t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikKolumne - Fabian Reinbold

USA in der Corona-Krise: Donald Trump, der taumelnde Riese


USA in der Corona-Krise
Der taumelnde Riese

MeinungEine Kolumne von Fabian Reinbold

Aktualisiert am 09.05.2020Lesedauer: 5 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Donald Trump: Der US-Präsident macht in der Corona-Krise keine gute Figur.Vergrößern des Bildes
Donald Trump: Der US-Präsident macht in der Corona-Krise keine gute Figur. (Quelle: Doug Mills/imago-images-bilder)

Vor 75 Jahren begann Amerikas Jahrhundert – in der Corona-Krise könnte es enden. Die neue amerikanische Ohnmacht lässt Bürger verzweifeln und Gegner frohlocken.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs markiert den Gipfel der Macht Amerikas, seinen größten und moralisch eindeutigsten Sieg: Gut gewann gegen Böse. Die feinste Stunde, die größte Generation, der Sieg der Freiheit – das sind die Schlagworte, mit denen man in den USA über World War II spricht.

Der Krieg zementierte die Vorherrschaft in Militär und Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Er rettete die Nation aus dem Sumpf der Großen Depression. Roosevelt und Truman gründeten Weltbank und Währungsfonds, Uno und Nato, um der Welt Amerikas Stempel aufzudrücken. Daheim läutete er einen sagenhaften Aufstieg ein: Millionen Veteranen wurde Studium und Hauskauf finanziert. Geboren war die starke Mittelklasse, noch heute Fixstern des American Dream. Das amerikanische Jahrhundert hatte begonnen.

Bald schon wurden die Kriege komplizierter, die Ziele verschwommener, Niederlagen häufiger, die Mittelklasse kleiner und kleiner. Heute, sagen sie hier, führe Amerika wieder Krieg. Die Coronakrise wird genannt in einem Atemzug mit den Traumata der Nation: Große Depression, Pearl Harbor, Vietnam, 9/11, Corona.

Die vergangenen Monate lesen sich wie ein Protokoll der Ohnmacht Amerikas.

Im Januar lehnen die USA den in Berlin entwickelten Coronavirus-Test der WHO ab, um einen eigenen zu produzieren. Doch dieser entpuppt sich als untauglich.

Im Februar hat man deshalb so gut wie keine Erkenntnisse über die Ausbreitung des Virus, privaten Laboren sind Tests untersagt. Der Präsident hält, während sich das Virus verbreitet, fleißig Massenveranstaltungen ab, lobt China und sagt, bald gebe es keinen Corona-Fall mehr im eigenen Land.

Im März feilschen die Bundesstaaten ohne Hilfe aus Washington miteinander um Schutzkleidung, Masken und Beatmungsgeräte, quasi wie auf Ebay. Donald Trump und sein verbündeter Sender Fox News verdammen China und preisen wochenlang ein angebliches Wundermittel gegen das Virus, bis es sich als schädlich herausstellt.

Im April sind die Schlangen vor den Essensausgaben so lang, dass sie nur noch per Drohne fotografiert werden können. Der Schwiegersohn des Präsidenten übernimmt die Aufgabe, medizinische Produkte an Land zu ziehen, erfüllt dabei vor allem Gefallen für politische Freunde und verschafft einem Betrüger einen Auftrag über 69 Millionen Dollar, der allerdings kein einziges Beatmungsgerät liefert. Die Totenzahlen übersteigen die aus dem Vietnamkrieg.

Im Mai öffnet gut die Hälfte der Bundesstaaten ihre Wirtschaft ohne Datengrundlage, weil noch immer Tests fehlen. Trump sagt im abgesperrten Lincoln Memorial, ihm ergehe es schlechter als dem erschossenen Präsidenten. Die täglichen Totenzahlen erreichen die Größenordnung von 9/11, während der Präsident “die großartigste Comeback-Story der Geschichte” bewerben lässt.

Es ist so, als ob Roosevelt Ende 1942 nach den ersten gewonnenen Schlachten in Nordafrika den Sieg im Weltkrieg ausgerufen hätte.
Amerika taumelt, daheim und im Umgang mit der Welt.

Trump inszeniert sich abwechselnd als Kriegskämpfer, als strahlender Kriegssieger und als Kriegsopfer. Will sich als internationaler Anführer präsentieren, schiebt die Schuld auf China, die WHO, befeuert die Grabenkämpfe daheim, indem er das Virus zu einem weiteren parteipolitischen Spielball macht.

Das Virus hatte leichtes Spiel, als es nach Amerika kam.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Schon zuvor hatte der Präsident drei Jahre lang die Regierung bewusst geschwächt, Haushalts- und Stellenpläne zusammenstreichen lassen, Misstrauen gegenüber einem “deep state” gesät, Verbündete attackiert und Abkommen aufgekündigt.

