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Kanzler-Reise: In Kanada wird Olaf Scholz als großer Staatsmann gefeiert


Kanzler in Kanada
Ist das noch derselbe Mann?

Aus Toronto berichtet Miriam Hollstein

23.08.2022Lesedauer: 5 Min.
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Der Kanzler in Kanada: Hier kann sich Olaf Scholz ein wenig vom heimischen Stress erholen. (Quelle: Paul Chiasson/imago images)

Während in Deutschland seine Werte abstürzen, wird Scholz in Kanada als großer Staatsmann gefeiert. Mit dabei: sein heimlicher Konkurrent Robert Habeck.

Am Dienstagabend erreichte die Stimmung bei Olaf Scholz einen Höhepunkt: Da stand der deutsche Kanzler auf der Bühne des Royal Ontario Museum in Toronto neben dem Skelett eines Hadrosaurus und hielt vor rund 300 geladenen Gästen eine Rede. Scholz dankte "meinem Freund Justin", dem kanadischen Premierminister, und den Menschen Kanadas für "die wunderbare Gastfreundschaft". Dann lobte er das Land als "so einzigartig und so speziell". Am Ende schloss der Kanzler mit einem langgezogenen "Thank you".

Scholz hatte allen Grund zum Strahlen. Zuvor war Justin Trudeau auf die Bühne getreten und hatte den Bundeskanzler in höchsten Tönen gepriesen. Dieser sei nicht nur ein enger Freund, sondern auch ein großer Staatsmann: "Du verteidigst unermüdlich die Demokratie in Europa und in der ganzen Welt." Da staunten die anwesenden Deutschen nicht schlecht: War das derselbe Mann, der in Deutschland unter Dauerfeuer steht?

Balsam für die Seele des Kanzlers

Scholz‘ dreitägige Reise durch Kanada ist Balsam für die Seele des Kanzlers. Ob im Mila-Institut für künstliche Intelligenz in Montreal oder auf dem deutsch-kanadischen Wirtschaftsforum in Toronto – egal, wo Scholz hinkommt, wird er mit Begeisterung empfangen. Das könnte auch an der hochkarätigen Wirtschaftsdelegation liegen, die Scholz mit im Schlepptau hat. Oder daran, dass er keinen Zweifel daran lässt, wie ernst es ihm mit dem Ausbau der deutsch-kanadischen Beziehungen ist, die lange im Vergleich zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen ein Schattendasein fristeten.

Stets an seiner Seite: Justin Trudeau. Der kanadische Premier ist nicht nur ein echter Freund, seit Scholz ihn 2017 zum legendären Matthiae-Mahl nach Hamburg lud, sondern versteht den Kanzler auch. Der 50-Jährige, der im Ausland nicht zuletzt wegen seines unkonventionellen Politikstils und seines jugendhaften Aussehens populär ist, ist im eigenen Land umstritten. Im vergangenen Herbst gewann er nur knapp die Neuwahlen, die absolute Mehrheit verpasst er. Und während Scholz Kanada als Energiepartner der Zukunft feiert, ist die heimische Gasindustrie sauer auf ihren Premierminister, weil sie sich in der Energiestrategie der Regierung nicht ausreichend berücksichtigt sieht.

Für Scholz ist Kanada also eine Art Kanzler-Retreat: ein Ort, an dem er auf vollstes Verständnis trifft und trotz straffen Programms ein bisschen aufladen kann. Denn nach seiner Rückkehr erwartet ihn Ungemach. Am Mittwoch soll im Kabinett das überarbeitete Infektionsschutzgesetz beschlossen werden. Es sieht vor, dass die Bundesländer im Herbst in öffentlichen Innenräumen ausnahmslos eine Maskenpflicht verhängen können, wenn es die Lage aus ihrer Sicht erforderlich macht. Im Entwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbauch (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) war noch eine Ausnahmeregelung für Getestete oder Geimpfte vorgesehen gewesen, deren Impfung nicht länger als drei Monate zurückliegt. Dagegen hatte es massiven Protest gegeben.

Die Maskenaffäre überschattet die Reise

Auch die neue Regelung dürfte die Kritiker kaum beruhigen. Sie wollen gar keine Maskenpflicht mehr, komme im Herbst, was da wolle. Erschwerend ist, dass von Scholz‘ Flug nach Kanada Bilder kursieren, die alle Reisenden ohne Maske zeigen. Das steht im Widerspruch zu den Auflagen des Infektionsschutzgesetzes, das für alle (kommerziellen) Flüge bislang noch Maskenpflicht vorschreibt.

