t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikGerhard Spörl: Der Welterklärer

Meinung: Trump, Putin und Assad fühlen sich als Herren der Welt


Massaker und Bomben
Der Zynismus darf nicht das letzte Wort behalten

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 26.02.2018Lesedauer: 6 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
"Schafft die NRA ab": Schüler demonstrieren vor dem Kapitol in Washington für strengere Waffengesetze in den USA.Vergrößern des Bildes
"Schafft die NRA ab": Schüler demonstrieren vor dem Kapitol in Washington für strengere Waffengesetze in den USA. (Quelle: J. Scott Applewhite/ap)

Was haben die Massaker in Ost-Ghuta und der Amoklauf in Parkland gemeinsam? Es mag passieren, was will, die Zyniker finden immer wieder absurde Gründe, weshalb sich auf keinen Fall etwas ändern darf.

Wer sich auch nur ein bisschen über die Ereignisse in der Welt informiert, kommt an einem Begriff nicht mehr vorbei: Zynismus. Damit meine ich, dass jemand die geltenden Wert- und Moralvorstellungen missachtet und verhöhnt. Dieser Jemand ist an vielen Orten der Welt zu Hause und deshalb beschränke ich mich auf zwei Flecken Erde, von denen wir in den letzten Tagen mehr erfahren haben, als wir je wollten, auf Parkland und Ost-Ghuta.

Parkland liegt in Florida und an einer Highschool starben am 14. Februar 17 Kinder und Erwachsene. Ein 19-Jähriger namens Nikolas Cruz tötete sie mit einem halbautomatischen Gewehr. Danach passierte, was immer passiert, wenn etwas passiert ist: leeres Gerede der Verantwortlichen. Donald Trump twitterte in routinierter Ergriffenheit: "My prayers and condolences to the families of the victims of the terrible Florida shooting. No child, teacher or anyone else should ever feel unsafe in an American school."

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Die "National Rifle Association of America", kurz NRA, die mächtigste und schamloseste Lobbyorganisation, die sich denken lässt, duckte sich eine Woche lang weg.

Lösung: Ein Guter mit einer Waffe?

Danach ging es in aller Unverfrorenheit weiter wie gewohnt. Der Präsident empfing überlebende Kinder aus Parkland, trauerte mit ihnen, und sagte hinterher, die beste Verteidigung gegen Amokläufer seien bewaffnete Lehrer. Dieses Stichwort nahm Wayne LaPierre, der oberste Waffennarr der NRA, sofort auf und sagte, was er immer sagt: Das beste Mittel gegen einen Bösen mit Waffe sei ein Guter mit Waffe.

Ach wirklich? Interessanterweise stellte sich heraus, dass der stellvertretende Sheriff Scot Peterson, der für die Schule abgestellt war, mit seiner Waffe auf einem Parkplatz in Deckung gegangen war, anstatt den Kindern zu helfen und den Schützen zu erschießen. Weiterhin stellte sich heraus, dass vorher insgesamt 23 (!) Warnanrufe bei der Polizei und dem FBI eingegangen waren, Nikolas Cruz horte Waffen und stoße Drohungen aus und habe offenbar einen Amoklauf im Sinn.

Gewalt und Amerika sind eins

Gewalt und Amerika sind eins. 300 Millionen Waffen sind dort im Umlauf, das ist eine Waffe für jeden einzelnen Amerikaner vom Baby bis zum Greis. Da mögen noch so viele Kinder in den Schulen sterben, noch so viele Eltern aufschreien, die NRA bleibt eine Macht. Wenn sich unter dem Schock des Ereignisses etwas ändert, dann höchstens Marginales: Im Bundesstaat Florida erhöhen sie jetzt das Alter für den Waffenkauf von 18 auf 21 und wollen es psychisch Gestörten erschweren, sich Sturmgewehre zuzulegen. Mehr geht nicht in Florida und auch nicht in vielen anderen Bundesstaaten. Wer Waffen verbieten möchte, wird von dem unseligen Wayne LaPierre als Sozialist und Amerika-Hasser denunziert. Der Mann darf seinen bodenlosen Zynismus seit vielen Jahren ungestört verbreiten.

Die Definition für einen Zyniker lautet so: ein bissiger und ehrfurchtsloser Mann. Wayne LaPierre erfüllt die Kriterien vollkommen.

Schüler wollen Wahnsinn nicht mehr mitmachen

Die Schülerinnen und Schüler in Florida wollen den Wahnsinn nicht mehr mitmachen. Zwei von ihnen ragen heraus. Cameron Kasky ist 16 und Emma Gonzalez 18. Im nationalen Fernsehen und in Town-Hall-Meetings plädierten die beiden leidenschaftlich und unter Tränen für restriktive Waffengesetze. Sie lassen die Zyniker im Weißen Haus und in der NRA alt und dumm und unbelehrbar aussehen.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Zu Recht sagen die zwei Jugendlichen, dass Amerika seine Waffen mehr liebt als seine Kinder. Daraus könnte sich so etwas wie die #MeToo-Bewegung entwickeln. Überfällig wäre ja ein Gegengewicht zur NRA, heilsam für dieses waffentrunkene Amerika, das sich teils aus Überzeugung, teils aus Apathie in den Wahnsinn gefügt hat und Gesetze wie in Florida zulässt, wonach man nicht einmal einen Waffenschein braucht, um Waffen zu kaufen.

