t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikAusland

Migrationspolitik: Was Japan von Deutschland lernen kann


Migrationspolitik in Japan
Das kann weitreichende Folgen haben

MeinungVon Daiki Sakakibara

23.12.2023Lesedauer: 4 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
imago images 0262624250Vergrößern des Bildes
Passantinnen auf einer Straße in Tokio (Symbolbild): Die Stadt hat in den letzten zehn Jahren einen radikalen Wandel durchgemacht. (Quelle: Rodrigo Reyes Marin/imago images)

In Deutschland leben fast 15 Prozent Ausländer, in Japan zwei. Trotzdem gibt es einige Parallelen, schreibt der japanische Journalist Daiki Sakakibara.

"Warum recherchiert ein japanischer Journalist zu Rechtsextremismus und Einwanderung in Deutschland?"

Diese Frage wird mir, einem Reporter der liberalen Zeitung "The Tokyo Shimbun", derzeit in Deutschland häufig gestellt. Tatsächlich werde ich das auch in Japan gefragt. Offenbar drängt sie sich auf, weil Japan vermeintlich kein vergleichbares Problem hat.

Die Antwort ist einfach: Ich bin überzeugt, dass Japan trotz aller Unterschiede in der Migrationspolitik etwas von den Erfahrungen Deutschlands lernen kann.

Japan ist ein Land, das aufgrund seiner restriktiven Asyl- und Einwanderungspolitik nur wenige Migranten und noch viel weniger Flüchtlinge aufnimmt. Auf den ersten Blick ist die aktuelle Situation in beiden Ländern daher sehr verschieden.

In Deutschland lag der Ausländeranteil an der Bevölkerung im Jahr 2022 bei 14,6 Prozent. Das sind 5,8 Prozent mehr als im Jahr 2005, als Angela Merkel die Regierung übernahm.

Ausländeranteil steigt schnell

In Japan mit seinen rund 120 Millionen Einwohnern lag der Ausländeranteil im Jahr 2022 dagegen bei rund 2,2 Prozent. Das mag gering erscheinen und der Grund dafür sein, dass mancher infrage stellt, ob es überhaupt notwendig ist, sich mit dem Thema Migration zu beschäftigen oder gar etwas von anderen Ländern zu lernen. Doch verglichen mit den 1,6 Prozent Ausländern, die zehn Jahre zuvor in Japan lebten, ist die Geschwindigkeit des Anstiegs auch hier bemerkenswert.

(Quelle: privat)

Zur Person

Daiki Sakakibara, 34, arbeitet als Journalist für die japanische Tageszeitung "The Tokyo Shimbun". Dort schreibt er seit 2012 vor allem über Lokalpolitik und Menschenrechtsthemen. Er ist Teilnehmer des ersten deutsch-japanischen Programms des Internationalen Journalisten-Programme e.V. (IJP) und war von Oktober bis Dezember zu Gast in der Redaktion von t-online.

Schaut man sich zudem die Geschichte der "Gastarbeiter" in Deutschland an, lassen sich durchaus Gemeinsamkeiten finden und Lehren aus der deutschen Erfahrung ziehen.

Japan wandelt sich gerade. Das Land braucht ausländische Arbeitskräfte und sieht sich deshalb genötigt, sie ins Land zu holen. Die japanische Regierung vermeidet, wann immer möglich, das Wort "Einwanderer". Sie spricht stattdessen von "Praktikanten". Mich erinnert das an die Situation der "Gastarbeiter" in den 1950-70er Jahren in Deutschland. Denn so wie die "Gastarbeiter" haben auch die "Praktikanten" nicht den Status von Menschen, die abgesehen von ihrer Arbeitskraft im Land wirklich willkommen sind und dort ankommen sollen.

Japan steht am Anfang einer Entwicklung

Nach offiziellen Angaben gab es im Jahr 2022 in Japan 324.940 solcher "Praktikanten" aus 16 Ländern, fast 50.000 mehr als im Vorjahr. Die meisten kommen aus Vietnam, Indonesien, den Philippinen und China. Von Tokio bis hin zu kleinen Städten arbeiten heute in vielen kleinen Läden und Restaurants nur noch Nicht-Japaner. Auch in Fabriken, auf dem Bau, in der Pflege und in der Reinigungsbranche werden viele von ihnen eingesetzt.

