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Dänemarks Migrationspolitik: Weltoffenheit gegen Angst


Dänemarks Anti-Asyl-Politik
Weltoffenheit gegen Wohlfahrts-Chauvinismus


Aktualisiert am 13.02.2021Lesedauer: 6 Min.
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Geflüchteter Junge mit Dänemark-Flaggen: 2015 gab es in Dänemark 21.316 Anträge auf Asyl, seitdem sinkt die Zahl stetig – 2020 waren es nur 1.547 (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Geflüchteter Junge mit Dänemark-Flaggen: 2015 gab es in Dänemark 21.316 Anträge auf Asyl, seitdem sinkt die Zahl stetig – 2020 waren es nur 1.547 (Archivbild). (Quelle: Claus Fisker/reuters)

Die Bilder von Lesbos gingen um die Welt. Nur wenig später verkündet die sozialdemokratische Regierungschefin des drittreichsten EU-Landes, keine Asylsuchenden mehr zu wollen. Wie passt das zusammen?

Fünf Monate ist es her, dass das Lager Moria auf Lesbos abbrannte. Die Bilder von den katastrophalen Zuständen im Nachfolge-Camp Kara Tepe gingen um die Welt. Ende Januar hieß es dann von der dänischen Regierung: Wir wollen keinen einzigen neuen Asylsuchenden mehr im Land. Getroffen hat die Aussage Ministerpräsidentin Mette Frederiksen – eine Sozialdemokratin. Dänemark ist der drittreichste Mitgliedsstaat der EU, geht man nach dem Bruttoinlandsprodukt. Wie passt das zusammen?

Frederiksen löste 2019 Lars Løkke Rasmussen ab, der mit einer rechtsliberalen Minderheitsregierung das Land führte. Gestützt wurde er von der Dansk Folkeparti, der dänischen Volkspartei – und damit von Rechtspopulisten. Unter seiner Regierung hat die dänische Flüchtlingspolitik eine neue Ausrichtung bekommen: Nicht mehr Integration ist das Ziel, sondern Abschreckung und schnellstmögliche Rückführung.

Asylrecht wird seit Jahren immer wieder verschärft

Zu diesem Zweck wurde unter Løkke und seiner Ausländer- und Integrationsministerin Inger Støjberg das Asylrecht in Dänemark mehrfach massiv verschärft: Unter anderem erhalten Asylsuchende keine permanente Aufenthaltserlaubnis mehr, müssen hohe Anforderungen bei Sprache und Gesellschaftskenntnissen erfüllen und werden finanziell deutlich weniger unterstützt als zuvor. Schlagzeilen machte die Regel, dass Flüchtlinge bei ihrer Ankunft Schmuck und höhere Bargeldsummen abgeben müssen, um so ihren finanziellen Beitrag zu leisten.

Diese Politik zeigt Wirkung: 2020 beantragten nur 1.547 Menschen Asyl in Dänemark – der niedrigste Stand seit 1998. Dieses Tief kann auf die Pandemie zurückzuführen sein, doch auch in den Jahren zuvor sanken die Zahlen kontinuierlich. In Dänemark leben laut nationalem Einwanderungsbarometer etwas mehr als 800.000 Einwanderer (Stand Oktober), sie machen 14 Prozent der Bevölkerung aus. Gut 522.000 stammen dabei aus "nicht-westlichen" Ländern, vor allem aus der Türkei, Syrien und dem Irak. Unter dem Begriff "Einwanderer" fallen jedoch nicht nur die Eingereisten selbst, sondern auch deren Kinder.

Einwanderer – und "nicht-westliche" Einwanderer

Als Grund für die restriktive Asylpolitik nennt die dänischen Politik seit Jahren den Integrationsaufwand für den kleinen Staat mit rund 5,8 Millionen Einwohnern. Man wolle nur so viele Flüchtlinge aufnehmen, wie man auch integrieren könne, heißt es. Sonst entstünden Probleme, die dem Wohlfahrtsstaat schaden würden.

Dabei geht es explizit nur um die "nicht-westlichen" Einwanderer, die in den offiziellen Regierungsstatistiken von "westlichen" Einwanderern unterschieden werden. "'Nicht-westlich' wird meist definiert als aus afrikanischen oder arabischen Ländern stammend. Aber die Kategorien sind ein wenig verschwommen. Oft wird "nicht-westlich" und muslimisch in einem Satz verwendet", erklärt die Politikwissenschaftlerin Carolin Hjort Rapp von der Universität Kopenhagen.

