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Interview zur Wahl in Russland: "Keinen Bock mehr auf das System Putin"


Interview zur Russland-Wahl
"Junge Russen haben keinen Bock mehr auf das System Putin"

Ein Interview von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 17.03.2018Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident stellt sich am 18. März 2018 zur Wiederwahl.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der russische Präsident stellt sich am 18. März 2018 zur Wiederwahl. Eine Gegenkandidatin ist Xenija Sobtschak. (Quelle: Grigory Dukor/dpa-bilder)

Wladimir Putins Wiederwahl zum Präsidenten ist so gut wie sicher. Russland braucht hingegen den Wandel, sagt Vitali Shkliarov, Wahlkampfberater der Gegenkandidatin Xenija Sobtschak. Was selbst Putin einsehen würde.

Herr Shkliarov, Sie sind Wahlkampfberater der Kandidatin Xenija Sobtschak, die bei den russischen Präsidentschaftswahlen am 18. März gegen Wladimir Putin antritt. Ein vergebliches Unterfangen, oder?

Vitali Shkliarov: Wir sind nicht naiv. Natürlich ist uns klar, dass Putin gewinnen wird. Selbst wenn die Wahlen völlig frei und transparent wären, würde er wiedergewählt. Ganz sicher nicht mit 70 Prozent oder mehr, aber immerhin. In Russland sind Wahlen aber eine Farce, weil am Ende der Kreml über das Endergebnis entscheidet. Alles läuft auf Wladimir Putin hinaus. Trotzdem, man darf nicht aufgeben und muss stets aufs Neue versuchen, dagegen anzutreten. Wir müssen möglichst viele Menschen über die Lage der Nation informieren und aufklären.

Immer wieder wird der Vorwurf erhoben, dass Sobtschak eine Marionette des Kreml ist, um die Wahlbeteiligung hochzutreiben.

Ganz im Ernst: Warum braucht ein Mann wie Putin eine 36-jährige Journalistin als Gegenkandidatin, um sich und seine Macht zu legitimieren? Das ist einfach eine Verschwörungstheorie. Ich glaube nicht, dass Putin zu solchen Mitteln greift, um freie Wahlen vorzutäuschen. Der Kreml schert sich einen Dreck darum, wie die USA und der Westen die Entwicklung der Wahlbeteiligung in Russland sehen. Aber was viel wichtiger ist: Selbst Putin versteht, dass er Russland nicht ewig regieren kann und es langfristig Alternativen braucht. Putin weiß, dass eine neue Generation von Politikern und Technokraten Russland in der Zukunft regieren muss. Ansonsten wird dieser Staat irgendwann kollabieren.

Warum tritt Sobtschak trotz Chancenlosigkeit dann aber trotzdem an? Was ist das Ziel?

Dass Sobtschak im repressiven System Putins überhaupt kandidieren kann, ist an sich schon ein Sieg. Wenn wir 10 oder 20 Prozent der Stimmen bekommen, wäre dies ein weiterer Erfolg. Wir wollen etwas verändern in Russland: 116.000 Menschen haben sich auf unserer Webseite registriert, Tausende unterstützen uns mittlerweile landesweit als freiwillige Helfer, rund 50 regionale Büros haben wir aufgebaut. Wir erleben es im Wahlkampf tagtäglich, dass viele junge und gut ausgebildete Russen keinen Bock mehr auf das System Putin haben. Insbesondere in den Großstädten.

Dr. Vitali Shkliarov, geboren im weißrussischen Gomel, ist promovierter Soziologe und Politologe. Shkliarov arbeitete für die Wahlkampfteams von Barack Obama, Bernie Sanders und vielen russischen Oppositionskandidaten wie Dmitri Gudkow. Zurzeit berät er Xenija Sobtschak, die bei den russischen Präsidentschaftswahlen am 18. März antritt.

Noch einmal konkret, was ist das Ziel?

Wir wollen eine Plattform gründen, die als eine hochmoderne Partei für neue und junge Politiker ein Startpunkt werden könnte, wenn sie sich um ein politisches Amt bewerben. Diese zukünftige Generation von Politikern, die jetzt unter 30 Jahre alt ist, wird in zehn Jahren Russland weiter aufbauen. Wir wollen ihnen zeigen, wie sich auch in einem repressiven System erfolgreich Wahlkampf machen lässt. Wie man das Internet dazu einsetzen kann, wie man überzeugende Flyer gestaltet und so weiter. Mit Tausenden Freiwilligen sammeln wir auch bereits jetzt notwendige Wählerdaten, um die jungen Kandidaten bei ihren Wahlkämpfen zu unterstützen. Sobtschak ist dabei nur ein erster Schritt. Es geht nicht nur um sie, es geht um Russland und seine Menschen. Sobtschak ist außerdem aufgrund ihrer Fernsehkarriere, die nach Putin zweitbekannteste Person im Land. Nur Neugeborene oder uralte Menschen kennen sie nicht. Mit ihr fällt es leichter, die Idee einer Erneuerung Russlands öffentlich zu machen.

Ihr eigentliches Ziel liegt also weit in der Zukunft?

Mit Xenija Sobtschak an der Spitze soll unsere Kampagne den Menschen Mut machen. Wir wollen zeigen, dass Leute wie Putin kommen und gehen, aber Russland etwas viel Größeres ist. Auch wenn unsere Arbeit zur weiteren Demokratisierung noch zehn oder fünfzehn Jahre dauern wird: Man muss jetzt anfangen, ein anderes Russland aufzubauen. In jedem kleinen Dorf, in jeder kleinen und großen Stadt sollen junge Menschen politisch aktiv werden und für Ämter kandidieren. Jede Veränderung beginnt im Kleinen.

