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Corona-Explosion in den USA: Donald Trump hat den Knall nicht gehört


Kein Trump-Problem
Für die Corona-Explosion gibt es viele Gründe

Von Patrick Diekmann, Sophie Loelke

Aktualisiert am 02.07.2020Lesedauer: 7 Min.
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Donald Trump: Der US-Präsident ignoriert die dramatische Corona-Lage im Land.Vergrößern des Bildes
Donald Trump: Der US-Präsident ignoriert die dramatische Corona-Lage im Land. (Quelle: Michael Reynolds/imago-images-bilder)

Die Corona-Lage in den USA spitzt sich dramatisch zu, die Zahl der Neuinfektionen erreicht einen Rekordwert. Was läuft falsch? Donald Trump ist in der Krise keine Hilfe, aber das US-Versagen hat auch andere Gründe.

Donald Trump wirkt in der Corona-Krise so, als müsse er nur die Augen schließen und wenn er sie wieder öffnet, ist die Pandemie für immer besiegt. Der US-Präsident begegnet dem Virus hauptsächlich mit einer Strategie der Verharmlosung und der Realitätsflucht. Die Wirtschaft werde sich bald wieder erholen und "das Virus wird irgendwann gewissermaßen einfach verschwinden", erklärte er am Mittwoch dem Fernsehsender Fox Business. Am Donnerstag legte Trump nach: Es gebe noch "vereinzelte Brandherde" – aber alles nicht der Rede wert, so sein Tenor. "We killed the virus" – die USA hätten das Virus getötet, sagte er wörtlich. Trump will mit diesen Aussagen die Wirtschaft beruhigen, seine Einschätzungen sind aber keinesfalls Spiegel der Realität in den USA.

USA am stärksten betroffen

Außerhalb von Trumps Welt ist die Situation für die Vereinigten Staaten in der Corona-Krise dramatisch. Gesundheitsexperten schlagen Alarm, mehrere Bundesstaaten bremsen die Lockerungen der Corona-Maßnahmen oder führen einige gar wieder ein. Grund dafür ist der rapide Anstieg der Neuinfektionen im Land. Allein am Mittwoch gab es binnen 24 Stunden 52.898 neu registrierte Corona-Fälle, ein neuer Höchstwert. Die USA sind insgesamt mit über 2,6 Millionen Infektionen und über 128.000 Todesopfern das am stärksten von der Pandemie betroffene Land weltweit.

Trotz dieser massiven Bedrohungslage scheint Trump hauptsächlich die bevorstehende US-Präsidentschaftswahl im November im Blick zu haben. Hohe Arbeitslosenzahlen und wirtschaftliche Probleme könnten dann ein Problem für den 74-Jährigen werden. Deswegen stellt Trump momentan die Gesundheit der Wirtschaft über die seiner Bevölkerung. Er verharmlost die Situation und übte früh Druck auf die US-Bundesstaaten aus, damit diese ihre Corona-Maßnahmen zu Gunsten der Wirtschaft lockerten.

Aber Trump, wenngleich eine Gefahr für die Allgemeinheit, ist nicht die alleinige Ursache für das Ausmaß der Pandemie in den USA. Sondern der US-Präsident ist in der Krise eher ein Brandbeschleuniger oder ein Symptom des eigentlichen Problems. Die Ursachen für das katastrophale Ausmaß der Corona-Krise sind tief verwurzelt in der US-Gesellschaft, denn vor allem die zunehmenden Risse und Gräben in der Gesellschaft verhindern in den USA einen gemeinsamen, gesellschaftlichen Kampf gegen die Pandemie. Das führt zu der gegenwärtigen Corona-Ohnmacht im Land.

Gründe für das Scheitern der US-Corona-Politik lassen sich anhand von einigen aktuellen Beispielen erklären:

1. Streit um Kirchen und Gottesdienste

"In God we trust" – Wir vertrauen in Gott: Religion ist in den USA für viele Menschen ein wichtiger Teil ihres Lebens. Manche Gemeinden sehen daher durch die Corona-bedingten Kirchenschließungen ihre Religionsfreiheit verletzt. US-Medien berichten von Predigern, die das Coronavirus herunterspielten oder Masken als Verletzung des Gott gegebenen Atems verteufeln.

So nannte zum Beispiel Guillermo Maldonado, ein Pastor aus Miami, die Angst vor der Pandemie einen "dämonischen Geist" und ermutigte Gemeindemitglieder trotz Warnungen, zum Gottesdienst zu erscheinen. "Glauben Sie, Gott würde sein Volk in ein Haus bringen, um es mit dem Virus anzustecken? Natürlich nicht", so Maldonado. Auch der Pastor Rodney Howard-Browne aus Florida sagte, er wolle sich der räumlichen Distanz nicht beugen und die Kirche niemals schließen.

