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G20-Gipfel in Indien: Wie eine Bombe eingeschlagen


G20-Gipfel in Indien
Es schlug ein wie eine Bombe

Von Patrick Diekmann, Neu-Delhi

Aktualisiert am 09.09.2023Lesedauer: 5 Min.
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Xi Jinping und Wladimir Putin: Beide bleiben dem G20-Gipfel in Indien fern.Vergrößern des Bildes
Xi Jinping und Wladimir Putin: Beide bleiben dem G20-Gipfel in Indien fern. (Quelle: SPUTNIK/rtr)

Die G20-Staaten treffen sich ohne Wladimir Putin und Xi Jinping in Indien. Trotzdem könnten Russland und China dafür sorgen, dass der Gipfel scheitert. In Neu-Delhi braut sich ein Sturm zusammen.

Indien räumt auf. Vor dem G20-Gipfel überlässt Premierminister Narendra Modi nichts dem Zufall: In Neu-Delhi hat die Regierung Slums abreißen lassen, die bis zuletzt etwa 500 Meter vom Gipfelort entfernt lagen. Extra engagierte "Affen-Männer" sollen zudem marodierende Rhesusaffen davon abhalten, Unruhe zu stiften und die als Schmuck aufgestellten Blumenarrangements für die Staats- und Regierungschefs zu zerstören.

Das Land will sich als moderne Großmacht inszenieren. Der G20-Gipfel am 8. und 9. September hat für die Regierung eine enorme Bedeutung – ein Scheitern möchte Modi um jeden Preis verhindern. Doch kann das gelingen?

Es bestehen Zweifel. Denn: Nach dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hat vor wenigen Tagen auch sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping seine Teilnahme abgesagt, was in Neu-Delhi einschlug wie eine Bombe. Hinzu kommt: Eine gemeinsame Abschlusserklärung der G20 ist nicht in Sicht.

Vor dem Gipfel brodelt es also gewaltig. Läuft alles schief, dürfte das Treffen für Modi zum Albtraum werden.

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Dabei hatte er sich mit dem Gipfel viel vorgenommen. Vor allem ans eigene Volk wollte der Premier eine Botschaft senden: Indien ist selbstbewusst, verhandelt auf Augenhöhe mit den anderen G20-Großmächten – mit dem Westen und mit China. Deswegen hat Modi aus diesem G20-Vorsitz das gemacht, was er als Politiker in der Vergangenheit schon oft erfolgreich getan hat: eine riesengroße Kampagne.

Jedes kleine Gipfeltreffen, jedes Arbeitsmeeting im Vorfeld des G20-Gipfels wurde groß inszeniert und die indische Regierung ließ im ganzen Land für die eigene G20-Präsidentschaft werben.

Außerdem nährt eine Einladung für ein offizielles G20-Abendessen Spekulationen über eine eventuell bevorstehende Namensänderung des Landes. In der förmlichen Einladung an die Staats- und Regierungschefs wird die Gastgeberin, Präsidentin Draupadi Murmu, nicht als Präsidentin von Indien, sondern als "Präsidentin von Bharat" bezeichnet, wie Medien berichten. "Bharat" ist ein altes Sanskrit-Wort für Indien, das beispielsweise in der Verfassung als Synonym verwendet und auch in der Bevölkerung häufig benutzt wird.

Dazu muss man wissen: Modi, der das Land seit 2014 regiert, befeuert seit jeher den Hindu-Nationalismus. Und manche radikale Hindus stören sich am amtlichen Landesnamen Indien, weil sie ihn mit der Sklaverei der Kolonialzeit verbinden. Eine Namensänderung – während die Weltöffentlichkeit auf das nun bevölkerungsreichste Land blickt – würde in Modis politisches Drehbuch passen, nicht zuletzt mit Blick auf die Parlamentswahlen im Mai 2024.

Erneuter Denkzettel für Russland?

Doch die große Show könnte dem indischen Premierminister aber verhagelt werden. Denn wie bereits der G20-Gipfel im vergangenen Jahr in Indonesien wird auch dieses Treffen der Staats- und Regierungschefs von einem Thema überschattet: dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Schon im vergangenen Jahr kam Putin nicht persönlich zum Gipfel und schickte seinen Außenminister Sergej Lawrow vor. Dieser wirkte isoliert und Russland geriet am Ende so unter Druck, dass es gezwungen war, eine Abschlusserklärung zu unterschreiben, in der alle G20-Staaten indirekt den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilten. Es war eine schwere außenpolitische Niederlage für Putin. Vor allem aber: Diese Erklärung wird nun zum Gradmesser für den Gipfel in Indien.

Die G20 müssen demnach wieder darüber entscheiden, ob sie Putin einen Denkzettel verpassen wollen. Auf Bali war es auch Indien, das sich für eine scharfe Tonalität in der Abschlusserklärung aussprach, erfuhr t-online aus europäischen Diplomatenkreisen. Nun wird der Gipfel in Neu-Delhi zeigen, ob der internationale Rückhalt für Putin immer noch so gering ist.

