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Wahl in Russland: Putins Problem mit den Erstwählern


Putins Problem mit den Erstwählern
"In Russland ist man mit seinen Träumen auf sich gestellt"

Von dpa, pdi

17.03.2018Lesedauer: 4 Min.
Eine junge Russin nimmt an einer Demonstration gegen den Wahl-Ausschluss von Alexei Navalny teil.Vergrößern des BildesEine junge Russin nimmt an einer Demonstration gegen den Wahl-Ausschluss von Alexei Navalny teil. (Quelle: imago-images-bilder)
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Der Kreml hat ein Problem: Schüler und Studenten. Viele junge Russen sind unzufrieden mit dem System von Präsident Putin, der bislang ihr ganzes Leben prägte. Nun buhlt die Führung vor der Wahl um ihre Stimmen. Wie sehen Russlands Erstwähler die Zukunft ihres Landes?

Sie schreien, jubeln, klatschen, singen lauthals mit. Es ist wie ein Popkonzert für einen Star, der aber nicht auf der Showbühne zu Hause ist. Als Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Wahlveranstaltung auftritt, flippt die junge Russin Jelena aus. "Liebst du ihn nicht auch?", ruft sie. Begeistert hält die 20-Jährige ein Plakat hoch: "Putin ist der Beste" steht darauf, umrahmt von einem weiß-blau-roten Herz. Mit Tausenden anderen Russen singt Jelena die Nationalhymne, ihr Jubel wirkt echt.

Schüler und Studenten, Teenager und Heranwachsende: Keine Generation hat die Schlagzeilen im vergangenen Jahr so beherrscht wie die russischen Erstwähler. Der Kreml setzt vor dem Wahltag, dem 18. März, auf Veranstaltungen mit Konzerten, auch um zu zeigen: Wir kümmern uns um die Jugend. "Putin gibt mir Sicherheit, er macht unser Land stark", sagt Jelena überschwänglich. Viele junge Russen denken wie die Studentin, die extra aus der Provinz nach Moskau gereist ist.

"Aufregend und beängstigend"

Doch seit dem vergangenen Jahr hat sich in Russland etwas verändert: Tausende junge Menschen und Anhänger von Kremlkritiker Alexej Nawalny demonstrieren regelmäßig gegen Korruption und für ein Ende des Putin-Systems, das die meisten bereits ihr ganzes Leben begleitet. Viele Erstwähler haben eines mit dem 65-Jährigen gemeinsam: das Jahr 2000. Er kam an die Macht, sie auf die Welt. Und nun dürfen sie das erste Mal über die Zukunft des Landes abstimmen.

"Aufregend und beängstigend" nennt Michail es, wenn er über die Perspektiven seines Landes sprechen soll. Der 18-Jährige hat zwar viele Pläne für sich selbst: Designer werden oder doch Comiczeichner? Wenn er aber in seinem Kinderzimmer sitzt, malt er seiner Heimat eine düstere Zukunft aus: "Ich will in meinem Land was bewegen, aber nichts geht voran." Die Menschen in Russland wollten lediglich Geld machen und ihre Ruhe haben. "Wir halten uns an dieser Stabilität fest und merken nicht, wie uns das lähmt", sagt der junge Moskauer.

"Meine Stimme gibt es nur auf der Straße"

Schon zwei Mal folgte der Teenager aus diesem Grund Nawalnys Protestaufruf. Dabei habe er beobachtet, wie die Polizisten Demonstranten festnahmen und in Busse zerrten. "Genau da wurde mir klar: Echte Demokratie funktioniert nur dort, wo auch Präsidenten Herausforderer haben." Deshalb werde er auch nicht zur Wahl gehen und wie viele andere die Abstimmung boykottieren. "Meine Stimme gibt es nur auf der Straße", sagt Michail.

Besonders eine niedrige Wahlbeteiligung könnte der Führung zu schaffen machen. Offiziellen Umfragen zufolge wollen weniger als die Hälfte der rund sieben Millionen Erstwähler am Wahltag ihre Stimme abgeben. Das liege sicherlich nicht am fehlenden Engagement für Politik, sagen Experten.

"Das Problem sind die Politiker: Sie erklären uns die Sinnhaftigkeit der Gesetze nicht, sie repräsentieren uns nicht", sagt die junge Fotografin Daria. Kein Abgeordneter, kein Kandidat nehme die Wünsche und Sorgen junger Russen wirklich ernst. "Niemand spricht die Dinge an, die uns junge Menschen bewegen", sagt die 22-Jährige. Gute und leistbare Ausbildung sei rar, Job- und Aufstiegschancen für junge Akademiker ebenso. Angst mache ihr auch das marode Gesundheitssystem. "Wenn du Geld in Moskau hast, kannst du dir alles leisten. Aber die Qualität in staatlichen Einrichtungen ist teilweise unterirdisch."

Wunsch nach Veränderung

Lange habe die junge Frau deshalb überlegt, wie sie in der Wahlkabine entscheiden werde. "Mein Kreuz geht an den Kandidaten der Kommunisten: Er hat die größten Chancen, Putin Stimmen abzuknöpfen." Nur eines kann ihrer Ansicht nach der kommende Sonntag hervorbringen: "Wir zeigen Putin die Stärke der Opposition." Doch bringt das in naher Zukunft einen realistischen Wandel? "Ich wünsche mir, dass die Menschen offen und mutig sind: Dann gibt es Veränderung und echte Stabilität - und zwar für alle."

Zwar verspricht Putin im Wahlkampf vielen vieles, will Millionen in das Sozialsystem investieren, Wohnungsbau fördern, die Regionen entwickeln. Zudem will er die Armut in seiner nächsten Amtszeit mindestens halbieren. Aber macht das der Jugend Mut?

"Das ist doch alles Quatsch", sagt der Mathematiker Juri. "Der Kreml will doch gar nicht, dass sich etwas verändert. Dann müssten sie ja auf irgendeine Art und Weise Macht abgeben." Der 23-Jährige hat gerade sein Studium abgeschlossen, sammelt erste Berufserfahrung als Programmierer.

Wahl oder Boykott?

Doch seiner wahren Leidenschaft kommt er erst nach, wenn er am Abend seinen Computer ausschaltet und seine Tanzschuhe anzieht. Juri würde am liebsten den gut bezahlten Job an den Nagel hängen und als Tänzer erfolgreich sein. "Meine Eltern sagen mir immer: Geh kein Risiko ein!", sagt Juri. Staatliche Förderungen oder Zuschüsse für junge Künstler gebe es kaum. Deshalb müsse er auf den stabilen Job setzen. "In Russland ist man mit seinen Träumen auf sich gestellt."

Wie der junge Wissenschaftler den Wahltag verbringe werde, ist noch offen. "Die staatlichen Medien wollen die Wähler in die eine Ecke drängen, Nawalny in die andere." Nur zwei Dinge stehen für den Erstwähler bereits außer Frage: Ein Ja für sechs weitere Putin-Jahre und ein Boykott. "In Russland gibt es kein Nicht-Wählen. So verschenken wir auch die Hoffnung auf Veränderung."

Verwendete Quellen
  • dpa
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