus.

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Prigoschin war in vielerlei Hinsicht ein vulgärer Verbrecher, doch bei den einfachen Soldaten – nicht nur der Wagner-Gruppe, sondern auch der russischen Armee – war er äußerst beliebt. Er galt als eine Art Mafia-Vater, der bei den Soldaten im Feld schlief. Im Gegensatz zur russischen Machtelite traute er sich an die Front, und einige seine Söldner berichteten in der Vergangenheit, dass er sich persönlich bei ihnen gemeldet habe, wenn sie im Kampf verletzt wurden. Sein Tod entfacht deswegen auch große Wut, besonders innerhalb der Wagner-Gruppe.

Wut der Wagner-Söldner

Das wird in den Wagner-nahen Kanälen auf Telegram deutlich. "Der Mord ist gnadenlos und abscheulich. Nur feiger Abschaum konnte das tun", schrieb ein Nutzer im Kanal "Grey Zone". "Russlands Patrioten haben heute nicht Prigoschin verloren, sondern Putin." Nach dem Flugzeugabsturz veröffentlichten ukrainische und osteuropäische Medien, darunter das Nachrichtenportal "Visegrad 24", Videomaterial von Wagner-Söldnern in Belarus. "Es wird jetzt viel darüber gesprochen, was die Wagner-Gruppe tun wird", sagte einer der Kämpfer." Wir beginnen, seid bereit für uns."

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Im Hintergrund dieser Videoaufnahmen war bereits ein Konvoi zu sehen. Aber geht es den Wagner-Söldnern nun tatsächlich um Vergeltung? Laut ukrainischen Angaben würden die Wagner-Söldner in Belarus sich in Konvois organisieren und in Richtung der russischen Grenze fahren wollen. "Belarussische Spezialeinheiten hindern sie an der Abreise", schrieb das Widerstandszentrum der Ukraine am Donnerstag. Angeblich räumen Prigoschins Wagner-Söldner ihre Lager in Belarus.

Dazu passen Berichte vieler russischer Medien über ein angebliches Testament von Prigoschin. Demnach solle sein Tod eine "völlige Mobilmachung" der Wagner-Gruppe auslösen.

Putin setzt auf völlige Kontrolle

Doch sollten tatsächlich Wagner-Söldner einen erneuten Aufstand gegen den Kreml proben, hätte Putin vorgebaut. Ein Teil der Kämpfer hat schon Armeeverträge unterschrieben. In Belarus sitzt der Teil der Söldner-Gruppe, der mit Prigoschin ins Ausland gehen wollte. Sie stecken in Zeltcamps fest, weit weg von Russland, ihre schweren Waffen mussten sie an die russische Nationalgarde abgeben, und der Kreml schickt ihnen kein Geld mehr.

Auch das erregt natürlich Wut. In ihren Augen ist die politische Führung in Moskau undankbar, immerhin haben sie Bachmut in der Ukraine erobert und sind für russische Interessen in Syrien oder in einigen afrikanischen Ländern gestorben. Das wird in vielen Kommentaren in den Wagner-nahen Telegram-Gruppen deutlich.

Dementsprechend ist es zweifelhaft, ob die Wagner-Truppen in Belarus die Kraft aufbringen könnten, um Putin gefährlich zu werden. Doch Putin weiß, dass während des Wagner-Putsches im Juni auch Teile der Armee sich nicht gegen die Söldner-Truppen stellten. Deswegen hat die gegenwärtige Situation schon das Potenzial, Chaos in Russland und in Belarus auszulösen. Dagegen setzt der Kreml wahrscheinlich auf drei Dinge:

  • auf Lukaschenko, der die Söldner in Belarus zurückhalten soll.
  • auf eine neue Wagner-Führung, die dem Kreml nahesteht.
  • auf Angebote, dass die Söldner auch weiterhin als Kämpfer ein gutes Auskommen haben.

Der letzte Punkt ist wohl besonders ausschlaggebend. Viele der Wagner-Söldner sind erfahrene Soldaten, die in der Privatarmee angeheuert haben, um Geld zu verdienen. Prigoschin ist wohl tot, kann ihre Gehälter dann nicht mehr bezahlen. Das bietet natürlich Putin die Chance, sich ihre Treue zu kaufen. Sein nächstes Ziel im Umgang scheint klar zu sein: die völlige Kontrolle.

Verwendete Quellen
  • bbc.com: Where was Prigozhin before the crash? (engl.)
  • newsweek.com: Prigozhin Death Opens 'Window' for Belarus Partisans, Opposition (engl.)
  • time.com: With Its Leader Prigozhin Believed Dead, What’s Next for Wagner? (engl.)
  • merkur.de: Wagner-Söldner deuten Vergeltung an – "Seid bereit für uns"
  • zdf.de: Skepsis in der Ukraine, Stille in Belarus
  • cicero.de: Lukaschenko geht auf Polen und die EU zu
  • Eigene Recherche
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