t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikAuslandTerrorismus

Der neue Krieg im Nahen Osten: "Schlimmer geht hier immer" | Israel


Gewalt im Nahen Osten
Eine Region zum Verzweifeln

  • Gerhad Spörl
MeinungVon Gerhard Spörl

09.10.2023Lesedauer: 3 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
urn:newsml:dpa.com:20090101:231008-99-485655Vergrößern des Bildes
Israelische Polizisten vor einer zerstörten Polizeistation in der Stadt Sderot. (Quelle: Ohad Zwigenberg)

Der 7. Oktober 2023 markiert Israels 9/11. Zugerufene Schicksale aus einem angegriffenen Land, das mit aller Brutalität zurückschlagen wird.

Zehn junge Leute quetschten sich in ein Auto und rasten im Zickzack davon. Palästinensische Kommandos, die wahrscheinlich durch Tunnels aus Gaza in den Süden Israels gekommen waren, schossen ihnen hinterher. Die Zehn, die das Musikfestival nahe dem Grenzstreifen besucht hatten, schafften es.

Drei Mädchen rannten und rannten, als die Kommandos das Festival stürmten und um sich schossen. Sie rannten mehr als zwei Kilometer lang. Sie schafften es in eine Siedlung, die Einwohner nahmen sie mit in den Schutzraum im Keller. Palästinenser aber drangen ein und ermordeten alle Menschen, die sich dort gerade noch sicher geglaubt hatten.

Diese Geschichten erzählten uns Freunde und Verwandte. Viele israelische Familien beklagen den Tod eines Kindes, eines Neffen, eines Freundes. Schreckliche Geschichten aus dem Echoraum des Irrsinns, der Naher Osten genannt wird. Der Überfall der Hamas wird ins Geschichtsbuch eingehen. Die Hamas berauscht sich daran. Für die Israelis ist der 7. Oktober 2023 ein Alptraum. 10/7 ist ihr 9/11.

Der Mossad hatte nichts gehört

Das Datum ist kein Zufall. Am 6. Oktober war es 50 Jahre her, dass Ägypten Israel angriff und Israel völlig überrascht davon war. Damals hatte der Geheimdienst gewarnt und kein Politiker wollte es hören. Diesmal haben die über alles geschätzten Mossad und Shin Beth offenkundig nichts gehört und nichts gesehen und folglich komplett versagt. So konnte das Unerhörte, das Unbegreifliche sich entfalten. Nicht vom Westjordanland, wo die Siedler die palästinensischen Nachbarn mit heller Freude provoziert hatten, ging der Krieg aus, sondern vom sogenannten Gaza-Streifen, der in Wahrheit ein doppeltes Gefängnis ist, abgeriegelt von Israel und beherrscht von der Hamas, die Blut säen will.

Die Hamas ist, genauso wie die Hisbollah im Libanon, abhängig vom Iran. Ohne das Einverständnis, ohne die Aufforderung zum Handeln, wären die Kommandos nicht aus der Luft und auf dem Boden nach Israel eingedrungen und hätten einen Krieg verursacht. Die erstaunlich hohe Anzahl an Raketen, die für die bewunderte Flugabwehr der Israelis eine echte Herausforderung darstellen, sind wohl auch eine Liebesgabe aus dem Iran. Gut möglich außerdem, dass entführte israelische Soldaten nach Teheran gebracht werden. So hielt es die Hisbollah in den 1980er-Jahren, als sie CIA-Agenten in Beirut gekidnappt hatte. Wer im Gewahrsam der Revolutionsgarden ist, kann nicht befreit werden, das ist die Logik.

Denn natürlich wird die israelische Armee in aller Brutalität zurückschlagen, weil sie überrumpelt worden ist und viele Tote, viele Verwundete und dazu viele Geiseln zu beklagen hat. Auge um Auge, Toter um Toter, so halten sie es hier. Das Erbarmungslose, das Unmenschliche gehört wie selbstverständlich zum Nahen Osten. Dass junge Menschen Musik hören wollten, wie junge Menschen auf der ganzen Welt es tun, machte sie für die Hamas zu willkommenen Opfern. Ein Zivilist, so denken sie, lässt sich leicht ermorden, weil er unbewaffnet ist und arglos. Was im Alltag als Spannung in Israel, im Westjordanland und nahe dem Gaza zu spüren ist, als Bombe, die nur gezündet werden muss, explodiert nun mit aller Gewalt.

Netanjahu will das Land entdemokratisieren

Auf eine Intifada, bei der Kinder und Jugendliche Steine und Molotowcocktails werfen, waren sie in Israel eingestellt. Der kriegerische Überfall am frühen Samstagmorgen hat sie kalt erwischt. Dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nun die Zivilisten in Gaza auffordert, von dort wegzugehen, ist purer Zynismus. Wohin sollten sie denn gehen?

Gerade noch war Israel gespalten. Die radikale Regierung unter dem Manipulations-Artisten Netanjahu will das Land entdemokratisieren. Damit hat er Reservisten und Teile des Geheimdienstes und das halbe Land gegen sich aufgebracht. Irgendwann wird Israel danach fragen, wer Schuld am Versagen der hochgelobten Institutionen trägt und auf Netanjahu kommen. Aber zuerst einmal tobt der Krieg gegen Gaza, der große Rachefeldzug, gesteigert noch durch die unerwartete Invasion der Hamas.

Darauf muss dieser Krieg allerdings nicht beschränkt bleiben. Warum sollte der Iran nicht auf die Idee verfallen, die Hisbollah nicht nur vereinzelt angreifen, sondern eine zweite Front eröffnen zu lassen? Wer sollte die Mullahs daran hindern – Amerika etwa? Und wer könnte Netanjahu davon abhalten, ausgiebig Rache zu üben?

Auch in Gaza werden viele Zivilisten sterben, während sich die Hamas-Führung in Sicherheit bringt. Der Nahe Osten ist eine Region zum Verzweifeln. Schlimmer kann es nimmer werden, gilt nicht, sondern das Gegenteil. Das Schlimmstmögliche lässt sich hier beliebig steigern. Die nächsten Tage und Wochen werden Beispiele ohne Ende liefern.

Verwendete Quellen
  • Gesprächspartner in Israel
  • Agenturen
  • Eigene Recherchen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website