Dabei waren Kirchen mit ihren Gottesdiensten immer wieder Corona-Infektionsherde. In Texas wurden die Gotteshäuser Anfang Mai bereits wieder geöffnet – es folgten eine Reihe von Ansteckungen. In Kalifornien sah es nicht anders aus: Dort hatte ein Kirchenbesucher wahrscheinlich 180 weitere Menschen infiziert. Doch obwohl die Ansteckungsgefahr bei Gottesdiensten sichtbarer wurde, polarisierten einige Priester und Pastoren mit Äußerungen gegen die Corona-Maßnahmen der Behörden. Die Folge: Viele Gläubige ließen sich davon beeinflussen und hielten sich nicht an die gebotenen Sicherheitsregeln.

2. Maske als Symbol der gespaltenen Gesellschaft

Ähnlich gespalten sind die USA beim Tragen von Schutzmasken. Die Masken sollen eigentlich die Ansteckungsgefahr im öffentlichen Raum verringern, aber in den Vereinigten Staaten sind sie auch zum politischen Symbol geworden.

So dokumentiert das Tragen oder der Verzicht einer Maske mittlerweile die politische Orientierung. Wer sie trägt, gilt als Trump-Gegner. Der US-Präsident selbst behauptete das, was die Spaltung noch einmal mehr befeuerte. Auch weigerte er sich bisher – anders als sein Konkurrent im Präsidentschaftswahlkampf Joe Biden – eine Maske zu tragen. Damit stellt er für viele seiner Anhänger eine Art Vorbild dar, Nachahmer gibt es viele. Am Mittwoch sagte er dem Sender Fox Business News allerdings: "Ich bin für Masken." Möglich, dass der Präsident wegen der rasant steigenden Fallzahlen ein Minimum an Einsicht zeigt. Für seine Rolle als Vorbild wäre das förderlich.

Diese Debatte konnte aber nur zum gesellschaftlichen Spaltpilz werden, weil Gräben zwischen Demokraten und Republikanern in den USA schon vor Trump tief waren. Der Irrsinn des US-Präsidenten verfängt nur, weil er auf politische Lager trifft, die sich schon zuvor kompromisslos gegenüberstanden.

3. Vorschnelle Lockerungen

Auch an einem anderen Beispiel wird der Irrsinn deutlich: Die vier momentan am stärksten vom Virus betroffenen US-Bundesstaaten hatten bereits im Mai erste Lockerungen der Maßnahmen beschlossen. In drei der vier Staaten regiert ein republikanischer Gouverneur: in Florida, Texas und Arizona. Trump drängte schon länger auf Lockerungen, damit die Wirtschaft wieder zum Laufen komme – für seine Präsidentschaftswahl ist das unverzichtbar. "Es ist aufregend zu sehen, wie sich unser Land wieder öffnet!", schrieb Trump auf Twitter. Die Lockerung der Maßnahmen war keineswegs aufregend, dafür aber ziemlich verheerend.

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Die rapide in die Höhe schnellenden Neuinfektionen sind für den US-Top-Immunologen Anthony Fauci besorgniserregend. Der rechnet in nächster Zeit mit bis zu 100.000 neuen Fällen pro Tag. "Wir gehen in die falsche Richtung", lauteten seine klaren Worte am Dienstag während einer Senatsanhörung in Washington. Auch die Gouverneure der betroffenen Bundesstaaten rudern jetzt nach und nach zurück. Das vorschnelle und umfassende Öffnen von Bars, Restaurants, Stränden und anderen Freizeiteinrichtungen hatte einen riesigen Massenansturm zur Folge.

In Arizona sind Klubs, Kinos, Restaurants nun für erst einmal 30 Tage erneut geschlossen. Gouverneur Doug Ducey gestand im Gegensatz zu Trump nun ein: "Wir können uns nicht vormachen, dass das Virus von allein verschwinden wird." In Texas rät die Regierung zum Tragen einer Maske, bisherige Lockerungen bleiben vorerst bestehen. Der Bürgermeister von Miami im Bundesstaat Florida sorgte für eine Maskenpflicht in der Stadt und setzt sich dafür ein, diese im gesamten Bundesstaat einzuführen. Aber das liegt nicht in seiner Hand.

Dabei wird auch zum Problem: Oftmals fehlen bei der Corona-Bekämpfung in den USA ganzheitliche übergreifende Regelungen. So kann, wenn vom Gouvernement nicht anders verpflichtet, in der einen Stadt eine Maskenpflicht gelten, in der anderen wiederum keine. In der einen können Strände geöffnet bleiben, in der anderen sind sie geschlossen. Das politische Klein-Klein wird den USA nun teilweise zum Verhängnis.

