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Biden und Xi – Ukraine, Nahost, Taiwan: Zurück zur Diplomatie, bitte!


Raus aus der Sackgasse des Krieges
"Nie wieder" ist auch hier jetzt

MeinungVon Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 21.11.2023Lesedauer: 4 Min.
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Das wird kein Spaziergang: US-Präsident Joe Biden tritt gegenüber Xi Jinpings China viel zu nachgiebig auf.Vergrößern des Bildes
Diplomatische Dehnübungen in San Francisco: US-Präsident Joe Biden und Chinas Xi Jinping (Quelle: IMAGO/MFA CHINA)

Chinas Staatspräsident Xi und US-Präsident Biden haben jetzt ein rotes Telefon. Das ist eine gute Nachricht. Es ist höchste Zeit für mehr Diplomatie und weniger Krieg. In der Ukraine wie in Nahost. Oder Taiwan.

Hosenbeine als Sinnbild der Verschiedenheit: Als vergangene Woche US-Präsident Joe Biden und sein Gast, der chinesische Staatschef Xi Jinping, vor den Kameras der Welt durch einen kleinen Park spazierten, da fehlten dem Gastgeber zwei bis drei Zentimeter Stoff bis zum Schuh, die Xi seinerseits zu viel hatte. Bidens Gang verlieh der Hochwasserhose etwas zusätzlich Staksig-Stelzendes. Ohnehin bangt man am Bildschirm immer mit, wenn der leicht greise US-Präsident konzentriert einen Fuß vor den anderen setzt. Bei Xi wiederum betonte der plumpe Faltenwurf über dem Schuh seine ohnehin leicht buddhahafte Erscheinung.

Das Unvermögen der Leibschneider beider Weltenlenker ist am Ende eine lässliche Nebensache, eine Schnurre. Xi und Biden haben sich getroffen. Nach einem Jahr Eiszeit infolge eines von China auf die Reise geschickten und von den USA abgeschossenen Spionageballons. Sie haben vier Stunden – in unserer rasenden Zeit eine halbe Ewigkeit – miteinander gesprochen. Jawohl gesprochen. Nicht Noten ausgetauscht.

Es gibt wieder einen heißen Draht zwischen den USA und China

Sie sind dabei übereingekommen, dass sie sich jederzeit gegenseitig anrufen können (und die Spitze ihres jeweiligen Militärs sich wieder wechselseitig kontinuierlich unterrichtet). Das klingt wie eine Bagatelle oder wie eine Selbstverständlichkeit. Ist es aber nicht. Jedenfalls zuletzt nicht mehr gewesen. Deshalb ist das die beste Nachricht seit Langem. Die beiden aktuell weltbeherrschenden Männer haben buchstäblich wieder einen Draht, einen heißen Draht. Es stehen jetzt wieder zwei rote Telefone in Peking und Washington.

Auf dieser Welt ist in den vergangenen Jahren der Krieg schleichend an die Stelle der Diplomatie gerückt. Auch im pazifizierten Deutschland: Erst in den Out-of-area-Einsätzen auf dem Balkan. Dann in Afghanistan. Das war der Prolog einer Rückkehr des Kriegerischen zur Konfliktlösung. Die letzten Jahre schlafwandelt die Welt hinein in Brandherde, die sich unversehens zu Flächenbränden und auch zu einem Weltbrand auswachsen können. Ukraine, Nahost, am Horizont wetterleuchtet Taiwan. Politik und Bevölkerungen müssen aufpassen, dass es ihnen nicht so geht wie dem Frosch im langsam heißer werdenden Kochtopf. Wegen allmählicher Gewöhnung wird er darin schließlich gargekocht, ohne es zu merken.

Die Frühjahrsoffensive ist verpufft

Die sogenannte Frühjahrsoffensive, aus der ein Stellungskrieg im Sommer wurde, ist für die Ukraine erfolglos ausgegangen. Das muss man bedauern und diesem wehrhaften und tapferen Volk generell größten Respekt zollen. Und dennoch kann jetzt ein Punkt erreicht sein, an dem die Ukraine und ihr Präsident gewärtigen müssen, dass alle Militärhilfe des Westens nicht hinreicht, um diesen brutalen und rücksichtslosen Gegner Russland komplett vom eigenen Territorium zu verdrängen.

