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Ukraine-Helfer: "Sie sahen wie Russen Hunde fingen, um sie zu essen"


Helfer schildert Kriegserlebnisse
"Sie sahen, wie Russen Hunde fingen, um sie zu essen"


06.06.2022Lesedauer: 6 Min.
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Artur und Natalia, zwei ukrainische Kinder, in einem Bus auf der Flucht: "Für sie war die Not am Anfang am größten", sagt Fuhrken.Vergrößern des Bildes
Artur und Natalia, zwei ukrainische Kinder, in einem Bus auf der Flucht: "Für sie war die Not am Anfang am größten", sagt Fuhrken. (Quelle: ZUMA Wire/imago-images-bilder)

In der Ukraine werden dringend Spenden benötigt, doch die Bereitschaft geht immer weiter zurück. Ein Unternehmer aus Berlin versucht dennoch, so viele Menschen wie möglich zu retten.

Wenn Karsten Fuhrken auf die vergangenen drei Monate zurückblickt, kann er manchmal kaum glauben, wie sehr sich alles verändert hat. Noch bis vor Kurzem war seine Welt die Arbeit mit den Großen im Musikbusiness, wie etwa Herbert Grönemeyer. Heute dreht sich alles um die Hilfe für Kriegsflüchtlinge.

Am 24. Februar, als Putin seinen Angriffskrieg in der Ukraine begann, hat Fuhrken sofort gedacht: "Ich muss etwas tun." Der 44-Jährige ist selbst Vater einer Tochter, sah im Fernsehen die Bilder von Müttern, die mit ihren Kindern aus der Ukraine fliehen. Kurzerhand charterte er auf eigene Kosten einen Bus und startete eine Hilfsmission, die bis heute anhält.

Fuhrkens Geschichte steht beispielhaft für das große humanitäre Engagement vieler Menschen aus Deutschland und ganz Europa in diesem Konflikt. In mehr als drei Monaten waren sie mit belastenden Erlebnissen konfrontiert – und stehen nun vor der Frage, wie es eigentlich weitergehen soll.

800 Tonnen Lebensmittel erreichten Ukraine

Mehr als 2.500 Menschen hat er bislang aus der Ukraine geholt und mehr als 800 Tonnen Lebensmittel dorthin gebracht. Fuhrken erhielt Unterstützung von Künstlern, Bands und Veranstaltern. Sein volles Adressbuch war dabei eine große Hilfe. Er organisierte Paten für die Bustouren; Menschen meldeten sich freiwillig, um die Flüchtlinge in Berlin, Leipzig oder Frankfurt in Empfang zu nehmen und sie in Unterkünfte zu vermitteln.

"Ich musste in diesen ersten Wochen sehr oft an die Schilderungen meiner Großeltern denken. Sie erzählten davon, wie es damals war, im Zweiten Weltkrieg", so Fuhrken. Die Geschichte wiederhole sich.

Das, was die Ukrainer im Moment erleben, sei vor mehr als 70 Jahren schon einmal in Deutschland passiert, meint er. "Unerträglich. Und in den Momenten, wo wir Menschen in den Bus nach Deutschland verabschieden, uns weinend in den Armen liegen, denke ich auch daran, wie ich 1989 mit meiner Mutter und meiner Oma nach Westdeutschland kam."

Man habe damals nicht geglaubt, dass die Grenze nun wirklich für immer offen bleibe. "Klar, die Situation war eine andere. Aber die starken Emotionen, die Aufnahme in den Westen und die Freude damals, das ist schon ein wenig vergleichbar mit den Menschen, die nun nach Deutschland kommen."

Ob in Odessa, Charkiw, Cherson oder Mariupol – das Leid, das ihm auf seinen Hilfsmissionen begegnet, ist manchmal schwer zu ertragen. Dennoch tut er es, so gut es eben geht – und teilt seine Erlebnisse. Auf seinem Instagram-Account postet er dazu regelmäßig, zeigt, was mit den Hilfsgütern geschieht oder berichtet von bewegenden Schicksalen.