Und Ressentiments gegenüber Muslimen sind in der Politik verbreitet. Der aktuelle Ausländer- und Integrationsminister Mattias Tesfaye, von den Sozialdemokraten, sagte kürzlich gegenüber der Zeitung "Jyllands-Posten": Ein Großteil des Islams werde "durch Extremisten repräsentiert". "Dänemark darf sich nicht an den Islam anpassen. Der Islam muss sich an Dänemark anpassen", sagte Tesfaye weiter. Mit einer Reihe von Gesetzen wolle er den Islam in Dänemark daher eindämmen, unter anderem durch die Schließung muslimischer Freischulen.

Die dänischen Ghettos

Die immer strengeren Gesetze erschweren den Einwanderern die Integration immer mehr. Besonders viel Aufmerksamkeit erfuhr die sogenannte "Ghettopolitik". Schon seit 2010 gibt die Regierung jedes Jahr eine Liste der dänischen "Ghettos" heraus – Wohnviertel mit mindestens 50 Prozent Bewohnern aus "nicht-westlichen" Ländern. Dazu kommen Kriterien zur Arbeitslosigkeit, Bildung, Durchschnittseinkommen und Kriminalität. Betreffen tut das de facto vor allem Viertel, in denen viele Muslime leben. Die Begründung: In solchen Gegenden sei eine Integration nicht möglich, es entstünden Parallelgesellschaften. Eine Studie des dänischen Innenministeriums kam 2018 zu dem Schluss, dass dies 74.000 Menschen betreffe.

2019 verabschiedete die Løkke-Regierung dann ein Gesetz mit dem Ziel, die "Ghettos" bis zum Jahr 2030 vollständig abschaffen zu wollen. Kinder, die in den gelisteten Vierteln aufwachsen, müssen ab dem ersten Geburtstag verpflichtend in den Kindergarten, dort die Landessprache und "dänische Werte und Traditionen" lernen. Kommen die Eltern dem nicht nach, droht eine Kürzung der Sozialleistungen. Auch werden in entsprechenden Vierteln Straftaten wie Vandalismus oder Diebstahl härter geahndet als anderswo. Und die dänische Regierung geht noch weiter: Steht eine Gegend fünf Jahre am Stück auf der Liste, droht der Abriss von Sozialwohnungen und die Zwangsumsiedlung der Bewohner. So sollen Investoren angelockt und die Viertel aufgewertet werden.

Rechts überholen im Wahlkampf

Ein Großteil der genannten Verschärfungen drückte Løkke wenige Monate vor der Parlamentswahl 2019 durch. Ihm war klar, dass er für eine Wiederwahl die Stimmen der Volksparteianhänger bräuchte. Ebenso ging es jedoch den Sozialdemokraten: Sie orientierten sich daher im Wahlkampf stark an den Forderungen der rechtspopulistischen Partei. "Die Sozialdemokraten haben einen Teil dieser Einwanderungspolitik fast eins zu eins übernommen. Das wurde stark kritisiert, hat aber am Ende zum Erfolg geführt. Es gibt diese tendenzielle Stimmung im Land, dass man gerne eine schärfere Ausländerpolitik hätte", sagt Politikwissenschaftlerin Rapp. Spitzenkandidatin Frederiksen setzte sich gegen ihre Kritiker durch und führte ihre Partei zum Wahlsieg. Die Volkspartei hingegen verlor über 12 Prozent.

Es ist das Wahlversprechen von 2019, an das Mette Frederiksen nun mit ihrer Äußerung anknüpft. Gleichzeitig kritisiert sie den Kurs ihrer Vorgängerregierungen: Bisher sei die dänische Politik beim Thema Einwanderung nicht streng genug gewesen. Die Sozialdemokraten wollen erreichen, dass es keine "spontanen" Asylanträge mehr in Dänemark gibt. Stattdessen sollen Asylsuchende die Anträge in Zentren von Drittstaaten stellen, die näher an ihren Heimatländern liegen. Die Menschen, die dort für schutzbedürftig erklärt werden, sollen dann per Quote über die EU oder UN weiterverteilt werden. Diese Quote will Dänemark jedoch selbst bestimmen: 2020 hätte Dänemark eigentlich per bestehendem Verteilungsschlüssel 500 Flüchtlinge aufnehmen müssen – nur 200 durften tatsächlich einreisen.

