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Journalismus im Iran: "Sie verfolgen sie so lange, bis sie verstummen"


Unterdrückung im Iran
"Sie verfolgen sie so lange, bis sie verstummen"


Aktualisiert am 15.09.2023Lesedauer: 5 Min.
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Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

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Proteste gegen das iranische Regime (Archivbild): Die Behörden schränken die Meinungs- und Pressefreiheit enorm ein.Vergrößern des Bildes
Proteste gegen das iranische Regime (Archivbild): Die Behörden schränken die Meinungs- und Pressefreiheit enorm ein. (Quelle: NurPhoto/getty-images-bilder)

Viele Journalistinnen und Journalisten im Iran machen auf die Missstände in ihrem Land aufmerksam. Dafür braucht es Mut – denn ihre Arbeit könnte sie ihr Leben kosten.

Das Regime in Teheran hat sie genau im Visier und greift zu allen Mitteln, um sie mundtot zu machen: Medienschaffende im Iran. "Wer dort unabhängig journalistisch arbeitet, lebt extrem gefährlich", warnt Christopher Resch von Reporter ohne Grenzen (RSF) im Gespräch mit t-online. Das sei schon seit Jahrzehnten so. Aber seit Beginn der Proteste vor einem Jahr seien so viele Journalistinnen und Journalisten in die Foltergefängnisse des Regimes verschleppt worden wie noch nie. Der Menschenrechtsorganisation sind fast 100 Fälle bekannt, doch die Dunkelzahl dürfte noch deutlich höher sein.

Mit seinem rigorosen Vorgehen gegen die Medienschaffenden versucht Teheran das Ansehen der Islamischen Republik in der Welt zu wahren. Denn die Berichterstattung könnte der Herrschaftselite gefährlich werden: Sie deckt auf, was wirklich im Land vor sich geht – die Unterdrückung der Bevölkerung durch das Regime, die Gewalt in den Gefängnissen und die tödlichen Schüsse der sogenannten Sicherheitskräfte gegen die Protestierenden.

Die Staatsführung lässt Journalistinnen und Journalisten darum streng überwachen, verfolgen und willkürlich verhaften. Doch trotz dieser Gefahr dringen immer wieder Berichte aus dem Land nach außen – durch Medienschaffende, die dafür ihr Leben riskieren. Wer sind sie?

Hamedi und Mohammadi deckten Aminis Tod auf

Die wohl bekanntesten Journalistinnen, die unter erheblichem Druck des Regimes stehen, sind Nilufar Hamedi und Elaheh Mohammadi. Sie berichteten als erste über Jina Mahsa Amini, deren Tod im vergangenen Jahr die landesweiten Proteste entfachte. Die 22-jährige Kurdin starb nach einer gewaltsamen Festnahme durch die sogenannte Sittenpolizei des islamischen Regimes. Hamedi veröffentlichte in den sozialen Medien kurz darauf ein Foto der trauernden Eltern Aminis. Mohammadi berichtete von der Beerdigung. Wenig später wurden beide gefangen genommen und sitzen seitdem im Gefängnis.

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Um den Druck zu erhöhen, wurde auch Mohammadis Schwester Elnaz zwischenzeitlich festgenommen. Menschenrechtler kritisieren Hamedis und Mohammadis Anhörungen als "Scheinprozesse". Sie erfolgen vor dem berüchtigten Teheraner Revolutionsgericht – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mehr zu den unfairen Prozessen des Regimes im Iran lesen Sie hier.

Von dem, was im Gerichtssaal geschieht, dringt nichts nach außen. Offiziell werden die Journalistinnen nicht wegen ihrer Berichterstattung über Aminis Tod angeklagt, sondern wegen einer angeblichen "Zusammenarbeit mit Amerika", sagte zuletzt ein Justizsprecher. Belege dafür nannte er nicht. Den beiden Frauen droht die Todesstrafe.

Trotzdem zeigen sie sich selbstbewusst: Sie sei "stolz auf ihre Arbeit als Journalistin", sagte Hamedi ihrem Ehemann zufolge bei ihrem letzten Gerichtstermin. (Lesen Sie hier mehr zu den Fällen Hamedi und Mohammadi.)

"Angst vor den rachsüchtigen Behörden"

Resch von Reporter ohne Grenzen weiß, dass das Medieninteresse bei Hamedi und Mohammadi groß ist. Für viele andere gelte das nicht. In diesen Fällen sei es mühsamer, herauszufinden, wie es den Betroffenen geht – "zumal die Angehörigen oft und leider zu Recht Angst vor den rachsüchtigen Behörden haben." Viele Inhaftierte seien in Gefängnissen und inoffiziellen Haftanstalten Folter ausgesetzt.

So ergeht es auch Nazila Maroofian, einer Journalistin, die wie die getötete Amini aus Saqqez, einer kurdischen Provinz im Westen Irans, kommt. Maroofian gilt als besonders regimekritisch: Im Oktober 2022 veröffentlichte sie ein Interview mit Aminis Vater Amdschad, der den Behörden vorwirft, über den Tod seiner Tochter zu lügen. Zudem schreibt sie über Menschenrechtsverletzungen im Land, etwa sexuelle Übergriffe auf weibliche Gefangene im Iran.