Lawrow machte schon vor seiner Reise nach Indien deutlich, dass Russland nichts unterschreiben würde, was die russische Position im Ukraine-Konflikt nicht berücksichtigen würde. Das würde für ein Scheitern des Gipfels sprechen, denn für einen Großteil der G20 sind die russischen Kriegspositionen untragbar. Es wird demnach in Neu-Delhi wieder darauf ankommen, wie isoliert Russland und wie groß der Druck auf den Kreml ist. Und das ist fraglich.

Mysteriöse Absage von Xi

Parallel richtet sich die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf China. Für viele Beobachter war es durchaus eine Überraschung, dass Xi seine Teilnahme am Treffen in Indien absagte. Selbst US-Präsident Joe Biden bedauerte das. "Ich bin enttäuscht ... aber ich werde ihn sehen", sagte er am Sonntag in Rehoboth Beach im US-Bundesstaat Delaware, ohne weitere Details zu nennen.

In seiner Amtszeit ist es das erste G20-Treffen, das Xi verpasst. Doch aus Peking heißt es lediglich, dass der chinesische Ministerpräsident Li Qiang nach Neu-Delhi reisen wird. Auch deshalb ranken sich um Xis Absage viele Spekulationen. Die vier gängigsten sind:

  • Putin und Xi möchten das Brics-Format aufwerten und zielen auf eine Schwächung der G20, die im Gegensatz zu dem Schwellenländer-Bündnis in ihren Augen strukturell für die westliche Hegemonie in der Welt stehen. Den Brics-Staaten gehören Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika an, alles Schwellenländer. Im Bund der G20-Staaten sind dagegen über die Hälfte der Länder dem westlichen Bündnis zuzuordnen. Deswegen haben die aufstrebenden Schwellenländer bei ihrem Gipfel in Südafrika Mitte August eine Erweiterung der Brics beschlossen. Die Brics sollen in jedem Fall ein Gegenpol zu den G7 werden.
  • Am Brics-Gipfel in Südafrika nahm Xi persönlich teil, Putin war immerhin virtuell zugeschaltet. Aber schon im August fiel Xi auf, weil er nicht zu seiner Rede erschien. Stattdessen trug der chinesische Handelsminister Wang Wentao die Rede des chinesischen Präsidenten vor, und danach Ende tat Peking öffentlich so, als habe Xi sie gehalten. Das weckte zusätzliche Spekulationen: Ist Xi vielleicht krank?
  • Jedoch könnte Xis Absage jetzt auch damit zusammenhängen, dass es schwere Grenzkonflikte zwischen China und Indien gibt. Im Himalaya kommt es immer wieder zu Gefechten und Toten auf beiden Seiten. China tritt in Asien immer aggressiver auf und Xi verknüpft das mit einer sehr nationalistischen Ideologie. Auch wenn beide Staaten vor dem G20-Gipfel betonen, ihre Beziehungen verbessern zu wollen, möchte Peking Modis G20-Show wahrscheinlich nicht fördern.
  • Auch in den Beziehungen zu den USA gibt es aus chinesischer Perspektive neuen Grund für Zorn. Denn die Biden-Regierung finanziert neue Waffen für Taiwan aus einem Fonds, der normalerweise souveränen Staaten vorbehalten ist.

Putin ist das Problem

Vielleicht speist sich der wahre Grund für die Absage des chinesischen Präsidenten aus mehreren dieser möglichen Faktoren. Fest steht: China ist aufgrund der wirtschaftlichen Probleme im Zuge der Corona-Pandemie immer noch geschwächt, die chinesische Regierung kämpft mit zahlreichen innenpolitischen Schwierigkeiten. Außenpolitisch dagegen kann Xi momentan nicht viel gewinnen, auch nicht in Neu-Delhi.

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Und klar ist auch, China braucht Russland und will einen Zusammenbruch des Putin-Regimes aus eigenen sicherheitspolitischen Interessen um jeden Preis verhindern. Doch der russische Präsident bleibt ein Problem für Peking, weil er sich international immer mehr abkapselt und unbeirrt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine weiterführt.

Das hat auch der chinesischen Friedensinitiative – sollte sie denn erst gemeint gewesen sein – in diesem Jahr den Wind aus den Segeln genommen. Xi müsste sich auch im Kreise der G20 erneut die Frage gefallen lassen, warum sich bisher in der Sache nichts bewegt hat.

Putin ist in Neu-Delhi jedoch auch der zentrale Prüfstein für Modi. Denn es ist gut möglich, dass sich der russische Präsident dieses Jahr in Indien noch kompromissloser verhält als 2022 in Indonesien. In diesem Fall hätten die indischen Gastgeber keine Chance, eine Einigung auf eine Abschlusserklärung wäre unmöglich – all der großen Gipfelinszenierung zum Trotz.

Verwendete Quellen
  • zdf.de: Die neue Welt-Un-Ordnung
  • bbc.com: Slums hidden as India puts on its best face for G20 (engl.)
  • tagesschau.de: Die große Modi-Show
  • time.com: The G20 Summit Is an Opportunity for Modi and a Test of India’s Global Leadership (engl.)
  • tagesschau.de: Xi wird nicht am G20-Treffen teilnehmen
  • Nachrichtenagenturen dpa, afp
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