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Ukraine beruft Botschafter Andrij Melnyk ab: Abschied vom Provokateur


Ukraine beruft Botschafter Melnyk ab
Abschied vom Provokateur


Aktualisiert am 09.07.2022Lesedauer: 5 Min.
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Andrij Melnyk: Als ukrainischer Botschafter in Deutschland war er sehr umstritten.Vergrößern des Bildes
Andrij Melnyk: Als ukrainischer Botschafter in Deutschland war er sehr umstritten. (Quelle: reuters)

Die Ukraine hat ihren Botschafter in Deutschland entlassen. Hintergründe sind noch nicht bekannt. Aber zuletzt stand Melnyk stark in der Kritik.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist Andrij Melnyks Name aus den Schlagzeilen nicht mehr wegzudenken. Der ukrainische Botschafter in Deutschland ist nicht nur wegen seiner eindringlichen Forderungen nach Waffenlieferungen in den Fokus gerückt – sondern auch wegen mehrerer umstrittener und teils beleidigender Äußerungen.

Haben genau diese Melnyk nun seinen Posten gekostet? Vor wenigen Tagen wurden bereits Spekulationen öffentlich, der 46-Jährige solle ins Außenministerium nach Kiew wechseln – noch in diesem Herbst. Er sei als stellvertretender Außenminister vorgeschlagen worden. Auf Anfrage von t-online wollte Melnyk den Vorgang nicht kommentieren.

Nun die Nachricht: Der ukrainische Präsident hat Melnyk als Botschafter entlassen. Die Gründe und ob er künftig ein anderes Amt bekleiden wird, teilte Wolodymyr Selenskyj nicht mit. In den vergangenen Monaten sorgte der Diplomat allerdings für reichlich Zündstoff. Ein Überblick.

Kiew distanziert sich

Zuletzt hatte sich die Regierung in Kiew von dem Botschafter distanziert: Melnyk hatte den früheren Nationalistenführer Stepan Bandera (1909-1959) in einem Interview mit dem Journalisten Tilo Jung in Schutz genommen und gesagt: "Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen." Melnyk zufolge wurde die Figur Banderas gezielt von der Sowjetunion dämonisiert. Der Botschafter warf deutschen, polnischen und israelischen Historikern vor, dabei mitgespielt zu haben. "Ich bin dagegen, dass man all die Verbrechen Bandera in die Schuhe schiebt", sagte der Diplomat. "Es gibt keine Belege, dass Bandera-Truppen Hunderttausende Juden ermordet haben."

Bandera ist eine der umstrittensten Figuren der ukrainischen Geschichte, für viele in der Ukraine ist er bis heute ein Nationalheld. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er als Anführer ukrainischer Nationalisten gegen die sowjetische Herrschaft, Historiker werfen ihm jedoch seine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten vor. Melnyk nahm Bandera auch gegen diesen Vorwurf in Schutz. "Was heißt kollaboriert? Kollaborateure gab es in ganz Europa – in Frankreich, in Belgien, also in jedem Staat", sagte der Botschafter. Lesen Sie hier mehr zur Person Bandera.

Melnyks Aussagen über Bandera sorgten für empörte Reaktionen – und zwar nicht von jenen, denen der Botschafter und seine Kommunikation ohnehin ein Dorn im Auge sind. Allen voran kritisierte Polen ihn scharf: "So eine Auffassung und solche Worte sind absolut inakzeptabel", sagte der polnische Vize-Außenminister Marcin Przydacz am Freitag. "Wir wissen genau, wie die polnisch-ukrainischen Beziehungen waren und was in den Jahren 1943 und später in Wolhynien und Ostgalizien geschah", fügte er mit Blick auf die von ukrainischen Ultranationalisten verübten Massaker hinzu. Warschau sei aber "an der Position der ukrainischen Regierung interessiert, nicht an der von Einzelpersonen".

"Verzerrung der historischen Tatsachen"

Sogar die eigene Regierung ging auf Distanz zu Melnyk: Das ukrainische Außenministerium erklärte, Melnyks Meinung sei seine persönliche und gebe nicht die Position des Ministeriums wieder.

Die israelische Botschaft in Berlin zeigte sich bestürzt: "Die Aussagen des ukrainischen Botschafters sind eine Verzerrung der historischen Tatsachen, eine Verharmlosung des Holocausts und eine Beleidigung derer, die von Bandera und seinen Leuten ermordet wurden", hieß es auf dem offiziellen Twitteraccount. Melnyks Darlegungen "untergraben auch den mutigen Kampf des ukrainischen Volkes, nach demokratischen Werten und in Frieden zu leben". Melnyk konterte am Dienstag auf Twitter: "Diese absurden Vorwürfe weise ich entschieden zurück! Jeder, der mich kennt, weiß: Immer habe ich den Holocaust auf das Schärfste verurteilt!".

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Der 46-Jährige hatte in der Vergangenheit des Öfteren verherrlichende Aussagen über Bandera getätigt. 2015 legte er Blumen an seinem Grab nieder und nannte ihn einen "Helden".

