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Putin-Gegner | Nawalny erwartet eine drakonische Strafe


Putin-Gegner
Nawalny erwartet eine drakonische Strafe

Von Roland Bathon und Irene Adler

21.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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Alexej Nawalny: Am Dienstag erwartet ihn eine mögliche weitere langjährige Haftstrafe.Vergrößern des Bildes
Alexej Nawalny: Am Dienstag erwartet ihn eine mögliche weitere langjährige Haftstrafe. (Quelle: Denis Kaminev/Reuters-bilder)

Alexej Nawalny sitzt zweieinhalb Jahre Haft in einer Strafkolonie ab, nun steht er erneut vor Gericht. Still ist er nicht, obwohl ihm eine harte Strafe droht. Die Richterin in dem Prozess wurde im Voraus befördert.

An diesem Dienstag wird für den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny ein neues Urteil verkündet, und es könnte viele weitere Jahre hinter Gittern bedeuten: Er muss bereits zweieinhalb Jahre wegen vorgeblichen Betrugs absitzen. Botschaften in seinen Social-Media-Kanälen sind deswegen für ihn zentral.

Dieses Mal geht es um die vorgebliche Veruntreuung von Geldern für seine Anti-Korruptionsstiftung FBK und die mutmaßliche Beleidigung einer Richterin. Die Staatsanwaltschaft fordert 13 Jahre in einer Strafkolonie. Entscheiden wird die Richterin Margarita Kotowa, die im Voraus von Präsident Wladimir Putin zur nächsthöheren Instanz befördert worden ist. Zuerst muss sie den Prozess gegen Nawalny zu Ende führen.

Und dort protestierte der 45-jährige Oppositionelle in seinen letzten Worten vor Gericht gegen die Anklage: "Selbst wenn ihr mir 113 Jahre Gefängnis gebt, werdet ihr mich und Menschen wie mich nicht einschüchtern." In den sozialen Medien veröffentlichte er parallel einen leidenschaftlichen Appell.

Appell in Social-Media-Kanälen

"Krieg ist ein Produkt des Despotismus. Wer gegen Krieg kämpfen will, muss nur gegen Despotie kämpfen", endet die Nachricht mit Worten des Schriftstellers Lew Tolstoi aus dem Jahre 1904. Nawalnys Botschaften erreichen die Welt also selbst aus der Haft. Doch wie gelingt es ihm, die Stellungnahmen zu verbreiten?

In der Gerichtsverhandlung hat er Rederecht. Das nutzte er auch am ersten Tag der russischen Invasion der Ukraine, um den "verbrecherischen Krieg der Kremlbande" anzuprangern.

Zwischen solchen Auftritten kann Nawalny handgeschriebene Notizen über seine Anwältin an das Team überreichen, sagt der Forschungsdirektor beim Center for Advanced Management Solutions in Moskau und Nawalny-Experte des mittlerweile gesperrten oppositionellen Senders "Doschd", Michail Komin.

Es ist quasi Material auf Vorrat für seine Verlautbarungen in sozialen Netzwerken, die dann bei passender Gelegenheit von seinem Account abgesetzt werden. Nawalny könne sich im aktuellen Strafverfahren zudem häufig mit seinem Rechtsbeistand treffen. "Er abonniert in der Haft die oppositionelle Zeitung 'Nowaja Gaseta', informiert sich so: Das ist noch erlaubt", erläutert Komin t-online. Auf diese Weise halte sich der Oppositionelle politisch auf dem Laufenden.

Organisation als extremistisch eingestuft

Seine personalisierten Auftritte in sozialen Netzwerken sind immer wichtiger geworden. Bei Twitter hat er 2,8 Millionen Follower, bei Instagram 3,5 Millionen Abonnenten, bei Facebook und dem russischen Gegenstück vk.com jeweils gut 500.000.

Im weniger virtuellen Raum haben Nawalnys Unterstützer einen sehr schweren Stand: Seine Vereinigung FBK, ihre Nachfolgeorganisation "Stiftung zum Schutz der Bürgerrechte" und nach der Präsidentschaftswahl 2018 aktive Regionalbüros sind als extremistisch eingestuft worden.

Im Juni 2021 gab das Moskauer Stadtgericht der Forderung der Staatsanwaltschaft statt. Vorwürfe waren, ihre Mitglieder hätten NS-Symbole benutzt, zu illegalen Demonstrationen aufgerufen und versucht, die verfassungsmäßige Ordnung zu ändern.