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Da ist etwa die Familie aus Mariupol, die sich wochenlang in einem Keller versteckt hielt. Notdürftig mussten sie andere Menschen begraben, die im Versteck gestorben waren. Es fehlten sauberes Wasser und Lebensmittel, eine Toilette gab es nicht. Eine Mariupolerin berichtete, sie habe aus einem kleinen Fenster heraus beobachtet, wie russische Soldaten Hunde von der Straße fingen, um sie zu essen.

"Sie wussten manchmal nicht, welche Tageszeit war, und versuchten, sich mit Taschenlampen den Tag in die Dunkelheit zu holen", erzählt Fuhrken. Heute sind sie in Deutschland, in Sicherheit, leben in Köln. Es sind Geschichten wie diese, derentwegen der 44-Jährige weitermacht.

"Sie haben es nicht kommen sehen"

In Suceava, einer Stadt in Rumänien, fahren die Busse mit den ukrainischen Flüchtlingen in Richtung Deutschland ab. Fuhrken arbeitet dort mit dem Betriebsleiter einer rumänischen Flixbus-Niederlassung zusammen.

Wünscht man eine gute Reise? Viel Glück? Häufig lag sich Fuhrken mit fremden Ukrainern in den Armen, weinend, kaum fassend, was in dem Land, nur wenige Autostunden von Deutschland entfernt, gerade geschieht. "Sie haben es nicht kommen sehen", sagt er.

Nicht alle können mit. Eine 90-jährige Frau musste dortbleiben, weil die stundenlange Fahrt eine zu große Strapaze für sie gewesen wäre. Sie und ihre Tiere, ein Hund, eine Katze und Meerschweinchen, sind erst einmal bei einem Helfer untergekommen, bis der rettende Krankentransport kommen kann.

Der bislang vielleicht größte Erfolg: Andrej herauszubringen

Eines der größten Erfolgserlebnisse ist für Fuhrken die Geschichte von Andrej. Der 32-Jährige schaffte es, aus einer Kleinstadt bis nach Odessa vorzudringen. Er leidet an der Stoffwechselerkrankung Morbus Fabry, an der bereits sein Bruder starb. Das ist allerdings kein Grund für die ukrainische Armee, ihn auszumustern. Er hätte trotz seiner Erkrankung kämpfen müssen.

Morbus Fabry ist eine angeborene Stoffwechselerkrankung, die meistens Männer trifft. Die Krankheit kann Auswirkungen auf mehrere Organe haben. Die Lebensqualität bei Erkrankten ist beeinträchtigt, mit einer Enzymersatztherapie ist sie behandelbar.

Doch Andrej hätte nicht kämpfen können. Also versuchte Karsten Fuhrken, den jungen Mann aus der Ukraine zu bekommen. Mithilfe einer Gesellschaft in Deutschland, die auf die Erkrankung spezialisiert ist, wurde ein Bericht geschrieben, der die Krankheit und ihre Folgen – unbehandelt führt sie zum Tod – erklärt.

"Ich habe es tatsächlich geschafft, ihn über die Grenze zu schwatzen. Das kann ich eigentlich immer noch nicht fassen", erzählt der Unternehmer. Heute lebt Andrej in Düsseldorf und wird medizinisch in Münster versorgt. "Das werde ich nie vergessen", sagt Fuhrken.

"Wichtig ist auch die Möglichkeit, selbst zu kochen"

Wenige Wochen nach Kriegsbeginn konnte er dabei helfen, Mütter und ihre Kinder mit Behinderungen in eine Klinik nach Neuruppin zu evakuieren. "Wichtig ist für die Menschen auch, nicht nur ein Obdach zu haben, sondern etwa die Möglichkeit, selbst zu kochen", erzählt Fuhrken.

Er hatte die Frauen und Kinder an Ostern mit seiner eigenen Tochter in Neuruppin besucht. Kurz vorher war ein eigener Herd für die Frauen in die Klinik gebracht worden. "Selbst das eigene Essen kochen zu können, bedeutet in diesen Tagen eben auch ein Stück Freiheit. Freiheit und die Möglichkeit, sich selbst mit bekannten Gerichten versorgen zu können. Das schafft auch ein Heimatgefühl."

