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Türkei: Robert Habeck in Ankara – Keine Einigung mit Erdoğan wegen Hamas


Vizekanzler in der Türkei
Erdoğan zertrümmert Habecks Hoffnung

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 27.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Recep Tayyip ErdoganVergrößern des Bildes
Recep Tayyip Erdoğan: Mittler oder Brandstifter? (Quelle: Mick Tsikas/AAP/dpa/dpa-bilder)

Eigentlich sollte es um gute Nachrichten für die Wirtschaft gehen. Doch der Terror der Hamas überschattet Robert Habecks Reise in die Türkei. Kann ausgerechnet Erdoğan einen Flächenbrand verhindern helfen?

Robert Habeck sieht etwas verloren aus. Die Hände vor dem Bauch verschränkt, steht er im Mausoleum des türkischen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Die quadratischen Säulen aus hellem Kalkstein ragen meterhoch in die Luft. Durch ein gemustertes Fenster dringt nur wenig Licht hinein.

Einige Minuten zuvor hatte ein Offizieller Habeck auf dem gewaltigen Zentralplatz des Grabmals in militärischem Ton erklärt, was er so zu tun habe bei dieser Zeremonie: fast gar nichts. Seinen Kranz tragen dann zwei Soldaten vor Habeck her, Hunderte Meter weit und fast so viele Stufen zur Ehrenhalle hinauf. Der Vizekanzler trapst hinterher.

Erst zum Schluss, als fast alles vorbei ist, kommt Habecks großer Auftritt: Er geht in die Hocke und zupft die Kranzschleife zurecht.

Es sind an diesem Donnerstag in Ankara die wenigen Minuten für Robert Habeck, in denen er auf dieser Reise nicht rotiert. Er trifft hier in zwei Tagen vier türkische Minister und den Vizepräsidenten, nimmt an der Gemeinsamen Wirtschafts- und Handelskommission und dem Energieforum beider Länder teil, gibt einen Empfang für Wirtschaft und Zivilgesellschaft und besucht ein Unternehmen. Es ist ein Innehalten, so kann man es sehen.

Man kann den verlorenen Habeck im Mausoleum aber auch noch anders lesen: als Symbol für seine Rolle in der Großkrise, die seine gesamte Reise überschattet. Nach dem Terror der Hamas gegen Israel droht in der islamischen Welt ein Flächenbrand.

Die Türkei könnte helfen, ihn zu verhindern. Das hofft zumindest Habeck. Doch die Tage in Ankara zeigen, dass er mit seiner Hoffnung so verloren dasteht wie im Mausoleum.

Erdoğan zertrümmert Habecks Hoffnung

Wie kompliziert seine Mission wird, erfährt Habeck schon am Mittwochabend, als er noch 2.000 Kilometer Luftlinie von Ankara entfernt ist. Bevor er in Berlin in den Regierungsflieger steigt, spricht er den mitreisenden Reportern auf dem Rollfeld ein paar Worte in die Mikrofone.

Die Türkei sei ein "besonderer Partner", sagt Habeck, der in der geopolitischen Situation eine "vermittelnde Rolle einnehmen muss und soll". Man müsse versuchen, die Situation in Israel und der Region "stabil und in Frieden zu halten, so gut das geht". Darüber wolle er in Ankara sprechen. Es ist angesichts der verfahrenen Lage eine kühne Hoffnung.

Die Türkei als Führungsmacht der islamischen Welt, als Brücke zwischen West und Ost, so sieht sie sich gerne. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte sich nach dem Terror der Hamas rasch selbst als Vermittler ins Spiel gebracht. Nun aber, zwei Wochen später, spricht Erdoğan ganz anders. Wenige Stunden bevor Habeck auf dem Rollfeld in Berlin seine Hoffnung formuliert, arbeitet Erdoğan daran, sie zu zertrümmern.

Die Hamas sei keine Terrororganisation, sondern eine "Befreiungsorganisation", behauptet er. Sie kämpfe, um ihr Land und ihr Volk zu beschützen. Nach Vermittler will das so gar nicht mehr klingen.

Was das für seine kühne Hoffnung bedeute, wird Habeck also gefragt. Das sei ein Thema, bei dem man "überhaupt nicht übereinstimme", antwortet der. Die Hamas kämpfe nicht für die Freiheit, "im Gegenteil, sie hat Israelis abgeschlachtet" und trage nun Verantwortung, dass "dieses ja auch fürchterliche Leid im Gazastreifen passiert".

Es sei "eben eine besondere Partnerschaft", sagt Habeck. "Und das heißt trotzdem, dass man miteinander reden muss."

Reden, damit es nicht noch mehr kracht

Miteinander reden, damit es nicht noch mehr kracht. Darauf kommt Habeck immer wieder zurück, auch wenn es eigentlich um ganz andere Dinge geht. Im 26. Stock des Handelsministeriums zum Beispiel.