Ghuta: 300 tote Zivilisten in einer Woche

Ghuta ist eine der größten Bewässerungsoasen im Nahen Osten und erstreckt sich von Damaskus nach Westen, Süden und Osten. Im Osten leben schätzungsweise 400.000 Menschen. Im Jahr 2013 setzte das Regime das Giftgas Sarin gegen Rebellen und Zivilisten ein. Im Herbst 2017 erklärten Iran, Russland und die Türkei das Gebiet zur Deeskalationszone.

Die syrische Regierung beteiligte sich nicht an dem Abkommen, das ohnehin nur ein zynisches Scheinabkommen war. Jetzt fliegen syrische und wohl auch russische Jets Luftangriffe auf Ost-Ghuta. Kliniken werden gezielt bombardiert. Kinder und Frauen sterben, mehr als 300 Zivilisten allein in der vorigen Woche. Angela Merkel nannte das Blutbad ein Massaker.

Dabei dürfte es nicht bleiben. Eine Bodenoffensive soll folgen. Ost-Ghuta liegt rund zehn Kilometer von dem Palast entfernt, in dem Baschar al-Assad, der früher mal Augenarzt war, residiert.

Russlands UN-Botschafter ist Ausgeburt des Zynismus

Am vergangenen Freitag blockierte Russland im UN-Sicherheitsrat eine Resolution für eine 30-tägige Waffenpause. Wassili Nebensja heißt Putins Botschafter bei den Vereinten Nationen, den Namen sollte man sich als zweite reine Ausgeburt des Zynismus merken. Das große Sterben? Alles nur Gerüchte und Propaganda, ein Informationskrieg. Kliniken als Ziel? "Es wird da der Eindruck erweckt, als bestünde das gesamte Ost-Ghuta aus Hospitälern und genau nur auf die schießt Syriens Armee."

Am Samstag verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution für einen Monat Waffenpause. Russland gab urplötzlich sein Veto auf. Erfolg? Null. Die Angriffe gehen weiter.

Nur zwei Beispiele unter vielen

Parkland ist nur eine von vielen Schulen, an denen Kinder erschossen wurden. Statistisch gesehen finden 24 Amokläufe pro Jahr in Amerika statt. Ost-Ghuta ist nur eine syrische Stadt unter vielen, in denen Menschen in Massakern sterben. Ist Amerika identisch mit Waffengewalt, so ist Syrien das Land der Massaker. Obszön ist die enthemmte Schamlosigkeit, mit der Staats- und Regierungschefs im Iran, Russland, der Türkei, Saudi-Arabien, im Libanon und Syrien immer weiter Kinder und Frauen töten oder in die Flucht treiben.

Warum tun sie das? Weil sie es können. Weil sie niemand daran hindert. Weil die Aufgabe eines UN-Botschafters wie Wassili Nebensja darin besteht, wider jede Wahrheit Lügen auszustoßen, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Weil Wayne LaPierre das Recht von Amokläufern auf das Morden der Kinder mit absurden Argumenten rechtfertigen darf und der amtierende Präsident Mitglied in der NRA ist, von der er Millionen für seinen Wahlkampf bekam.

Loading...
Loading...
Loading...

Zynismus ist seit je her ein fester Bestandteil der Politik, schon wahr. Der Kalte Krieg hatte zynische Elemente: Wer als Erster eine Atomrakete abfeuert, stirbt als Zweiter. Oder Ulbrichts Satz kurz vor dem 13. August 1961: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen." Zynismus ist nie eine Mangelware, wir könnten auch über Pakistan oder Indien oder Nordkorea oder Ungarn oder Polen oder über die deutsche Automobilindustrie nachdenken.

Trump, Putin und Assad fühlen sich als Herren der Welt

Denn heutzutage haben wir Zynismus im Überangebot. Die Herren Putin, Assad, Erdogan, Trump und all die anderen könnten eine Philosophenschule gründen wie in der Antike Antisthenes, der eine Rückkehr zum Naturzustand und zu einem bedürfnislosen Leben ohne Ansprüche lehrte. Übersetzt auf unsere Zeit heißt das: Sie haben keinerlei Bedürfnis nach Zivilität, sie fallen in den Naturzustand ohne jeden Anflug von Moral zurück, sie vertrauen auf Entgrenzung der Gewalt. Sie fühlen sich als die Herren der Welt, da sich ihnen niemand in den Weg stellt.

Zynismus macht fassungslos. Der Krieg in Syrien wird nicht so schnell enden, weil zu viele der Beteiligten eben ein Interesse daran haben, keinen Frieden zu schließen, der ja zum Beispiel Iran oder den Kurden oder den Rebellen oder Russland Vorteile einbringen könnte.

Zynismus lässt die Schwächsten die Revolte üben, darin liegt eine hoffnungsvolle Erfahrung. Die NRA und ihr Vertreter im Weißen Haus konnten diesmal nicht in Ruhe abwarten, bis sich die Aufregung wegen der Kinder gelegt hat. Wenn es mit mehr gesundem Menschenverstand zugehen sollte, als ich für möglich halte, dann nehmen sich die vielen Antiwaffengruppen in den vielen Bundesstaaten ein Beispiel an den Kindern und schließen sich zusammen und suchen sich Berühmtheiten aus der Politik und Hollywood und drehen das große Rad, ohne das sich in Amerika nichts ändert.

Mit dem Zynismus ist es wie mit dem Tod. Er sollte nicht, er darf nicht das letzte Wort behalten.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website