In den vergangenen Monaten wurde die Journalistin bereits viermal unter verschiedenen Vorwänden verhaftet, auch mit Gewalt. Immer wieder kam sie gegen Kaution frei, um dann wieder ins Gefängnis zu kommen. Im Januar war die Kurdin zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, ausgesetzt zu fünf Jahren Bewährung. Die Vorwürfe: "Propaganda gegen den Staat" und "Verbreitung von falschen Informationen".

Maroofian lässt sich nicht einschüchtern

Im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran soll sie in der Vergangenheit zwei leichte Herzattacken erlitten haben. Bei den Verhaftungen wurde ihre Wohnung durchsucht, persönliche Gegenstände beschlagnahmt, berichtete das Kurdistan Human Rights Network (KHRN). So gehen Regimekräfte regelmäßig vor, wenn sie Menschen gefangen nehmen. Während ihrer letzten Haft, die erst vor wenigen Tagen endete, trat Maroofian zeitweise in den Hungerstreik – "für alle unterdrückten Frauen Irans", erklärte sie.

Das zeigt: Die Einschüchterungsmethoden des Regimes scheinen die 23-Jährige nicht von ihrer Arbeit und dem Protest gegen das Regime abzuhalten. Auf sozialen Medien solidarisiert sie sich mit den Protestierenden und zeigt sich nach ihren Freilassungen immer wieder ohne Kopftuch – ein Verstoß gegen die strenge islamische Kleiderordnung des Regimes.

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"Sie verfolgen sie so lange, bis sie verstummen"

Dass das Regime die Menschen immer wieder freilässt und erneut verhaftet, hat System. So machen die Behörden Geld, wenn es die Angehörigen denn bezahlen können. Und von dem Vorgehen erhoffen sie sich noch einen weiteren Vorteil: "Sie erzeugen bewusst ein Klima der Angst, indem sie kritische Stimmen so lange verfolgen, bis sie verstummen", sagt Resch von RSF im Gespräch mit t-online.

Das zeigt auch der Fall von Kamya Fakoor. Der Journalist wurde im November 2022 erstmals festgenommen, zusammen mit seiner Frau Sarvenaz Ahmadi. Laut der Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) wurden beide zu einer Haftstrafe verurteilt, unter anderem wegen angeblicher "Propaganda gegen das Regime". Sie hatten etwa über Kinderzwangsarbeit im Iran berichtet.

Auch Fakoor und Ahmadi kamen zwischenzeitlich frei und wurden erneut inhaftiert. Und die Behörden unternahmen weitere Einschüchterungsversuche: So wurde Fakoor vom Evin-Gefängnis ins Ghezal-Hesar-Gefängnis gebracht. "Die Verlegung von politischen Gefangenen hat System und dient dazu, Druck auf Gefangene und ihre Familien auszuüben", erklärt Mariam Claren, Tochter der deutschen politischen Gefangenen Nahid Taghavi, auf X (ehemals Twitter). Auch das zwischenzeitliche Besuchsverbot in Haft soll Fakoor entmutigen, berichtete die Menschenrechtsorganisation Iran HMR.

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Die Organisation HRANA meldete vor wenigen Tagen außerdem, dass sich der Journalist einem weiteren Prozess des Regimes stellen muss. Die neuen Vorwürfe: "Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" und "Beleidigung von Gefängnisbeamten". Der Ausgang des Verfahrens ist ungewiss.

"Und deshalb muss sich das ganze System ändern"

"Die Repression hat seit vielen Jahren System, und deshalb muss sich das ganze System ändern", sagt Resch von Reporter ohne Grenzen. Westliche Staaten, vor allem Deutschland, sieht er hierfür in der Verantwortung: "International muss weiter Druck auf das Regime aufgebaut werden." Es brauche zudem unbürokratische und flexible Schutzzusagen der Bundesregierung. Diese müsse bedrohten Journalistinnen und Journalisten dabei unterstützen, nach Deutschland zu kommen, wenn sie das wollen.

Davon hätte auch die Bundesregierung einen entscheidenden Vorteil, so Resch: "Wir brauchen deren Einblicke und Expertise, weil wir mitbekommen und verstehen müssen, was im Iran vor sich geht."

Verwendete Quellen
  • Anfrage an Reporter ohne Grenzen
  • anfdeutsch.com: "Journalistin Nazila Maroofian auf Kaution freigelassen"
  • en-hrana.org: "Kamyar Fakoor and Sarvenaz Ahmadi Sentenced to a Total of Four years and Two Months" (englisch)
  • en-hrana.org: "Political Prisoners Kamyar Fakoor and Jafar Ebrahimi Face New Legal Case" (englisch)
  • twitter.com: Beitrag von @IranHrm vom 7. Juni 2023, Beitrag von @mariam_claren vom 3. September 2023, Beitrag von @ICHRI vom 25. Juli 2023
  • morgenpost.de: "Iran: Diese Frauen warten auf das Urteil des Todesrichters"
  • anfdeutsch.com: "Journalistin Nazila Maroofian in Iran erneut verhaftet"
  • anfdeutsch.com: "In Iran inhaftierte Journalistin Nazila Maroofian im Hungerstreik"
  • kurdistanhumanrights.com: "Iran court sentences Kurdish journalist Nazila Maroofian to prison" (englisch)
  • taz.de: "Nazila Maroofian ist eine Ikone"
  • anfdeutsch.com: "Journalistin wegen Interview mit Vater von Jina Amini verurteilt"
  • kurdistanhumanrights.com: "Iran security forces raid home of Kurdish journalist in Tehran" (englisch)
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