Dort tagt, mit Ausblick auf Erdoğans neuen 491-Millionen-Euro-Präsidentenpalast, die Jetco, die Gemeinsame Wirtschafts- und Handelskommission beider Länder. Es wird viel geklatscht in der Sitzung und viele gute Absichten gibt es auch: Zollprobleme sollen gelöst, industriell soll stärker zusammengearbeitet werden.

Als das Protokoll unterschrieben ist, beschränkt sich der türkische Handelsminister darauf, seinem engen Partner wortreich zu danken, dem "Günther" Habeck, der später noch zum "Roland" wird.

Habeck aber verweist auf die Krisen in der Nachbarschaft, wegen derer man "mehr miteinander reden" und auf "eine regelbasierte Welt" hinarbeiten müsse. Die Sache mit dem Namen umschifft er sicherheitshalber. Fürs Protokoll: Ömer Bolat heißt der Mann.

Der Spagat des Robert Habeck

Für Robert Habeck ist der Spagat zwischen seinen Rollen auf dieser Reise besonders schwierig. Als Wirtschaftsminister, der seiner Delegation von deutschen Unternehmern die Geschäfte nicht vermiesen will, darf er eigentlich niemanden ernsthaft verärgern. Als Vizekanzler aber muss er sich in dieser Zeit positionieren – und zumindest versuchen, irgendetwas zu retten.

Die Lage ist brandgefährlich, so sieht Habeck das. Experten hüten sich dieser Tage vorherzusagen, was in der Region passiert, wenn sich die Stimmung weiter hochschaukelt in der islamischen Welt. Wie weit sich der Krieg also ausbreiten könnte.

Es gibt die Angst, dass sich die Sache verselbstständigt, wenn der Druck auf die Machthaber der Region zu groß wird. Obwohl viele beteuern, keinen Krieg zu wollen. Auch die Türkei. Für ihre Rolle als Vermittler spricht, dass die Hamas im Präsidentenpalast ein und aus geht. Die Gesprächskanäle sind da, warum sie also nicht nutzen?

Doch viele hier sehen das Schlachten der Hamas wie ihr Präsident: als Befreiungskampf, als einen Aufstand der Gefangenen. Die neue Qualität der bestialischen Gewalt der Hamas sehen viele nicht, schildern Beobachter. Oder wollen sie nicht sehen. Warum also helfen?

Es liegt deshalb nahe, Erdoğans Wandlung vom Möchtegern-Vermittler zum Hamas-Verteidiger auch als innenpolitisches Manöver zu interpretieren. Um Zustimmung vor wichtigen Regionalwahlen im März abzugreifen. Doch Beobachter sagen: Erdoğan und dessen Leute sind überzeugt von dem, was sie behaupten.

Das macht die Situation politisch ungleich komplizierter. Mancher Beobachter hält es schon für eine positive Nachricht, dass Erdoğan immerhin (noch) nicht hart antisemitisch argumentiert. Doch wenn man sich nicht mal über die Fakten einig ist, wie soll das mit der Vermittlung funktionieren?

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Fundamentale Unterschiede im Gespräch

Als Robert Habeck am Donnerstagabend im kleinen Garten seines Hotels wieder die Reporter zusammenruft, um ihnen ein paar Worte in die Mikrofone zu sagen, scheint festzustehen: Eigentlich kann es gar nicht funktionieren.

Mittags hat der Vizekanzler mit dem Vizepräsidenten Cevdet Yılmaz gesprochen. Das Gespräch dauert doppelt so lange wie geplant. Und so wie Habeck im Hotelgarten spricht, liegt das nicht daran, dass man sich so gut verstanden hätte. Im Gegenteil, man darf es sich wohl turbulent vorstellen.

Er habe an diesem Tag immer wieder auf die Türkei eingewirkt, sagt Habeck, "ihre Kraft dafür zu nutzen, die Situation im Nahen Osten zu deeskalieren". Doch in den Gesprächen sei deutlich geworden, "dass wir in fundamentalen Aspekten dieses Konflikts gegenteilige, konträre Ansichten haben". Die Gespräche seien wichtig, dabei bleibt Habeck, aber sie hätten nicht dazu geführt, zu einem "gemeinsamen Blick" zu kommen.

Habeck sagt dann noch, die Türkei bekenne sich klar zur Zweistaatenlösung. Auch das Bemühen, auf die Freilassung der Geiseln einzuwirken, scheint er seinen Gesprächspartnern abzunehmen. "Das ist ja schon mal was."

Doch er sagt eben auch: "Meine Sorge ist groß, da will ich keinen Hehl draus machen, dass sich eine eh schon ganz fürchterliche Situation, die schon so viele Leben gekostet hat, weiter aufschaukelt."

Und als er das sagt, im Hotelgarten neben freundlichem Grün, da wirkt Robert Habeck ähnlich verloren wie im Mausoleum mit den meterhohen Säulen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
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