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Melnyk versus Scholz

Es ist nicht das erste Mal, dass Melnyk scharfe Kritik auf sich gezogen hat. Schon in den Vormonaten war er kontinuierlich angeeckt – und entschuldigte sich zuletzt sogar für manch umstrittene Aussage.

Seit dem Ausbruch des Krieges in seiner Heimat provozierte der Botschafter mit teils beißender Kritik an deutschen Regierungsvertretern und Politikern. Selbst den Bundeskanzler und den Bundespräsidenten erwischte es. Letzterem warf Melnyk in einem Interview vor, "seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft" zu haben.

Olaf Scholz zögerte im Gegensatz zu anderen europäischen Regierungschefs lange mit einem Besuch in Kiew und erklärte sein vorläufiges Nein auch mit einer Ausladung Steinmeiers, der Wochen zuvor spontan die Ukraine besuchen wollte. Das stehe seinem eigenen Besuch im Weg, so Scholz Anfang Mai.

Der Botschafter nannte ihn daraufhin in einem Interview eine "beleidigte Leberwurst". Er zelebrierte den eigenen Spruch demonstrativ und twitterte etwa ausführlich über Treffen mit einem Südpfälzer Leberwurst-Produzenten. Erst Ende Juni, nachdem Scholz doch noch Kiew besucht und Deutschland die gewünschten Panzerhaubitzen in die Ukraine geliefert hatte, sagte Melnyk, dass er sich für die Äußerung bei Scholz entschuldigen wolle.

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Die Äußerung sei "diplomatisch nicht angemessen" gewesen und habe "viele Menschen nicht nur in Deutschland vor den Kopf gestoßen", sagte er dem "Spiegel". Er musste einräumen, dass sein Spruch auch in Kiew bei Präsident Wolodymyr Selenskyj und seinem eigenen Vorgesetzten, Außenminister Dmytro Kuleba, für Irritation gesorgt hatte.

Die SPD im Visier

Es war der Höhepunkt einer langen Entwicklung, bei der Melnyk immer wieder insbesondere die Politik der SPD ins Visier genommen hatte. Bei den Sozialdemokraten wiederum beschwerten sich von Anfang an einflussreiche Genossen hinter vorgehaltener Hand über Melnyk.

Ein Schlagabtausch zwischen dem ehemaligen Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) und Melnyk sorgte im April für Aufsehen: Nach Melnyks Äußerungen über Steinmeier verteidigte Gabriel den Bundespräsidenten in einem "Spiegel"-Gastbeitrag. Melnyk kommentierte Gabriels Artikel auf Twitter: "Sie verschweigen dabei IHRE PERSÖNLICHE POLITISCHE Verantwortung für das Putinsche Projekt Nord Stream 2, das Sie als Vizekanzler 2015 ins Leben riefen." Eine öffentliche Diskussion folgte. Lesen Sie hier mehr dazu.

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Konflikt mit Lindner

Auch mit Finanzminister Christian Lindner kam es zum Bruch. Lindner war einer jener Regierungsvertreter, die Melnyk unmittelbar nach Kriegsausbruch getroffen hatte. Dabei habe der FDP-Chef ihm gesagt, Kiew bleibe ohnehin nur wenige Stunden bis zur Niederlage, so Melnyk. Der Botschafter gab den Satz an die Medien. Lindner ließ dementieren. Das Vertrauen war dahin.

Melnyk stritt auch mit solchen Mitteln unablässig für weitere Waffenlieferungen an sein Land – nicht nur aus Beständen der Bundeswehr, sondern auch dafür, dass die Bundesregierung Exporte von Rüstungsfirmen genehmigt. Auch forderte er konstant, dass Deutschland ein Energie-Embargo gegen Russland verhängen und damit nicht weiter Putins Kriegskasse füllen sollte.

"Sie sind ein echtes Ar..."

Für die Aussage, geflüchtete Ukrainer hätten auch wegen mangelnder Solidarität "keine Lust", in Deutschland zu bleiben, entschuldigte er sich ebenfalls. Noch heftiger ging Melnyk mit öffentlichen Figuren um, die auch im Krieg für eine Verständigung mit Russland plädierten oder Zugeständnisse der überfallenen Ukraine forderten. Als der Politikwissenschaftler Johannes Varwick nach Kriegsausbruch ins Spiel brachte, dass die ukrainische Regierung ins Ausland flüchten solle, um den Krieg nicht in die Länge zu ziehen, antwortete Melnyk knapp auf Twitter: "Sie sind ein echtes Ar..."

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Auf diesem Feld der öffentlichen Kommentierung blieb sich Melnyk bis zuletzt treu. Als die "Zeit" in der vergangenen Woche einen weiteren offenen Brief zum Umgang mit der Ukraine und Russland veröffentlichte, reagierte Melnyk ebenso deutlich, wenn auch auf Englisch: "Was für eine Truppe pseudointellektueller Loser!"

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Auch Attacken wie diese machten Melnyk zum bekanntesten Botschafter in Deutschland – und womöglich haben sie ihn nun seinen Posten gekostet.

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel ist erstmals am 5. Juli 2022 auf t-online erschienen.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • Anfrage an Botschafter Melnyk
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