Welche Probleme gilt es in Russland konkret zu lösen?

Russland ist eigentlich ein reiches Land. Es verfügt über viele Bodenschätze, es hat ein großes Potenzial. Allerdings wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer, genauso wie zwischen Stadt und Land, Staat und Menschen. Jugendliche sind am härtesten von diesem Problem betroffen. Es gibt viele Begabte, die einen oder sogar zwei Hochschulabschlüsse besitzen und keine Arbeit finden. Für viele junge Russen ist es beispielsweise attraktiver, ein korrupter Beamter zu werden, als eine akademische Karriere einzuschlagen. Wegen der Korruption und der Bürokratie leidet der Mittelstand, er bekommt keine Kredite, um Firmen aufzubauen. In den Neunzigerjahren machte es die Mafia jungen Unternehmern schwer, ein Geschäft aufzubauen. Heute bekommen sie es mit dem Staat zu tun. Was noch schlimmer ist.

Ist das alles Wladimir Putins Schuld?

Überlegen Sie einmal. Putin hat 18 Jahre lang die absolute Macht in Russland ausgeübt. Ganz im Gegensatz zum amerikanischen Präsidenten, der aufgrund der Verfassung immer wieder Kompromisse schließen muss. Trotz dieser absoluten Macht und Milliarden von Erdöl-Dollar hat Putin es nicht geschafft, das Land aufzubauen. In der freien Wirtschaft wäre solch ein Manager ruckzuck weg gewesen oder pleite. Viele Russen sprechen nicht öffentlich darüber. Aber am Küchentisch daheim reden sie genauso darüber wie ich.

Warum wählen Sie ihn dann?

Die Menschen glauben noch, dass sie ihn brauchen. Er ist ein Garant der Sicherheit und Stabilität, denken viele. Jetzt liegt es an uns, Alternativen aufzuzeigen.

Sie kritisieren Putin sehr deutlich. Haben Sie Angst vor Konsequenzen?

Nein. Zudem beweisen Verkehrsunfallstatistiken, dass Autofahren immer noch viel gefährlicher ist, als eine oppositionelle politische Tätigkeit in Russland auszuüben.

Wird Ihr Wahlkampf behindert?

Es gibt keine Verhaftungen, aber es wurden schon Autos unserer Mitarbeiter in Brand gesteckt. Dazu hatten wir fast 80 Absagen, wenn wir irgendwo ein Büro oder einen Veranstaltungsort anmieten wollten. Selbstverständlich werden wir auch abgehört. Richtig interessant wird es, wenn die Wahl entschieden ist und Xenija Sobtschak nicht mehr im Rampenlicht steht. Dann werden uns die Leute aus dem Kreml vielleicht unfreundlicher gegenüberstehen.

Wladimir Putin gibt mit seinen 65 Jahren immer noch den Macho, Xenija Sobtschak ist hingegen knapp halb so alt. Wie kommt sie bei den Russen an?

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Es ist unterschiedlich. Einerseits bekommt sie viel Unterstützung. Andererseits fragen sich viele Leute, warum ein politisch unerfahrener Mensch wie sie Präsident werden möchte. Ich wurde allerdings auch überrascht: Anfangs gingen wir davon aus, dass generell junge Menschen ihre Zielgruppe sind. Dann erkannten wir, dass Frauen zwischen 35 und 45 Jahren ihre Hauptzielgruppe sind. Gefolgt von Frauen und Männern zwischen 50 und 55, also erwachsene Menschen, die eine gewisse Lebenserfahrung haben. Das ist ein Kompliment. Und ein Beweis, dass sie trotz ihres Alters und ihrer Unerfahrenheit relevante und breite Zielgruppen anspricht.

Sobtschak ist den Russen vor allem als Tochter des frühen Putin-Förderers Anatoli Sobtschak und als glamouröse ehemalige TV-Moderatorin bekannt. Schadet oder nutzt dieser Ruf?

Sobtschak ist der lebende Beweis, dass auch jemand, der keine politische Erfahrung hat und von den Staatsmedien immer wieder mit alten Geschichten konfrontiert wird, den Mut haben kann, Veränderungen in diesem Land zu fordern. Sie kritisiert Putins Vorgehen in der Ukraine, seine feindliche Einstellung zur Homosexualität, die stagnierende Wirtschaft, die Korruption und die Inhaftierung politischer Gegner. Ich arbeite seit mehr als fünf Monaten mit ihr und muss ehrlich gestehen: Sie hat Rückgrat.

Wie lange wird der Kampf um die Demokratisierung Russlands dauern?

Es wird ein langfristiges Projekt. Derartige Veränderung ist in der Geschichte Russlands so gut wie unbekannt. Selbst wenn sie Putin von heute auf morgen gegen Xenija Sobtschak oder Alexei Nawalny austauschen würden, würde der Staat nicht augenblicklich demokratisch funktionieren. Die Mentalität und die politische Kultur müssen sich erst verändern beziehungsweise entwickeln. Mir persönlich ist das sehr bewusst und ich bin dazu bereit, daran 10 oder 20 Jahre mitzuarbeiten.

Herr Shkliarov, vielen Dank für das Gespräch.

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