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Experte über Ukraine-Krieg: "Es ist denkbar, dass sich das Blatt wendet"


Ukrainische Gegenoffensive in Cherson
"Es ist dann durchaus denkbar, dass sich das Blatt wendet"


26.07.2022Lesedauer: 3 Min.
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Ukraine-Krieg: Nach der Oblast Luhansk konzentrieren sich die russischen Truppen nun auf die Region Donezk. (Quelle: Glomex)

Russland konzentriert sich auf die Einnahme des Donbass, die Ukraine will Boden im Süden zurückerobern. Ein Experte dämpft die Hoffnung – für beide Parteien.

Seit nun fünf Monaten tobt der Krieg in der Ukraine. Erst kürzlich erreichte Russland eine strategisch wichtige Etappe: die Eroberung der Region Luhansk. Derweil liegen Friedensverhandlungen seit Wochen auf Eis. Vielmehr fokussiert Kremlchef Wladimir Putin das russische Kriegsziel, Donezk und damit den gesamten Donbass für sich zu gewinnen. Gelingt die Offensive?

"Die russische Armee kommt im Donbass nur langsam voran, weil sie wegen fehlender Kräfte nicht flächendeckend angreifen kann", sagt Wolfgang Richter, Experte für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, im Gespräch mit t-online. Sie konzentriere sich auf kleinere Räume und erziele dort eine lokale Feuerüberlegenheit. Gemeint ist damit etwa das Dorf Nowoluhanske, südlich der Stadt Bachmut.

"Die Ukrainer beißen sich in den Städten fest"

Ähnlich schätzt die Lage auch die US-Denkfabrik "Institute for the Study of War" (ISW) ein. Der Ort Nowoluhanske sei weder eine große Siedlung noch zeichne er sich durch besonders schwieriges Gelände aus. Dennoch kämpften die russischen Truppen dort seit Wochen, berichten die Militärexperten.

Dies stellt sich in dem Bericht als grundlegendes Problem heraus: "Die russischen Streitkräfte haben regelmäßig große Schwierigkeiten, kleine und relativ unbedeutende Geländestücke über Wochen oder Monate hinweg zu erobern." Dabei schwächten sich die Einheiten kontinuierlich selbst – und es sei unwahrscheinlich, dass die Armee die Einnahme von Nowoluhanske wirksam nutze, um Bachmut für sich zu gewinnen.

Bei der gegnerischen Seite stellt Experte Richter hingegen fest: "Die Ukrainer beißen sich in den Städten fest." Der Stadtkampf werde mit sehr viel Feuerkraft geführt, die Städte würden regelrecht zerschossen. Nach dem Verlust des Bezirks Luhansk versuche die Ukraine, solange es geht, den Oblast Donezk zu halten; aber sie werde sich nach zähem Widerstand doch schrittweise zurückziehen. "Mit dieser Verzögerungstaktik will sie Zeit gewinnen und die Verluste auf russischer Seite erhöhen", so Richter.

Wolfgang Richter ist Wissenschaftler für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit dem Verhältnis der Nato zu Russland sowie ungelösten Territorialkonflikten in Europa. Außerdem forscht er zu den Auswirkungen neuer Militärtechnologien auf Strategie, Kriegsvölkerrecht und humanitäre Rüstungskontrolle.

"Wendepunkt auf dem Schlachtfeld"

Zugleich bereitet die ukrainische Armee im Süden des Landes einen Gegenangriff vor, etwa auf die von Russland eroberte Region Cherson. Präsident Putin strebt dort ein Referendum an – die Ukraine will das verhindern. "Wir können sagen, dass ein Wendepunkt auf dem Schlachtfeld erreicht wurde", sagte Serhij Chlan von der Kiew-treuen Militärverwaltung Chersons am Sonntag in einem Fernsehinterview. Man sehe, dass die Streitkräfte offen vorrückten. Die ukrainischen Truppen würden von der Defensive in die Gegenoffensive wechseln. Cherson werde "definitiv bis September befreit" sein, so Chlan.

Unabhängig prüfen lassen sich die Angaben nicht, aber auch Experte Richter prognostiziert den Gegenangriff. "Es ist dann durchaus denkbar, dass sich das Blatt wendet: Die Russen verschanzen sich in Städten wie Cherson und die Ukrainer beschießen sie", sagt Richter.

Kampf in der Tiefe

Der Experte stellt allerdings auch eine Parallele fest: Russland und die Ukraine verfolgten beim Kampf in der Tiefe die gleiche Taktik. Die russische Armee greife mit Langstreckensystemen Verbindungslinien und Waffendepots weit hinter den Frontlinien an, wie etwa die Hafenstadt Odessa im Süden des Landes. "Alles das, was nötig ist, um Reserven und Logistik an die Front zu bringen, wird Ziel von Attacken", so Richter.

Und auch die ukrainischen Truppen griffen Depots in der Tiefe, Eisenbahnlinien im Donbass und Brücken über den Dnjepr an, um zu verhindern, dass Russland seine weiter westlich stehenden Kräfte verstärken kann.

"Kein Grund zur Euphorie"

Derweil dämpft der Experte die Hoffnung, dass die am Montag gelieferten Gepard-Panzer aus Deutschland oder die Mehrfachraketen, die am Donnerstag die Ukraine erreichten, die Wende bringen. "Man sollte den Erfolg im Gefecht nicht an einem Waffensystem festmachen, Wunderwaffen gibt es nicht." Letztlich komme es darauf an, wie gut die ukrainische Armee die Waffen im Verbund einsetze.

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Auch dass Russland bei der Eroberung des Donbass nur kleine Fortschritte mache, könne für die Ukraine kein Grund zur Euphorie sein. "Bislang sind die Russen langsam, aber stetig vorangekommen", so Richter. Es könne jedoch noch Wochen oder Monate dauern, bis sie im Donbass einen durchschlagenden Erfolg erzielen können, wenn sie ihre Ressourcen nicht nachhaltig verstärken können. Denn auch der Westen liefert derweil weiter Waffen und Munition.

Das ISW berichtet zudem, Putins Armee stehe vor der Herausforderung, beschädigte Kampffahrzeuge zu reparieren. Experte Richter stellt klar: "Die volle Kontrolle über die Ukraine werden die Russen militärisch so nicht gewinnen können."

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP und dpa
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