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Aus Orbáns eigenen Reihen: Wird ihm Péter Magyar zur Europawahl gefährlich?


Politische Unruhe in Ungarn
Wird dieser Mann Orbán nun gefährlich?


21.04.2024Lesedauer: 5 Min.
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Geschäftsmann Péter Magyar in Budapest: Er wettert gegen Orbáns Regierung.Vergrößern des Bildes
Geschäftsmann Péter Magyar in Budapest: Er wettert gegen Orbáns Regierung. (Quelle: REUTERS/Marton Monus/File Photo)

Noch bis vor Kurzem war Péter Magyar Teil von Viktor Orbáns Partei. Doch nun organisiert er Proteste gegen die ungarische Regierung – und will Orbán bei der Europawahl herausfordern.

Es kommt nicht oft vor, dass jemand Viktor Orbán gefährlich wird. Seit fast 14 Jahren regiert er Ungarn beinahe unangefochten. Doch nun regt sich etwas in dem Land. Ein bis vor Kurzem noch unbekannter Mann bringt auf einmal Zehntausende auf die Straßen. Péter Magyar heißt er und kommt nicht, wie man annehmen könnte, aus der Opposition, sondern war jahrelang Mitglied in Orbáns eigener Partei, der Fidesz.

Als "Mafia-Staat" bezeichnet er Orbáns Ungarn, wirft dem Umfeld des Regierungschefs Korruption und Machtmissbrauch vor. "Die Regierung möge die Macht zurück in die Hände des Volkes legen und ihm die Wahlmöglichkeit geben", sagt Magyar bei einer Demonstration in Budapest Anfang April vor Zehntausenden Zuhörern. In den vergangenen Tagen tourte er durch verschiedene Provinzen Ungarns, zog auch dort zahlreiche interessierte Bürger an. Bekannte YouTuber laden ihn ein in ihre Shows, er ziert die Titelseiten von Zeitungen und Magazinen, will mit der bislang unbekannten Partei Tisza bei den EU-Wahlen antreten.

Und nicht nur in Ungarn fragt man sich: Kann Magyar Orbán, der seit 14 Jahren unangefochten regiert, gefährlich werden?

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Auf einmal auf der Bildfläche erschienen

Magyar erschien im Februar plötzlich und ganz unverhofft auf der Bildfläche – wegen seiner viel bekannteren Ex-Frau, Judit Varga. In Ungarn ist sie bekannt, weil sie bis Juli 2023 Justizministerin war und als Fidesz-Spitzenkandidatin in den Europawahlkampf ziehen wollte. Dann aber kam der sogenannte Pädophilie-Skandal, in dessen Zuge sie und die Präsidentin des Landes, Katalin Novák, von der politischen Bildfläche verschwanden.

Wie im Januar bekannt wurde, begnadigte Novák bereits im April 2023 einen Mann, der den vielfachen Kindesmissbrauch seines Chefs schützte. Varga als damalige Justizministerin zeichnete die Begnadigung gegen. Dass gerade Fidesz-Politikerinnen einen Mann begnadigten, der wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern verurteilt worden war, stellte die Regierung, die sich stetig als Beschützerin der Kinder stilisiert, in keinem guten Licht dar.

Posten niedergelegt, aus Partei ausgetreten

Orbán distanzierte sich rasch von seinen beiden Weggefährtinnen, die kurz zuvor noch als die freundlichen Gesichter Ungarns galten und zudem zu den wenigen Frauen in Ungarns Spitzenpolitik zählten. Doch schon damals kamen Fragen auf, wie viel Orbán selbst über diesen Fall wusste. "Nichts geschieht in Ungarn ohne seine Zustimmung", schrieb etwa die oppositionelle EU-Abgeordnete Katalin Cseh.

Befeuert wurde das auch von Péter Magyar. Fast zeitgleich zum Rücktritt seiner Ex-Frau legte er seine hochrangigen Ämter bei staatlichen ungarischen Unternehmen nieder, trat aus der Fidesz aus – und schoss gegen die Regierung: "Ich möchte keine Minute länger Teil eines Systems sein, in dem sich die wahren Schuldigen hinter Frauenröcken verstecken." Das alles verkündete er in einem Facebook-Post, der anschließend durch die Decke ging. Dass sich jemand aus dem inneren Fidesz-Zirkel so offen gegen Orbán stellt, das ist in Ungarn höchst ungewöhnlich.

"Magyar bietet nun Wählern eine Alternative an"

"Peter Magyar mischt jetzt ein System auf, das seit Ende der 1990er hauptsächlich von zwei Personen geprägt ist: auf der rechten Seite Viktor Orbán und auf der linken Ferenc Gyurcsány", sagt Michael Winzer, Leiter des Budapester Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Gyurcsány war selbst in den 2000er-Jahren Ministerpräsident, prägt seitdem die Oppositionslandschaft entscheidend mit.

In diesem polarisierten System habe sich lange keine andere relevante politische Kraft entwickeln können, so Winzer. Das ändert sich jetzt. "Magyar bietet nun Wählern eine Alternative an."