Scholz‘ Sprecher Steffen Hebestreit wies darauf hin, dass für Flüge der Flugbereitschaft Sonderregeln gelten. Dort gibt es keine Maskenpflicht, aber alle Reisenden müssen, anders als bei "normalen" Flügen, einen PCR-Test vorlegen, der nicht älter als 24 Stunden sein darf. Die Kritiker besänftigte dies nicht, ihnen geht es um die Symbolik.

Noch aus anderen Gründen steht Scholz ein heißer Herbst bevor. Die Gasumlage und die erhöhten Energiepreise schüren bei vielen Existenzängste. Auch bei der eigenen Wählerschaft der SPD. Scholz will deshalb schnell ein drittes Entlastungspaket vorantreiben, doch der Koalitionspartner FDP stellt sich quer. Im ARD-Sommerinterview mit Tina Hassel deutete Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner an, dass die Entlastungen auch erst im Januar kommen könnten. Die Fortführung des beliebten 9-Euro-Tickets lehnt er kategorisch ab.

Und dann ist da noch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der Scholz nach Kanada begleitet hat. In allen Umfragen liegt er in der Beliebtheit weit vor Scholz. Dass er selbst gern anstelle der glücklosen Annalena Baerbock Kanzlerkandidat bei den Grünen geworden wäre, ist kein Geheimnis.

In Kanada haben Habeck und die Wirtschaftsdelegation ihr eigenes Programm. Beim deutsch-kanadischen Wirtschaftsforum in Toronto gehört dem deutschen Wirtschaftsminister die Bühne erst, als der Kanzler schon zu Interviews mit den kanadischen Medien entschwunden ist. In den Momenten, in denen beide gemeinsam auftreten, lässt sich das Ausloten einer delikaten Beziehung beobachten. Vordergründig betonen beide ihr gutes, "vertrauensvolles" Verhältnis. Habeck ist klug genug, um nicht erkennen zu lassen, dass er gern Kanzler anstelle des Kanzlers wäre. Auf der Reise ordnet er sich unter, sitzt am Rand, wenn der Kanzler spricht, ergreift nur das Wort, wenn er explizit gefragt wird. Es sind nur Kleinigkeiten, die zeigen, dass es da noch eine andere Seite gibt. Etwa, wenn Habeck bei der Pressekonferenz von Scholz und Trudeau auf einer Aussichtsplattform im alten Hafen von Montreal plötzlich ganz intensiv in ein Gespräch vertieft ist, statt seinem Kanzler zuzuhören.

Scholz wirkt davon unberührt, ebenso wie von den Umfragen. Mehrfach in seinem Politikerleben hat er die Erfahrung gemacht, dass er nur lange genug durchhalten muss, um seine Konkurrenten zu überleben. So war es, als er bei der Wahl zum SPD-Vorsitz den Kürzeren zog. Und so war es auch, als er im Bundestagswahlkampf 2021 lange als völlig chancenlos gegenüber dem Unionskandidaten Armin Laschet galt.

Die Gesetze des Wolfsrudels

Doch Scholz ist ebenso erfahren genug, um zu wissen, dass in der Politik die Gesetze eines Wolfsrudels gelten. Noch ist er der unangefochtene Rudelführer. Doch sollte er Schwäche zeigen, ist die Gefahr groß, dass ihm ein starker Jungwolf diese Position streitig macht.

Doch in Kanada sind das noch Sorgen von morgen. Dort beschworen Scholz und Trudeau am Dienstag zunächst noch einmal beim deutsch-kanadischen Wirtschaftsforum die guten Bande. Scholz sei nicht nur von den "vielen deutschen Autos" in den Straßen Torontos beeindruckt, sondern auch von den vielen Gemeinsamkeiten zwischen den Kanadiern und den Deutschen. So fühle man sich als Deutscher in Kanada sofort zu Hause. Am Nachmittag reiste Scholz dann zum letzten Programmpunkt vor seiner Rückkehr nach Deutschland am frühen Mittwochmorgen weiter: in den kleinen Ort Stephenville in Neufundland. Dort wollen Wirtschaftsminister Habeck und der kanadischen Energieminister Jonathan Wilkinson ein Abkommen unterzeichnen, mit dem eine transatlantische Kette für "grünen" (klimaneutralen) Wasserstoff aufgebaut werden soll. Erste Lieferungen von Kanada nach Deutschland soll es ab 2025 geben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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