Interessieren Sie sich für US-Politik? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

Die steigenden Zahlen können allerdings nicht immer nur auf die Republikaner und auf Trump geschoben werden. In Kalifornien hatte zum Beispiel der demokratische Gouverneur die Restriktionen gelockert. Aber auch er wurde inzwischen eines Besseren belehrt: In 19 stark betroffenen Bezirken müssen zahlreiche Einrichtungen erneut schließen.

Trump hat mit seinen Aussagen die Gouverneure sicherlich beeinflusst. Letztendlich liegt die Umsetzung aber in der Hand der Verantwortlichen in Staaten und Städten. Auch hier war der US-Präsident also eher ein Brandbeschleuniger.

4. Das Rassismusproblem in den USA

Ein weiterer Corona-Risikofaktor entstand durch die gewaltsame Tötung von George Floyd durch die Polizei. Danach gingen im ganzen Land Hunderttausende Menschen auf die Straße, die Wut über Rassismus und Polizeigewalt war größer als die Sorge vor dem Virus.

Somit wurde der Rassismus in den Vereinigten Staaten gleich im doppelten Sinne zur Gefahr. In welchem Umfang dies aber Einfluss auf die Verbreitung der Pandemie hatte, ist noch völlig unbekannt. Fest steht nur, dass Trump auch in dieser Situation die Chance verpasste, mit Zugeständnissen oder allgemeinem Verständnis auf die Demonstranten zuzugehen. Damit befeuerte der US-Präsident noch viel wütendere und größere Proteste.

Aber auch dabei ist Trump nicht der Ursprung des Problems, denn die USA haben schon seit Jahrhunderten ein Rassismusproblem, das immer wieder Auslöser für gesellschaftliche Konflikte ist. Nun fiel die Tötung eines Afroamerikaners mitten in die Corona-Pandemie und das katalysiert die Wut, die schon sehr lange über und unter der Oberfläche der US-Gesellschaft brodelt. Die Ansteckungsgefahr wird dann bei einem solch emotionalen Thema zweitrangig.

5. Wahlkampf in der Pandemie

Es gibt allerdings noch ein weiteres Thema, das die Menschen derzeit auf Straßen, Plätze oder in Hallen bringt. Knapp fünf Monate vor den Präsidentschaftswahlen spielen Wahlkampfauftritte nun eine immer wichtigere Rolle – zumindest für Trump. Sein Konkurrent Joe Biden verzichtete bis vor kurzem auf öffentliche Auftritte vor großen Menschenmassen. Doch durch Trumps Beschlüsse, diese trotz Corona-Krise weiterlaufen zu lassen, fühlt sich auch Joe Biden dazu gezwungen. Die Demokraten stehen unter Druck.

Auf Trumps Wahlkampfevents heißt es: Besuch auf eigene Gefahr. Wer teilnimmt, erklärt sich bereit, eine mögliche Covid-19-Ansteckung in Kauf zu nehmen, ohne die Veranstalter für die Folgen haftbar zu machen. Zu einem Auftritt in Tulsa in Oklahoma kamen deutlich weniger Menschen als von Trump erhofft. Dennoch war die Zahl mit 12.000 Teilnehmern, die größtenteils keine Masken trugen und keinen Abstand hielten, ein potentieller Infektionsherd für das Coronavirus.

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Im Kampf um die politische Macht sind die großen US-Parteien bereit, Risiken in der Pandemie in Kauf zu nehmen. Grund dafür ist nicht nur die Ignoranz von Trump, sondern auch hierbei die Kompromisslosigkeit, mit der sich Demokraten und Republikaner gegenüberstehen.

Trump zieht politischen Nutzen aus der Spaltung

Letztlich zeigen all diese Beispiele, dass die Unvernunft und die vielen Fehler in der US-Corona-Politik viele Fundamente haben. Die Spaltungen in der Gesellschaft, die die Krise zusätzlich massiv verschärfen, gibt es in den USA schon viele Jahre. Dem US-Präsidenten kann man lediglich vorwerfen, dass er viele gesellschaftliche Gräben noch weiter vertieft, um daraus politischen Nutzen zu ziehen.

Damit verschärft Trump die Corona-Krise zusätzlich. Der US-Präsident ist derzeit vergleichbar mit einem Kapitän, der mit seinem Schiff in einem Sturm unnötigerweise einige große Felsen rammt. Besonders in derartigen Krisen ist eine Staatsführung gefragt, die in den richtigen Momenten rhetorisch beruhigen, aber, wenn nötig, auch zur Vorsicht mahnen kann. Und eines steht spätestens seit der Corona-Krise fest: Donald Trump hat wahrlich kein Händchen dafür.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP und dpa
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