Der oberste Militärchef der Ukraine, Walerij Saluschnyj, hat das vor Kurzem in einem Interview mit dem britischen "Economist" und damit vor der Öffentlichkeit des globalen Westens eingeräumt: Er hätte es nie für möglich gehalten, dass Wladimir Putin 150.000 tote russische Soldaten verkraften kann, ohne dass das russische Volk aufbegehrt.

So ist es aber. Putin pumpt weiter Menschen und Material in diesen Krieg ohne jede Begrenzung. Der Glaube an die eine westliche Wunderwaffe, die die Wende bringt, hat sich jedes Mal aufs Neue als Irrtum erwiesen. Deshalb hat Oleksij Arestowytsch recht. Arestowytsch war ein enger Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und sagte jetzt im "Stern": "Wir sind in einer Sackgasse. Es ist Zeit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen."


Quotation Mark

"Es ist Zeit, sich den Verhandlungstisch zu setzen"


Ex-Präsidenberater Oleksij Arestowytsch


Zumal ein Momentum da sein könnte: Die positiven Meldungen der Europäischen Union zu Aufnahmeverhandlungen, damit verbunden eine Aussicht auf Mitgliedschaft in der Nato – zu Friedenszeiten. Das als Perspektive, die USA und die EU mit am Tisch, und es könnte auch über territoriale Fragen wie den Status der Krim mit Russland gesprochen werden.

Olaf Scholz hat Erdoğan zu Recht empfangen

Es war deshalb richtig, von Bundeskanzler Olaf Scholz den türkischen Präsidenten nach dessen furchtbaren Äußerungen zu Israel und der Hamas nicht ausgeladen, sondern vergangene Woche empfangen zu haben. Recep Tayyip Erdoğan hat bei diesem Treffen, das in recht frostiger Atmosphäre stattfand, denn auch nichts Radikales, sondern etwas Vernünftiges und Richtiges gesagt: dass er bei seinem Treffen mit dem deutschen Bundespräsidenten diesen dazu ermuntert habe, bei dessen anstehenden Besuch in Israel mäßigend auf die kriegführende Regierung einzuwirken. Er, Erdoğan, werde das dann zeitgleich auf der anderen Seite auch tun.

Ist das Appeasement? Dieser Verweis auf den naiven Versuch des britischen Premiers Neville Chamberlain, im Jahr 1938 Hitler in München auf Kosten der Tschechoslowakei zu befrieden, verkennt etwas Zentrales: Seinerzeit gab es einen einzigen Unmenschen, das Monstrum Adolf Hitler, das in seinem Wahn über alle Nachbarländer Deutschlands und Russland herfiel. Dieser Mann war nicht eines Besseren zu belehren oder zur Besinnung zu bringen. Wladimir Putin sicher auch nicht. Aber die Lage ist ungleich komplizierter. Es geht nicht nur um Putin.

Parallelen zur Zeit vor dem Ersten Weltkrieg

Vergleichbarer ist die Situation mit der Zeit vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Auch da spielte ein Deutscher eine unselige Rolle und lud Deutschland am Ende die Schuld an diesem Krieg auf. Aber es war doch alles etwas komplexer in den Vorkriegsjahren, wie der Historiker Christopher Clark verdienstvoll in seinem Buch "Die Schlafwandler" herausgearbeitet hat. Darin lädt er zu dem Gedanken ein: Bei etwas mehr Wachsamkeit wäre diese Katastrophe des Kontinents womöglich vermeidbar gewesen.

Nie wieder, hieß es nach 1945. Nie wieder Holocaust. Und: Nie wieder Krieg. Von General Clausewitz stammt das leider wahre, etwas strapazierte und eiskalte Wort, wonach der Krieg die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. Es ist an der Zeit, dass die Politik wieder zur Fortsetzung des Krieges mit besseren Mitteln wird. Es wird Zeit, dass die multipolare Welt von den Schlachtfeldern der Stellvertreterkriege an den Verhandlungstisch zurückkehrt.

Denn auch hier gilt: Nie wieder ist jetzt.

Verwendete Quellen
  • The Economist, eigene Überlegungen
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