Schon zuvor waren viele Amerikaner hinabgestiegen in die Schützengräben, Blick und Wut stets auf die anderen gerichtet: die liberals oder eben die right-wingers, die Einwanderer oder die Rassisten, die Medien oder die Hinterwäldler.

Schon zuvor hatte die Wirtschaftskrise die Nachkriegsmittelschicht so heftig zu Boden geschmissen, dass viele auch in zehn Jahren des folgenden Booms nicht wieder ganz auf die Beine kamen.

Schon zuvor hatte Fox News einem Millionenpublikum eingetrichtert, dass links der Mitte nicht einfach politische Gegner, sondern Vaterlandsverräter lauern.

Schon zuvor hatte die Nation Kriege angefangen, aus denen sie nur zu einem hohen Preis oder bis heute gar nicht wieder herausgefunden hat. Schon zuvor hatten sich Politik und Nation so sehr an einem Präsidenten verbissen und dessen Seitensprung im Oval Office, dass sie den nächsten Gegner al-Qaida aus den Augen verlor.

Schon lange zuvor war der Supermacht trotz Sieg im Kalten Krieg nach und nach die industrielle Basis abgewandert, waren Kleinstädte verkommen und die Überzeugung abhanden gekommen, im Krieg stets auf der richtigen Seite zu stehen.

Diese Orientierungslosigkeit über den Platz in der Welt, die Schwäche im Inneren, das Misstrauen gegeneinander und das Theater an der Spitze verstärken sich in der Coronakrise so sehr, dass die Welt den Kopf schüttelt, spottet oder gar frohlockt. Der chinesischen Staatspropaganda jedenfalls macht Trump so ganz leichtes Spiel, wie Sie hier sehen.

Die Energie des mächtigen Staatsapparats fließt derweil in Nebenschauplätze. Die Beamten und Experten müssen stets aufpassen, ja nicht allzu stark im Widerspruch zu Trumps aktueller Laune zu stehen und dürfen ständiges Loben nicht vergessen, idealerweise mit dem Adjektiv “beispiellos” (Klassenbester: Vizepräsident Pence!).

Ein Telefonat in dieser Woche: Hintergrundgespräch mit dem Außenministerium, das uns davon überzeugen will, dass die USA weiter den internationalen Kampf gegen Covid-19 anführen. Warum sie der internationalen Geberkonferenz vom Montag fernblieben, kann dieser Regierungsbeamte auch auf viermalige Nachfrage nicht beantworten. Stattdessen muss er das Beispiellose herausheben. Er lobt: “Präsident Trump hat den beispiellosen Schritt ergriffen, regelmäßige virtuelle Treffen mit den G7-Anführern einzuberufen.”

Interessieren Sie sich für US-Politik? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. Hier können Sie die "Post aus Washington" kostenlos abonnieren, die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

Dann ein Anruf an der Frontlinie, wo Amerika an seiner Ohnmacht verzweifelt. Megan Ranney ist Ärztin in einer Notaufnahme und lehrt an der Brown University im Bundesstaat Rhode Island. Zum Mangel an Schutzausrüstung sagt sie: “Das Belastendste in dieser Lage ist, dass die Regierung nicht an uns denkt. Dass wir ihr egal sind oder dass sie einfach nicht vorausdenkt.”

Ranney hat nun selbst einen Verein gegründet, der Spenden an Schutzmasken und -kleidung sammelt und diese dann an jene Krankenhäuser verteilt, die es am nötigsten haben. Das ist natürlich höchst amerikanisch. Selbstinitiative statt auf den Staat zu setzen – kommt Amerika so etwa doch durch diese Krise?

Manche Freunde und Kollegen aus Deutschland erinnern mich in diesen Tagen daran, was sie einst über Amerika gelernt haben: Dass die USA noch immer das Beste aus Krisen gemacht hätten und dass es auch dieses Mal die Krise nutzen würden.

Richtig, so war es oft im amerikanischen Jahrhundert. Doch jetzt?

Loading...
Loading...

Als ich Ranney danach frage, holt sie einmal tief Luft. “Ich bin eigentlich eine ewige Optimistin”, sagt sie. “Wir müssen das Beste in uns hervorholen und das Schlechte ablegen.” Es wird eine lange Antwort, sie spricht über vieles, was möglich ist und vieles, was sich ändern muss. Die Ärztin steckt, wie ganz Amerika, fest zwischen alten Gewissheiten und neuen Zweifeln. Nach zwei, drei Minuten schließt sie: “Wir brauchen dafür dringend politische Führung, aber ich glaube, wir können das schaffen.”

Mit anderen Worten: Alles liegt noch in Amerikas eigener Macht. Anstatt mit meinen düsteren Prognosen entlasse ich Sie doch lieber mit dieser optimistischen Note einer US-Ärztin. Das ist am 8. Mai ganz sicher nicht verkehrt.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website