Die Einstufung hatte weitreichende Folgen: Die Verbreitung von Informationen, Finanztransaktionen, Teilnahme an Wahlen sowie Veranstaltung von Kundgebungen – all das ist für Nawalnys Organisationen mit strafrechtlichen Konsequenzen verboten.

Nawalnys Mitstreiter Wladimir Aschurkow, Leonid Wolkow und Lubow Sobol haben Russland längst verlassen und unterstützen ihn mittlerweile aus dem westlichen Ausland. Seine Pressesprecherin steht auf einer Fahndungsliste.

Bewegung größtenteils zerschlagen

"Der größte Teil der Infrastruktur der Bewegung Nawalnys, die Menschen auf die Straße führen konnte, wurde in der Tat zerschlagen", sagt Komin. "Es blieb lediglich die Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Netzwerken. Dadurch ist eine gewisse Unterstützung für Nawalny immer noch da, auch wenn seine Zustimmungsrate nach dem Verbot seiner Organisationen sank."

Im September 2020, kurz nach seiner Vergiftung, hatte Nawalny laut einer Umfrage noch 20 Prozent Sympathisanten in der Bevölkerung Russlands. Den aktuellen Daten des unabhängigen Lewada-Zentrums zufolge sind es derzeit lediglich 14 Prozent – gegenüber einem Anteil von 60 Prozent Kritikern. Sogar nur 2 Prozent der von Lewada Befragten erklärten, Nawalny zu vertrauen.

Schon immer spaltete der Kremlkritiker als Person die russische Gesellschaft. Seine Gegner sind zahlreicher als seine Anhänger. Bei 18- bis 24-Jährigen ist seine Anhängerzahl noch am höchsten. Denn Nawalnys Mitstreiter sind überall weiterhin auf Social Media für sich selbst und den Kremlgegner aktiv. Nach wie vor rufen sie zu Protesten auf.

Auf YouTube gründeten sie den Kanal "Populäre Politik", wo sie vor allem mit Interviews bereits 875.000 Abonnenten erreichen. Berichten zufolge könnte das Videoportal in Russland bald gesperrt werden, wogegen es jedoch auch im russischen Parlament Widerstand gibt.

Unterstützer durch Fehler verloren

Das bisher begrenzte politische Potenzial Nawalnys trotz seiner großen Prominenz und Reichweite verbindet der Moskauer Soziologe Boris Kagarlizky, Direktor des Instituts für Globalisierung und Soziale Bewegungen, nicht nur mit den Repressionen, sondern auch mit einer Reihe von Fehlern, die "zuerst Nawalny selbst und dann sein Team machten".

Vor Jahren habe der Politiker, so Kagarlizky, eine möglichst breite öffentliche und gesellschaftliche Bewegung noch relativ erfolgreich konsolidiert. Umfragen zufolge gingen die meisten Demonstranten jedoch nicht für seine Person auf die Straßen, sondern aus Protest gegen das Regime. Zuletzt habe Nawalny allerdings nicht mehr als Vertreter dieser Kräfte agiert. Stattdessen wollte er Unterstützung für seine Person. "Damit schränkte er seine Unterstützungsbasis radikal ein", beurteilt Kagarlizky.

"Gab niemanden mehr, der protestieren konnte"

Zu weiteren Fehlern Nawalnys gehört demnach die fehlende Koalitionslogik gegenüber anderen Oppositionellen, die nicht Teil seines Teams waren. Er habe diese mit seinem "Smart Voting" in den Regionen verdrängt, statt mit ihnen zu kooperieren. "Und als man Nawalny holte, gab es keinen mehr, der protestieren konnte", erklärt der Experte die Entwicklung nach der Inhaftierung. Interessanterweise warf selbst Michail Chodorkowski, Oligarch im Exil und Gegner Putins, Nawalny bereits 2017 Ansprüche auf eine "Monopolmacht" vor.

Die Frage, ob Nawalny je eine echte Alternative zu Putin war und ohne politische Verfolgung die Mitte viel besser hätte erreichen können, lässt Komin angesichts der Dominanz der staatlichen Medien offen. Wenn Putin ihn jedoch nicht so gefährlich für sich fände, würde Nawalny nicht derart hartnäckig politisch verfolgt, mutmaßt der Politologe. "Putin verglich einmal Nawalny mit Georgiens Ex-Präsident Saakaschwili. Also glaubt er wohl, dass Nawalny mit scharfen populistischen Äußerungen eine gewisse Anzahl von Menschen um sich scharen und die Macht ergreifen könnte."

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