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Wahl in der Türkei: Erdoğan zieht ins letzte Gefecht


In Istanbul entscheidet sich alles
Sie fürchten das Schlimmste


30.03.2024Lesedauer: 5 Min.
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Recep Tayyip Erdoğan: Der türkische Präsident möchte mit seiner AKP bei der Kommunalwahl die Metropolen Istanbul und Ankara zurückerobern.Vergrößern des Bildes
Recep Tayyip Erdoğan: Der türkische Präsident möchte mit seiner AKP bei der Kommunalwahl die Metropolen Istanbul und Ankara zurückerobern. (Quelle: IMAGO/Turkish presidency \ apaimages/imago-images-bilder)

Die Kommunalwahlen in der Türkei gelten als der letzte politische Kampf von Recep Tayyip Erdoğan. Während sich in Ankara ein deutliches Ergebnis abzeichnet, ist das Rennen in Istanbul eng. Muss der türkische Staatschef eine krachende Niederlage fürchten?

Die Tage der Fahnenmeere sind zurück. In der Türkei erinnern Wahlkämpfe deutsche Beobachter immer eher an Musikfestivals. So feierte Erdoğans AKP am vergangenen Sonntag ihren Wahlkampfabschluss auf dem Gelände des geschlossenen Flughafens Atatürk. Eine große Bühne, mehrere hohe Boxentürme waren aufgebaut, Tausende Menschen waren gekommen. Einige schwenkten AKP-Fahnen, andere haben sich rote Bänder mit dem Namen ihres Präsidenten um den Kopf gebunden. Es ist eine große Show, auch bei dieser Wahl wieder.

Aber ist es vielleicht die letzte für Recep Tayyip Erdoğan?

Fest steht: Für den türkischen Präsidenten ist es eine entscheidende Richtungswahl. In der Türkei haben vor allem die Bürgermeister der Metropolen Istanbul, Ankara und Izmir großen Einfluss. Das macht die türkischen Kommunalwahlen wichtig. In diesen Großstädten hatte die AKP bei den Kommunalwahlen 2019 gegen Kandidaten der oppositionellen CHP verloren. Eine Schmach für Erdoğan, die nun korrigiert werden soll. Seine AKP sinnt auf Rache. Doch einfach wird das nicht.

Eigentlich gilt Erdoğan als politisches Zugpferd seiner Partei, als Garant für die Wahlerfolge der AKP. Die Türkei steckt aber weiterhin in einer großen Wirtschaftskrise, die mehr und mehr einen Schatten auf Erdoğans Präsidentschaft wird. Der Fokus dieser Kommunalwahl wird vor allem auf Istanbul liegen, wo das Rennen äußerst spannend ist.

Katastrophale wirtschaftliche Lage

Deswegen mischt sich der türkische Präsident umfassend in den Wahlkampf ein, obwohl er gar nicht zur Wahl steht. "Dies ist mein Finale, meine letzte Wahl", ließ er bereits Anfang März über die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu verkünden. Diese Aussage ist nicht neu, schon bei der türkischen Präsidentschaftswahl 2023 hatte er im Vorfeld angekündigt, nicht noch einmal anzutreten.

Kommunalwahlen in der Türkei 2024

Rund 61 Millionen Wähler sind am 31. März dazu aufgerufen, landesweit Bürgermeister und Kommunalparlamente zu wählen. Im Fokus der Wahl aber steht neben der Hauptstadt Ankara und der Millionenstadt Izmir an der Westküste besonders die Bosporus-Metropole Istanbul, die bevölkerungsreichste Stadt und das wirtschaftliche Herz des Landes.