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Verein organisiert Spenden

Inzwischen hat Fuhrken den Verein TMR Flüchtlingshilfe Ukraine Berlin e.V. gegründet, um die Spenden und Hilfsaktionen besser organisieren zu können. Immer wieder fahren Busse aus der Ukraine nach Deutschland, bringen die Menschen in Sicherheit und fahren voll mit Lebensmitteln zurück an die rumänisch-ukrainische Grenze.

Doch die Bereitschaft zu helfen, hat in den vergangenen Wochen nachgelassen, der Krieg ist für viele Menschen zur Normalität geworden. "Das merke ich auch bei den Spenden." Das mache es immer schwieriger, denn die Lage in der Ukraine sei weiter katastrophal. Noch zu Beginn fehlten vor allem Babynahrung, Windeln und auch Kleidung, da es im Februar und März noch sehr kalt in der Ukraine ist. "Die Not war für kleine Kinder am Anfang am größten", sagt er. Nun brauchen die Menschen dringend Wasser und Lebensmittel.

"Wir haben erst vor wenigen Tagen einen Lkw voller Wasserflaschen in ein Kinderkrankenhaus nach Mykolajiw gebracht. Dort gibt es kein sauberes Wasser und Kinder werden sterben, wenn sie, ohnehin geschwächt, durch dreckiges Wasser krank werden", erzählt Fuhrken. Die Stadt liegt etwa 130 Kilometer von Odessa entfernt. "Es geht ums nackte Überleben." Vor wenigen Tagen wurde auch in Dnipro ein Altersheim durch den Verein von Fuhrken evakuiert. Russische Truppen seien der Stadt schon gefährlich nahe gewesen.

Kraftstoff für Lastwagen fehlt

An den Grenzen hat sich die Situation inzwischen verändert, es gibt keine 20 Kilometer langen Schlangen mehr. Da stünden nur noch Lastwagen, sagt der 44-Jährige. Doch auch Lastwagen mit Lebensmitteln und Wasser zu organisieren, wird immer schwieriger. In einigen Teilen des Landes kommen sie etwa wegen fehlenden Diesels nicht mehr weiter, obwohl es aktuell wichtiger denn je wäre.

Denn die Lage für die Menschen vor Ort sei dramatisch. "Man muss bedenken, dass von den etwa 41 Millionen Einwohnern der Ukraine vielleicht zehn bislang geflohen sind." Die restlichen Einwohner seien noch im Land und könnten sich immer schlechter versorgen.

Fuhrken spricht viel mit anderen Helfern, wenn er in der Ukraine ist. Junge unerschrockene Ukrainer etwa, die allein leben und keine eigene Familie haben, sind mit einem Sprinter in einen Wald gefahren, nahe der umkämpften Stadt Cherson. Dort harrten sie zwei Tage aus und warteten, bis der russische Belagerungsgürtel brach. "Und dann brachten sie die Menschen da raus."

In Karsten Fuhrkens Stimme schwingt in diesen Tagen auch Sorge und Angst mit. Angst davor, wie Putin seine nächsten Schritte wählt. Und Angst davor, ob genug Geld durch Spenden gesammelt werden kann, um weiter Menschen in der Ukraine zu helfen.

"Ich werde manchmal von Ukrainern gefragt: Warum machst du das?", erzählt Fuhrken. Die Antwort darauf könne er gar nicht so einfach geben. Denn was wäre die Alternative? Nichts zu tun? Für ihn ist das keine Option. "Ich will den Ukrainern den Glauben an die Menschlichkeit zurückgeben", sagt er. Denn die hätten viele durch Putins kaltblütiges Handeln verloren. Es sei unglaublich wichtig für die Ukrainer, die Unterstützung aus Deutschland und anderen Menschen zu spüren. "So fühlen sie sich weniger allein", sagt er.

Verwendete Quellen
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