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Mit dem Rechtsruck vor der Wahl verschoben sich die Ideale der dänischen Sozialdemokraten, erklärt Rapp: "Bis zur letzten Wahl waren es der Wohlfahrtsstaat und sehr offen und humanitär zu sein. Deswegen gibt es auch im Wahlprogramm das Argument, dass die Asylpolitik gerechtfertigt ist, dass man die Menschen so eben nicht in die Flucht treibt, sondern direkt auffängt."

"Typischer Wohlfahrts-Chauvinismus"

Die breite Zustimmung der Dänen zum Kurs ihrer Regierungen lässt sich jedoch kaum auf humanitäre Gründe zurückführen: "Es ist einerseits die Angst vor dem Fremden. Das Problem mit der Integration, mit "nicht-westlichen" Immigranten, das passt zusammen mit der Ghetto-Politik. Und generell gibt es die Angst, dass der Wohlfahrtsstaat zerstört wird, typischer Wohlfahrts-Chauvinismus eigentlich", sagt Rapp. Heißt: Viele Dänen treibt die Angst um ihren hohen Lebensstandard, ihre Vorteile aus den weitreichenden staatlichen Leistungen und ihre soziale Infrastruktur. Sie sehen die Immigranten als Bedrohung – vor allem muslimische Einwanderer.

Doch nicht alle unterstützen den Kurs der Regierung: "Es gibt auch in Dänemark diese Polarisierung: Der eine Teil, der für eine bessere Integration und offenere Politik ist, und der andere Teil, der eine starke Begrenzung der Asylpolitik unterstützt."

Deutsche Willkommenskultur? Nicht wirklich verständlich

Mit Interesse schaue man daher auch immer wieder auf den Nachbarn im Süden: "Die deutsche Politik ist auf jeden Fall ein Thema. Die Willkommenskultur wurde manchmal sehr kritisch gesehen, auch aus der Angst heraus, dass viele weiterreisen nach Dänemark. Man konnte nicht wirklich verstehen, warum es diese extrem offene Politik gab." Doch in den letzten Jahren ist auch in Deutschland die Flüchtlingspolitik deutlich restriktiver geworden. Seit März 2020 wurden 1.561 Migranten aus Griechenland eingeflogen. Viele Gemeinden haben seitdem signalisiert, dass sie noch mehr Menschen aufnehmen könnten. Doch Innenminister Horst Seehofer sträubt sich: Er befürchtet ein falsches Signal an die anderen EU-Mitgliedsstaaten zu senden.

Warum aber umgekehrt der Blick nicht aus Deutschland nach Dänemark fällt, erklärt Rapp so: "Es wird immer so positiv gesehen, weil Dänemark und die skandinavischen Staaten an sich diese Idealstaaten sind, mit dem wunderbaren Wohlfahrtsstaat, sehr offen, liberal und fortschrittlich. Aber in den letzten Jahren hat sich da sehr viel in die andere Richtung getan, vor allem in der Immigrationspolitik. Und das kommt in der internationalen Presse meist nicht an." Wahrscheinlich sei Dänemark für solche Belange auch einfach zu klein, sagt sie.

Scheitern Frederiksens Pläne an der EU?

Ob Mette Frederiksen mit ihrem Versprechen zur Schließung Dänemarks jedoch überhaupt weit kommen wird, kann auch Rapp nicht vorhersagen: "Die Sozialdemokraten haben bereits gesagt, dass sie dieses Wahlversprechen der vollkommen neuen Asylpolitik nicht so umsetzen können, weil sehr viel von der EU abhängt. Man hatte gehofft, dass andere EU-Länder mitmachen, aber bisher hat sich das nicht gezeigt." Ungarns Premierminister Viktor Orban und Tschechiens Regierungschef Andrej Babis verkündeten im vergangenen Jahr jedoch ähnliche Pläne. Bisher habe sich aber auch kein Drittstaat gefunden, der zur Zusammenarbeit bereit wäre, ergänzt Rapp.

Damit stehen die Dänen vor einem ähnlichen Problem wie die EU, als die Staats- und Regierungschefs im Juni 2018 auch auf Treiben der deutschen Regierung um Angela Merkel und Horst Seehofer beschlossen, auf dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge in Zentren in Nordafrika unterzubringen. Umgesetzt sind die Pläne bis heute nicht – es hat sich kein Land zur Kooperation bereiterklärt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Telefonat mit Carolin Hjort Rapp
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