Erdoğan zielt mit derartigen Aussagen vor allem auf die Emotionen der Nation. Er ist seit 21 Jahren an der Macht, vor allem viele junge Türkinnen und Türken kennen nur ihn als entscheidende politische Figur im Land. Doch er und seine AKP punkteten bei Wahlen vor allem mit dem Nimbus des wirtschaftlichen Aufschwungs. Aber die türkische Regierung kann die Wirtschaftskrise seit Jahren nicht unter Kontrolle bringen. Im Februar lag die Inflationsrate bei 67,1 Prozent und ein Euro ist mittlerweile 35 Lira wert. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren bekam man in der Türkei für einen Euro noch 2,5 Lira.

Der Währungsverfall geht immer weiter und die heimische Währung erreicht Monat für Monat neue Tiefststände. Die AKP und Erdoğan profitierten stets von der Zuschreibung, die Garanten für wirtschaftliche Stabilität zu sein. Das ist mittlerweile völlig kollabiert. Die Wirtschaftslage im Land ist schlecht, viele Rentner etwa sind wütend, ihre Stimmen könnten das Blatt gegen den türkischen Staatschef wenden. Ein weiteres Risiko für den Präsidenten ist der Aufstieg der islamistischen Partei Yeniden Refah, die der AKP Stimmen abgraben könnte.

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) punktete in ihren zwei letzten Wahlkämpfen vor allem mit einem Satz: "Sie kennen mich." Erdoğan macht es ähnlich, appelliert an die Treue seiner Anhänger, die bei Wahlen oft bedingungslos war. Sein Motto: Ein letztes Mal noch. Danach höre ich auf.

Erdoğans besondere Beziehung zu Istanbul

Vor allem Istanbul ist für Erdoğan von besonders großer Bedeutung. In der türkischen Metropole wuchs er auf, hier spielte er in seiner Jugend Fußball und hier begann seine politische Karriere als Bürgermeister ab 1994. Spricht man 30 Jahre danach mit Menschen in der Stadt, dann geben selbst seine Kritiker zu, dass ein guter Bürgermeister war. Oft ist aber eben nicht von Brücken, Moscheen oder anderen Großprojekten die Rede. Viele Istanbuler rechnen dem Präsidenten vor allem hoch an, dass er damals die Müllabfuhr revolutioniert hat.

Die enge Bindung an die größte Stadt in der Türkei führt dazu, dass er die Niederlage seiner AKP gegen den Kandidaten der sozialdemokratischen CHP Ekrem Imamoğlu bei der Kommunalwahl persönlich nahm. Ein türkisches Gericht verurteilte Imamoğlu im Jahr 2022 wegen angeblicher Beleidigung der Wahlkommission. Beobachter sehen darin einen Racheakt von Erdoğan.

Die Anklage war politisch motiviert. Imamoğlu konnte nach dem Urteil zwar sein Amt weiter ausüben, aber durch das Urteil war es ihm unmöglich, bei der Präsidentschaftswahl 2023 für die CHP zu kandidieren. Das Vorgehen des türkischen Präsidenten zeigt, dass er den aktuellen Bürgermeister von Istanbul durchaus als Gegner ernst nimmt.

Deswegen setzt Erdoğan alles daran, dass der Kandidat der AKP, Murat Kurum, in Istanbul gewinnt. Kurum ist ein farbloser Technokrat, der aus Sicht vieler als Strohmann des Präsidenten fungiert. Im Wahlkampf fiel er eher durch Versprecher und ungelenke Tanzeinlagen auf. Nach Meinung des politischen Analysten Berk Esen steckt hinter der Nominierung des 47-jährigen ehemaligen Städtebauministers die Absicht Erdoğans, innerparteilich keinen ernst zu nehmenden Konkurrenten aufzubauen.

Verfolgt Erdoğan die gleiche Strategie wie Putin?

Sollte Kurum also die Wahl gewinnen, wäre es ein Sieg Erdoğans: Denn er hätte damit wahrscheinlich mit Imamoğlu einen der aussichtsreichsten Kandidaten der CHP für das Präsidentenamt politisch aus dem Weg geräumt. In den Umfragen liegt Kurum durchschnittlich tatsächlich knapp mit einem Prozent vor Imamoğlu. Der Ausgang der Wahl ist ungewiss.

