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Populisten greifen nach der Macht: Die Italien-Wahl wird zur Gefahr für Europa


Populisten greifen nach der Macht
Die Italien-Wahl wird zur Gefahr für Europa

t-online, Bettina Gabbe

Aktualisiert am 02.03.2018Lesedauer: 5 Min.
Italiens ehemaliger Ministerpräsident Silvio Berlusconi: Vorerst darf der einstige Regierungschef keine öffentlichen Ämter übernehmen.Vergrößern des BildesItaliens ehemaliger Ministerpräsident Silvio Berlusconi: Vorerst darf der einstige Regierungschef keine öffentlichen Ämter übernehmen. (Quelle: Flavio Lo Scalzo/ANSA/ap-bilder)
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Am Sonntag wählen die Italiener ihre neue Regierung. Mit dabei sind Rechtspopulisten, Postfaschisten, Euroskeptiker – und auch Berlusconi mischt wieder mit.

Aus Italien berichtet Bettina Gabbe

Obwohl die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer deutlich abgeebt sind, gelangen noch immer zahlreiche Migranten vor allem aus dem südlichen Afrika über das Mittelmeer nach Italien. Deren unübersehbare Präsenz als Bettler, Obdachlose und Tagelöhner macht vielen Bürgern Angst. So rückte das Thema Einwanderung in den Mittelpunkt des Wahlkampfs. Ausländerfeindliche und rechtsextremistische Parolen von populistischen Parteien heizten das Klima vor dem 4. März so auf, dass es zu Gewalt von Links- und Rechtsextremisten kam.

Besonders der Mord an einer 18-Jährigen im mittelitalienischen Macerata sorgte landesweit für Empörung. Ihr Körper wurde zerstückelt in einem Koffer aufgefunden. Die Ermittler hatten Hinweise, nigerianische Drogendealer könnten an der Tat beteiligt sein. Die Bluttat bewegte einen Neofaschisten dazu, wahllos auf Migranten zu schießen. Anstatt mit den Opfern solidarisierten sich daraufhin viele mit dem Täter. Rechtsextreme und Antifaschisten nutzten das Thema für teils gewalttätige Demonstrationen.

"Eine landesweite ausländerfeindliche und europafeindliche Kraft"

Auf der Welle der Angst vor Migranten konnte sowohl die rechtspopulistische Lega als auch die Fünf-Sterne-Bewegung von Ex-Komiker Beppe Grillo breite Wählermassen ansprechen. Aus den Separatisten des Nordens machte Lega-Parteichef Matteo Salvini eine landesweite ausländerfeindliche und europafeindliche Kraft. Das Mitte-Rechts-Bündnis aus Lega, Silvio Berlusconis "Forza Italia" und der postfaschistischen Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) liegt in Umfragen bei 38 Prozent. Für eine Regierungsbildung sind jedoch 40 Prozent erforderlich.

Mit Forderungen nach einer Begrenzung des Migrantenstroms lockt auch die Fünf-Sterne-Bewegung Wähler aus allen politischen Lagern. Sie dürfte mit 28 Prozent stärkste Einzelpartei werden. Um eine Regierung zu bilden, müsste sie jedoch entgegen ihren Prinzipien ein Bündnis mit anderen Parteien bilden.

Im an politische Instabilität gewohnten Italien verunsichert der Vormarsch der populistischen Parteien die traditionellen Volksparteien zutiefst. Der Mailänder Multimillionär Berlusconi käme mit seiner Partei "Forza Italia" höchstens auf 17 Prozent. Obwohl auch er Migranten gern als "soziale Bombe" bezeichnet.

Renzis Mitte-Links-Bündnis droht ein Debakel

Berlusconis Gegenspieler Matteo Renzi von den linksbürgerlichen Demokraten dürfte das schlechteste Ergebnis in der Geschichte seiner Partei einfahren. Sein regierendes Mitte-Links-Bündnis liegt in Umfragen nur noch bei 27 Prozent.

Auf Migrantenströme, mit elf Prozent anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und hohe Steuern reagierten Parteien von links bis rechts im Wahlkampf, indem sie das Blaue vom Himmel herunter versprachen. Die schwache Wirtschaft und die Überschuldung des Staates sollen je nach Rezept an Investitionen und einer Stärkung des Sozialstaats genesen.

Berlusconi lockt mit Gratis-Zahnprothesen

Der 81-jährige Berlusconi stellt seinen Wählern die Verdoppelung der Mindestrente auf 1.000 Euro in Aussicht. Gleichzeitig will er eine Einheitssteuer von 15 Prozent einführen. Die dadurch entstehenden Kosten würden durch eine automatisch erfolgende Eindämmung der Steuerhinterziehung gedeckt, erklärt der wegen Steuerhinterziehung verurteilte Unternehmer. Ein niedriger Steuersatz bewege laut Berlusconi jeden dazu, seine Abgaben zu zahlen.

Mit der Abschaffung der Automobilsteuer und dem Versprechen von Gratis-Zahnprothesen für alle appelliert Berlusconi vor allem an ältere Wähler. Mit seinem Fernsehimperium "Mediaset" versorgt er sie durch drei landesweite Fernsehsender mit Unterhaltung und Eigenwerbung in Dauerberieselung.