In diesem Sinne hat vor allem Tokio in den letzten 10 Jahren einen sehr radikalen Wandel durchgemacht. Werden diese Menschen nicht integriert, könnte das zu einer politischen Spaltung führen. Meine Sorge ist, dass Japan am Anfang einer Entwicklung steht, die Deutschland längst durchgemacht hat.

Gastarbeiter in Deutschland begannen, ihre Familien nachzuholen. Sie ließen sich nach und nach dauerhaft im Land nieder. Weil die Regierung jedoch nicht genug unternahm, um ihre Integration voranzutreiben, entstand teilweise eine Art Parallelgesellschaft. Erst im Jahr 2005 begann Deutschland eine aktive Integrationspolitik, indem es in einem Zuwanderungsgesetz unter anderem Integrationskurse verbindlich regelte und bestimmte Einwanderer zur Teilnahme verpflichtete.

Video | Diskussion über Migrationspolitik
Player wird geladen
Quelle: t-online

In Japan ist man von solchen Schritten noch weit entfernt. Es gibt nicht einmal eine breite nationale Debatte darüber, ob es sinnvoll und notwendig ist, ausländische "Praktikanten" zu integrieren. Sie müssen zwar ein Mindestmaß an Japanischkenntnissen nachweisen. Früher war ihre Aufenthaltsdauer auf fünf Jahre begrenzt, in diesem Jahr hat die Regierung allerdings qualifizierten Arbeitskräften erlaubt, unbegrenzt bleiben und auch ihre Familien nachholen zu dürfen. Doch selbst sie werden von der Regierung noch nicht als "Einwanderer" bezeichnet. Das kann weitreichende Folgen haben.

Vorbehalte und Diskriminierungen gegenüber Ausländern

Zum Beispiel sind japanische Eltern nach der japanischen Verfassung verpflichtet, ihre Kinder (unter 15 Jahren) in die Schule zu schicken, während Nicht-Japaner dies nicht tun müssen. Ohne ausreichende Japanischkenntnisse und Integrationsmaßnahmen werden diese Menschen unter sich und isoliert bleiben. Dadurch findet kaum Austausch mit der einheimischen Bevölkerung statt, was wiederum Vorbehalte gegenüber Ausländern verstärkt und zu Diskriminierungen führt.

Eine Umfrage aus dem Jahr 2022 zeigt, dass etwa 40 Prozent der Nicht-Japaner in Japan die Erfahrung gemacht haben, in der Öffentlichkeit angestarrt zu werden. 25 Prozent von ihnen wurden belästigt, weil sie nicht perfekt Japanisch sprachen. Ich selbst wurde als Kind einer amerikanischen Mutter geboren und erlebte viele Belästigungen und Diskriminierungen nur wegen meines Aussehens. Auch Racial Profiling ist in Japan bei der Polizei verbreitet, dass also das Aussehen einer Person als Grundlage für polizeiliche Maßnahmen dient. All diese Beispiele zeigen: Japan ist nicht darauf vorbereitet, mehr Migranten aufzunehmen.

In Deutschland habe ich viele Menschen getroffen, die sagten, sie hätten es satt, dass so viele Ausländer ins Land kommen. Gleichzeitig gibt es viele Bürgerinnen und Bürger, die sich für die Integration von ihnen einsetzen und sich privat dafür engagieren. Es sind zwei gegensätzliche Bewegungen, Ablehnung und Unterstützung, die ich hier erlebt habe.

Die Situation in Deutschland und Japan ist politisch, kulturell und geografisch sehr unterschiedlich. Aber zumindest für Japan, das inzwischen mehr ausländische Arbeitskräfte aufnimmt, lohnt es sich, mehr über die Entwicklung der Migration und die politische Situation in Deutschland zu erfahren und daraus Lehren zu ziehen.

Denn so wie Deutschland sollte Japan begreifen, dass nicht Arbeitskräfte kommen, sondern Menschen. Eine wirkungsvolle Integrationspolitik ist daher der einzige Weg, einer Spaltung und Radikalisierung vorzubeugen.

Verwendete Quellen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website