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Doch warum betreibt Erdoğan diese Machtspiele, wenn er ohnehin von der Macht ablassen möchte? Einerseits ist der türkische Präsident der Überzeugung, dass nur er Wahlen für die AKP gewinnen kann. Andererseits werfen ihm Kritiker vor, dass die Rückzugsankündigung des türkischen Staatschefs eine Lüge ist. Schließlich hat auch der russische Präsident Wladimir Putin schon einmal aus taktischen Gründen angekündigt, nicht mehr Präsident werden zu wollen und seine Meinung geändert.

Einige Beobachter fürchten das Schlimmste: Sollte Istanbul zurück an die AKP gehen, droht der Türkei laut Beobachtern ein weiteres Abgleiten in den Autoritarismus. Erdoğan könnte sich dadurch beflügelt fühlen und Grenzen austesten – zum Beispiel die einer Verfassungsänderung, um sich nach 2028 eine erneute Amtszeit zu sichern, die die derzeitige Verfassung verbietet.

AKP liegt in Ankara deutlich zurück

Der Politikanalyst Murat Yetkin ist sich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa sicher: Auf einen Sieg Kurums in Istanbul würde unweigerlich die Schwächung der Kontrollmechanismen in der Exekutive folgen, "und eine weitere Kandidatur Erdoğans".

Imamoğlu gilt eigentlich als beliebter Bürgermeister. Allerdings steckt seine CHP in Flügelkämpfen, weil es innerparteilich alte säkulare Eliten gibt, die den gläubigen Muslim Imamoğlu ablehnen. Dabei ist diese Gläubigkeit auch Wahltaktik. Denn in der Türkei ist eine gewisse Form der religiösen Partizipation notwendig, um für die breite Gesellschaft wählbar zu sein.

Wie erfolgreich diese Politik sein kann, zeigt der CHP-Bürgermeister Mansur Yavaş in Ankara. Auch er gilt als gläubig und konservativ und er liegt in den Umfragen in der einstigen AKP-Hochburg im Durchschnitt neun Prozent vor Erdoğans Kandidat Turgut Altınok. Auch in Izmir scheint die CHP sich an der Macht halten zu können.

Kommunalwahl könnte über Zukunft des Landes entscheiden

Die Kommunalwahl in der Türkei läuft also auf einen Kampf um Istanbul heraus. Hier entscheidet sich, ob Erdoğan bei dieser Wahl einen Denkzettel bekommt. Sollte die AKP trotz der wirtschaftlichen Misere des Landes triumphieren, dann auch deshalb, weil es dieser Wahl an Fairness mangelt: Die AKP hat weitaus mehr Zugriff auf finanzielle Mittel. 90 Prozent der Medien sind in Regierungshand, in denen die Sicht der Partei unhinterfragt verbreitet wird.

Am Ende könnten es ausgerechnet die kurdische Bevölkerung sein, die über Sieg und Niederlage entscheidet. Vor allem der Erdoğan-kritische Teil der Kurdinnen und Kurden müsste zur Wahl gehen und sich im Zweifel in einer Stichwahl in Istanbul für die CHP entscheiden. Dafür spricht, dass die türkische Regierung nach der Kommunalwahl vor allem im Südosten des Landes Bürgermeister der prokurdischen HDP abgesetzt und sie durch AKP-Stadthalter ersetzt hat. Die Wut auf Erdoğan ist hier sehr groß. Dagegen spricht aber, dass die prokurdische DEM, eine Nachfolgepartei der HDP, in Istanbul eine eigene Kandidatin ins Rennen schickt. 2019 hatte die HDP sich noch hinter Imamoğlu gestellt.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • euractiv.de: Türkische Kommunalwahlen: Istanbul wird ausschlaggebend sein
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