Nach seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerbetrugs kann Berlusconi bis 2019 kein Amt übernehmen. Im Parteilogo wird dennoch für "Berlusconi presidente" geworben. Gegen das Ämterverbot klagt er vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.

Konkurrenz für Berlusconi im eigenen Lager

Falls es nach dem 4. März keine klare Mehrheit gibt, strebt der viermalige Ministerpräsident Berlusconi Neuwahlen im kommenden Jahr an, um wieder Regierungschef zu werden. Er sei wie alter Wein, sagt der wiederholt geliftete zehnfache Großvater. "Ich werde immer besser, und jetzt bin ich perfekt."

Konkurrenz erwächst Berlusconi im eigenen Lager in seinem 41 Jahre jungen Bündnispartner Matteo Salvini von der Lega. Salvini schöpft mit Slogans wie "Me ne frego" (Ich scheiß drauf) aus dem faschistischen Wortschatz von Benito Mussolini. Seine Plakate mit der Forderung "Italiener zuerst" schmückte er allerdings versehentlich mit blonden Modells aus Osteuropa.

Salvini will die Europäischen Verträge neu verhandeln lassen. Andernfalls werde Italien die Zahlungen an die EU einschränken, erklärt der bekennende Verehrer der AfD und des französischen Front National. Er werde für raschere Abschiebungen von illegalen Einwanderern sorgen. Dem steht allerdings die überforderte italienische Bürokratie und das Fehlen von Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern im Weg.

Fünf-Sterne-Bewegung tritt als Anti-Establishment-Partei auf

Ebenso geschickt, wenn auch weniger drastisch, nutzt die Fünf-Sterne-Bewegung die Angst vor Migranten. Im Unterschied zu Parteigründer Beppe Grillo tritt Parteichef Luigi Di Maio als smarter Schwiegersohn auf, der die wüsten Beschimpfungen des Komikers mit der grauen Mähne bewusst meidet.

Das Duo Di Maio und Grillo schöpft Wähler der traditionellen Parteien von rechts bis links ab. Die Fünf-Sterne-Bewegung tritt als Anti-Establishment-Partei mit europafeindlichen Akzenten auf.

Skandale um Diätenbetrug von Kandidaten änderten bislang nichts an den Umfragewerten. Auch vom Parteistatut ausgeschlossene Freimaurer oder Vorstrafen wie im Fall eines wegen der Verkaufs von Raubkopien von CDs verurteilten Kandidaten sorgten nur beim politischen Gegner für Spott.

Auf Forderungen nach einem Austritt aus dem Euro verzichtet die Fünf-Sterne-Bewegung mittlerweile. Neben traditionellen Themen rechter Parteien setzen die "Grillini" auch klassische sozialdemokratische Akzente. Dazu gehört eine verschärfte Regulierung der Finanzmärkte, der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs.

Ministerpräsident Gentiloni meidet jede Polemik

Ministerpräsident Paolo Gentiloni von den Demokraten vertrauen unterdes mit 35 Prozent mehr Italiener als jedem anderen italienischen Politiker. Der ehemalige Außenminister meidet jede Polemik mit politischen Gegnern.

Der ursprünglich aus dem christdemokratischen Lager stammende Gentiloni übernahm die Regierung nach dem Rücktritt von Matteo Renzi als Ministerpräsident. Der ehemalige Bürgermeister von Florenz war als "Verschrotter" der alten Eliten angetreten. Bei der Volksbefragung über seine umfassende Verfassungsänderung zur Verschlankung des Gesetzgebungsprozesses erlitt er jedoch eine knackige Niederlage.

Keine klare Mehrheit für eines der drei großen Lager

Den Umfragen zufolge wird keines der drei großen Lager bei den Wahlen eine klare Mehrheit erringen. Berlusconi hofft, doch noch mit seinem Bündnis die für eine Regierungsbildung nötige 40-Prozent-Marke zu knacken. Andernfalls gilt die Bildung einer großen Koalition aus Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Lager als wahrscheinlich.

Di Maio könnte den eigenen Erfolg nutzen, um andere Parteien zur Duldung Fünf-Sterne-Regierung zu bewegen. Aufgrund inhaltlicher Übereinstimmungen könnte er auch mit der Lega eine Koalition bilden.

Trotz chaotischem Wahlkampf herrscht Ruhe in Brüssel

In Brüssel und an den Anlegermärkten herrscht im Hinblick auf die italienischen Parlamentswahlen trotz des chaotischen Wahlkampfs bislang relative Ruhe. Unbezahlbare Wahlversprechen werden sich mit den Realitäten einer überschuldeten und schwach wachsenden Wirtschaft messen müssen. Und europafeindliche Parteien dürften nicht über eigenständige Mehrheiten verfügen.

Trotz aufgeheizter Stimmung mit Hasstiraden auf den politischen Gegner verzichten mittlerweile selbst Lega und Fünf-Sterne-Bewegung auf die Forderung nach einem Austritt Italiens aus dem Euro. Auch ihre Wähler fürchten sich angesichts der unabsehbaren Folgen des Brexits vor einer Zukunft Italiens als drittgrößter europäischer Wirtschaft ohne Gemeinschaftswährung.

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