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Recep Tayyip Erdogan mit One-Man-Show im Präsidentschaftswahlkampf


Präsidentenwahl in der Türkei
Erdogans One-Man-Show

Von Hasnain Kazim, Istanbul

Aktualisiert am 09.08.2014Lesedauer: 4 Min.
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Türkischer Premier Recep Tayyip Erdogan mit besten Chancen, Präsident zu werdenVergrößern des Bildes
Türkischer Premier Recep Tayyip Erdogan mit besten Chancen, Präsident zu werden (Quelle: ap-bilder)

Die Türkei wählt einen neuen Präsidenten - und am Sieg von Recep Tayyip Erdogan gibt es kaum Zweifel. Zu dominant der Favorit, zu unfair der Wahlkampf. Für das Land bedeutet das: Im neuen Amt bündelt der amtierende Premier noch mehr Macht.

Recep Tayyip Erdogan duldet keine Kritik - ganz einfach. Wer es trotzdem wagt, gilt schnell als Vaterlandsverräter. Es kann jeden treffen: Studenten, Politiker, Journalisten. Gezi-Demonstranten wurden von der Straße geprügelt, Dutzende Journalisten verloren wegen unliebsamer Berichterstattung ihre Jobs, viele sitzen im Gefängnis. Schon die Frage, ob die türkische Wirtschaft nicht ein wenig überhitzt sei, gilt als unerhörte Kritik.

Sein neuestes Opfer: die für den britischen "Economist" arbeitende Journalistin Amberin Zaman, die es gewagt hatte, den Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu zu fragen, ob es in einer muslimischen Gesellschaft überhaupt möglich sei, die Mächtigen zu kritisieren.

Erdogan wertete das als Angriff auf den Islam und auf sich, nannte Zaman am Donnerstag bei einem Wahlkampfauftritt eine "schamlose militante Frau, getarnt als Journalistin". "Sie sollten wissen, wo Ihre Grenzen sind!", donnerte er - als habe Zaman irgendeine Grenze überschritten.

Am Sonntag tritt Erdogan bei der ersten direkten Präsidentenwahl an. Er benötigt die absolute Mehrheit, also 50 Prozent plus eine Stimme. Wahlberechtigt sind etwa 53 Millionen Türken. Die etwa 2,8 Millionen im Ausland lebenden Türken durften bereits in der vergangenen Woche wählen, aber nur etwa 230.000 Menschen machten von ihrem Wahlrecht Gebrauch.

Umfragen zeigen, dass er es in der ersten Runde schaffen könnte, seine beiden Konkurrenten zu besiegen. Bleibt er unterhalb dieser Grenze, kommt es in zwei Wochen zu einer Stichwahl. Spätestens dann dürfte Erdogan gewinnen.

Nach elfeinhalb Jahren als Premierminister ist er kurz davor, seine Macht noch weiter auszubauen. Trotz des gewaltsamen Vorgehens des Staats gegen Demonstranten im ganzen Land im vergangenen Sommer, trotz einer Korruptionsaffäre, trotz Defiziten bei der Presse- und Meinungsfreiheit feiern ihn viele Türken für seine Erfolge. Für den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes, den Ausbau der Infrastruktur, dafür, dass er den Friedensprozess mit den Kurden vorantreibt und das übermächtige Militär zurechtgestutzt hat.

Mehrfach hat er angedeutet, auch im Jahr 2023 noch an der Macht sein zu wollen, wenn die Republik Türkei ihren 100. Geburtstag feiert. Als Premierminister durfte er nach drei Amtszeiten nicht mehr antreten, nun wird er eben Präsident. Gelingt ihm das, geht er in die Geschichte ein als mächtigster Politiker der Türkei seit Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk.

Er darf Sitzungen der Regierung einberufen und leiten

Anders als seine Vorgänger im Amt des Staatschefs möchte Erdogan nicht nur oberster Repräsentant sei. Stattdessen will er die Befugnisse, die ihm die Verfassung einräumt, voll interpretieren und ausschöpfen. Demnach darf er Sitzungen der Regierung einberufen und leiten, "wenn er es für erforderlich hält". Zudem heißt es in der Verfassung: "Gegen die vom Präsidenten der Republik eigenverantwortlich unterzeichneten Beschlüsse und Anordnungen können die Behörden der Rechtsprechung einschließlich des Verfassungsgerichts nicht angerufen werden."

Erdogan hat schon angekündigt, dass er als Präsident die Regierungsgeschäfte zu übernehmen gedenkt. Es könne sein, dass er "das wöchentliche Treffen mit dem Ministerpräsidenten als nicht ausreichend" sehe. Er werde auch an Kabinettssitzungen teilnehmen. "Ich sehe, dass meine Nation das präsidiale System mit dieser Wahl annehmen wird", sagte er diese Woche. "Es ist sinnvoll für fortschrittliche Staaten, in der Regel ein präsidiales System zu haben."

Kritiker befürchten jedoch eine weitere Einschränkung von demokratischen Rechten.

So ließ Erdogan kurzerhand Twitter und YouTube sperren, als heimliche Mitschnitte von Telefongesprächen auftauchten, die ihn als korrupt dastehen ließen. Laut dem Premier handelt es sich um eine "Schmierkampagne" seines einstigen Weggefährten Fethullah Gülen, einem islamischen Prediger, mit dem er sich überworfen hat. Erdogan wirft Gülen vor, einen "parallelen Staat" aufbauen zu wollen und staatliche Institutionen wie Polizei und Justiz zu infiltrieren. Tausende Beamte wurden deswegen entlassen oder strafversetzt.

533 Sendeminuten für Erdogan, unter fünf für die Opposition

All das kam im Wahlkampf kaum zur Sprache, denn die Konkurrenten Erdogans um das Präsidentenamt fanden in den Medien kaum statt. Es war ein grotesk ungleicher Wettbewerb: Eine Datenerhebung vom 4. bis 6. Juli ergab, dass der staatliche Fernsehsender TRT 533 Minuten über Erdogan berichtete, aber nur drei Minuten und 24 Sekunden über Ekmeleddin Ihsanoglu, dem gemeinsamen Kandidaten der größten Oppositionspartei CHP, die zwischen Nationalismus und Sozialdemokratie schwankt, und der nationalistischen MHP. Dem Kandidaten der linken kurdischen HDP, Selahattin Demirtas, wurden gerade einmal 45 Sekunden Sendezeit zugestanden.

Erdogan hat mehrfach gesagt, "60 bis 70 Prozent gehören uns". Für ihn wäre es also eine Niederlage, wenn er nicht im ersten Wahlgang gewinnt. Auch wenn der Sieg Erdogans wahrscheinlich erscheint, rechnet die Opposition mit Wahlbetrug.

Diese Befürchtung teilen die Wahlbeobachter der OSZE. Erdogan bediene sich für seinen Wahlkampf öffentlicher Gelder und staatlicher Infrastruktur, kritisierten sie in einem Bericht von Ende Juli. Wahlkampf werde als offizieller Regierungsauftritt getarnt und entsprechend aus der Staatskasse finanziert.

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