Dabei profitiert er laut Winzer von der derzeitigen Unzufriedenheit. Die Inflation hat das Land in den vergangenen zwei Jahren besonders hart getroffen, lag zeitweise bei über 25 Prozent und damit weit über dem EU-Schnitt. Besonders die Preise für Lebensmittel steigen drastisch, verteuerten sich zwischenzeitlich sogar um 46 Prozent.

Hohe Inflation hat Unzufriedenheit geschürt

Die Regierung Orbán macht die Sanktionen gegen Russland wegen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine dafür verantwortlich, spricht gar von "Sanktionsinflation". Doch Experten sehen auch eine fehlgeleitete Wirtschaftspolitik als Ursache sowie die grassierende Korruption, wie Sie hier lesen. Mittlerweile sind die Raten zwar wieder deutlich gesunken, doch die Verunsicherung wirkt nach.

Vor allem das Anprangern der Korruption hat sich Péter Magyar auf die Fahne geschrieben. Um das zu unterstreichen, veröffentlichte er sogar eine heimlich mitgeschnittene Tonaufnahme eines Gesprächs von Anfang 2023 mit seiner damaligen Frau und Justizministerin Judit Varga, in dem sie über Korruption in ihrem Ministerium spricht. Varga entgegnete, ihr Ex-Mann habe sie zu Aussagen manipuliert und genötigt, die nicht stimmten. Ein Vorwurf, den Magyar wiederum bestreitet.

Unklar, wofür Magyar politisch steht

Das ständige Deuten auf die Korruption aber, das ist der Kern von Magyars oft einstündigen Reden. Die Ungarn hätten genug davon, wiederholt er immer wieder, stattdessen wollten sie ein demokratisches, modernes Ungarn. Doch wofür steht der Mann, der so passend mit Nachnamen "Ungar" heißt, darüber hinaus?

Noch sei weithin unklar, welche Positionen Magyar genau vertrete, sagt Michael Winzer. "Er hat sich bislang nicht zu europapolitischen Themen geäußert, sondern hauptsächlich zu den Skandalen von Fidesz." Derzeit scheine er vor allem für eine "bessere, skandalfreiere Fidesz" zu stehen, so Winzer. Dazu passt, dass Magyar zwar betont, für ein europäisches Ungarn stehen zu wollen. Im Gegensatz zu Oppositionskandidaten aber, die sich wie Péter Marki-Zay im Wahlkampf 2022 gerne in Abgrenzung zu Orbán mit ungarischen und EU-Flaggen zeigten, wehen auf Magyars Protesten nur Nationalfahnen.

Erste, vage Positionen zum Ukraine-Krieg

Auch zu seinen Ansichten zum Krieg in der Ukraine äußerte Magyar sich lange nicht. Dabei wird vor allem mit Spannung erwartet, ob er sich von der russlandfreundlichen Politik Orbáns (mehr dazu lesen Sie hier) abgrenzen wird. Der ungarische Ministerpräsident hatte erst kürzlich gesagt, dass er die Ukraine nicht mehr als souveränen Staat sehe, auch wenn Ungarn dem Land helfen wolle, "irgendwie zu überleben".


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Erste Äußerungen Magyars zeigen allerdings nur vage Positionen, die sich zumindest rhetorisch deutlich von der aggressiven Wortwahl Orbáns abgrenzen. In einer Neun-Punkte-Liste, die er kürzlich auf Facebook teilte, scheint sich der 43-Jährige um eine ausgewogene Position zu bemühen. In einigen Punkten bleibt er nah bei den Fidesz-Positionen. So kommen Waffenlieferungen nicht vor und er verweist betont auf die Rechte der ungarischen Minderheit in der Ukraine hin – ein Thema, dass Orbán immer wieder gegen die Ukraine aufbringt.

Umfrage zeigt erste Tendenz für Europawahl

In einem anderen Punkt wird er deutlicher: "Wenn wir den Verlust ukrainischen Territoriums akzeptieren, werden wir die Eroberungskriege in Europa neu legitimieren und die zwischenstaatlichen Sicherheitsgarantien aufheben" – Worte, die man so von Orbán nicht hören würde. Dass Magyar aber eine grundlegend andere Außenpolitik machen würde als Orbán, das glaubt Ungarnexperte Michael Winzer nicht.

Doch wem wird Magyar mit seinen Positionen gefährlich? Der regierenden Fidesz oder doch eher der Opposition, die es bislang auch nicht im breiten Bündnis geschafft hat, Orbáns Macht zu beschneiden? Eine Gewissheit wird die Europawahl am 9. Juni schaffen. Die Fidesz zeigt sich bislang entspannt. Magyar selbst prophezeit, das Ergebnis werde "zum ersten Sargnagel" für das Orbán-System.

Eine Umfrage von Europe Elect für das Onlinemagazin "Euroactiv" zeigt nun eine erste, vorsichtig zu interpretierende Tendenz: Magyars Partei könnte drei Sitze im Parlament ergattern – allerdings auf Kosten der Opposition. Die Fidesz hingegen kommt derzeit auf zehn Sitze.

Verwendete Quellen
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