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Annalena Baerbock und Russland: Sie macht ihr Ding


Annalena Baerbock und Russland
Sie macht ihr Ding

Von Fabian Reinbold

Aktualisiert am 30.08.2022Lesedauer: 6 Min.
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Annalena Baerbock (In Kopenhagen:) Sie zieht eine GrenzeVergrößern des Bildes
Annalena Baerbock (in Kopenhagen): Sie zieht eine Grenze (Quelle: RITZAU SCANPIX/dpa)

Aus der allerersten Reihe wurde sie verdrängt, nun hat die Grünen-Politikerin ihre Rolle gefunden. Während andere zanken, schmiedet sie eifrig ihren Russland-Plan.

Die wahre Mission der Annalena Baerbock offenbart sich in einem Keller, gut 3.000 Kilometer von Berlin und vom großen Schlamassel der Bundesregierung entfernt. Vor einer blauen Wand und einer deutschen Fahne steht die Außenministerin und schaut ihrem Gastgeber in die Augen.

Er heißt Nasser Bourita und ist ihr marokkanischer Amtskollege. Baerbock ist auf offizieller Mission, die ramponierten Beziehungen zu Marokko wiederzubeleben. Diplomatisch kein ganz unwichtiger Vorgang, und doch keiner, der die ganz großen Schlagzeilen hervorbringt.

Interessanter für eine breite Öffentlichkeit ist hingegen Baerbocks inoffizielle Mission, deren Umriss im Keller des Außenministeriums in Rabat am vergangenen Donnerstag nicht zu übersehen ist. Sie lautet, auf ein Wort eingedampft: Russland.

Wenn es bei dem kurzen Auftritt um die wichtigsten Themen vor Ort geht, den Status der Westsahara etwa, die Energiepartnerschaft oder um den Konfliktherd Mali, landet Baerbock oft nach wenigen Sätzen bei Russland. Hinsichtlich des Bundeswehreinsatzes in Mali verurteilt Baerbock umgehend die dortigen "russischen Destablisierungsversuche". Sie schaut ihren Amtskollegen eindringlich an, bis der nickt. Dann sagt sie: "Wir dürfen Mali nicht alleinlassen und vor allem nicht Russland überlassen."

Baerbocks neue Rolle

Annalena Baerbock hat ihre Berufung gefunden. Während die Koalition in Berlin unter dem Eindruck von Ukraine-Krieg, Rekordinflation und Energiekrise ächzt, einige in der Ampel über die Koalitionspartner öffentlich herfallen und der Frust über die wichtigsten Vertreter der Bundesregierung wächst, steht die Grünen-Politikerin auf festem Grund.

Während die Aufmerksamkeit in Deutschland für Russlands Krieg schwindet, schmiedet sie unablässig eine Koalition gegen Wladimir Putins Russland. So hat sie eine neue Rolle in der Bundesregierung eingenommen – eine Rolle, die noch heikel werden könnte.

Die drei wichtigsten Regierungsvertreter in der Bewältigung der Krise sind SPD-Kanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Sie alle stehen derzeit unter Beschuss: Scholz? In der Krise viel zu zögerlich, heißt es. Habeck? Kommuniziert gut, macht aber immer mehr Fehler. Und Lindner? Blockiert sozial gerechte Lösungen in der Inflationskrise. So der Tenor.

Die 41-jährige Baerbock, die selbst so gern Kanzlerin geworden wäre, steht als Außenministerin eine Reihe hinter den dreien. So sah man es auch am Dienstag auf der Kabinettsklausur in Meseberg. Sie ist nicht mehr so häufig im Zentrum des Nachrichtensturms.

Damit ist sie zugleich auch ein Stück weit aus der Schusslinie geraten. Der Murks mit der Gasumlage von Parteifreund und -konkurrent Habeck? Nicht ihr Problem.

Scholz, Habeck und Lindner widmen sich weniger der direkten Konfrontation mit Russland als in den ersten Kriegsmonaten. Sie müssen jetzt vor allem deren Folgen managen. Das hat einen gewissen Spielraum eröffnet, den Annalena Baerbock gern nutzt. Sie macht ihr Ding – in der deutschen wie in der internationalen Öffentlichkeit.

80 Prozent ihrer Zeit kümmere sie sich um Russland, sagte die Außenministerin in den ersten Wochen des Krieges einmal. Jetzt ist es weniger, aber Putin bleibt ihr mit Abstand wichtigstes Thema. Und das stellt sie wirklich überall nach vorn.

Putin bleibt ihr mit Abstand wichtigstes Thema

In der deutschen Debatte finden ihre deutlichen und einfach zu verstehenden Verurteilungen Russlands insbesondere in den sozialen Netzwerken immer ein lautes Echo. Beste Außenministerin aller Zeiten, jubeln die einen, ein Spiel mit dem Feuer, ereifern sich andere.

Baerbock kennt die Dynamik und nutzt sie aus. Ihre Aufgabe sieht sie auch darin, stärker als andere in der Bundesregierung daran zu erinnern, dass in Bezug auf die Ukraine und Russland immer noch keine Lösung in Sicht ist. Sie ist überzeugt, diesen Umstand besser kommunizieren zu können als andere.

Wie sie international dabei vorgeht, haben ihre Besuche in Marokko und Dänemark in der vergangenen Woche verdeutlicht.

Die großen Schlagzeilen machte in jenen Tagen eine andere Reise. Scholz und Habeck waren zusammen in Kanada, Energiegeschäfte mit einem demokratischen Partner eintüten. Es gab auch heftige Kritik an beiden, weil auf dem gemeinsamen Flug plötzlich nicht das galt, was auf Flügen für Normalsterbliche in Deutschland gilt: die Pflicht zum Tragen einer Maske.

An Baerbock zieht das Drama vorüber. Auf dem Flug von Berlin nach Rabat, irgendwo über Spanien, empfängt sie zum Hintergrundgespräch in einem holzvertäfelten Raum der Regierungsmaschine "Theodor Heuss". Wir tragen hier natürlich Maske, betont sie zu Beginn und lacht selbst ein bisschen.

Heißt: Einen solchen Fehler wie auf der Scholz-und-Habeck-Reise wird sie ganz sicher nicht machen. Es unterlaufen ihr zurzeit, noch ganz anders als im verunglückten Bundestagswahlkampf als Grünen-Spitzenkandidatin, ohnehin wenig Fehler.

Keine Vereinbarung ohne Verurteilung Russlands

In Marokko unterzeichnet sie eine 59 Punkte umfassende Erklärung, ein Dokument mit wenig Handfestem und vielen allgemeinen Absichtsbekundungen. Im siebten Punkt allerdings wird die "tiefe Besorgnis über die Auswirkungen der russischen Invasion der Ukraine" im Prinzip und deren Folgen für die Ernährungssicherheit in der Welt betont.

Das ist ihr Programm: Baerbock unterzeichnet im Namen Deutschlands kein Dokument, das nicht ausdrücklich Russlands Angriffskrieg verurteilt. Das ist die Grenze, die sie zieht.

Bei öffentlichen Auftritten wie in Rabat erwähnt sie bei nahezu jeder sich bietenden Gelegenheit die Russland-Problematik. Damit wandelt sie auf einem schmalen Grat. Es könne missionarisch wirken, raunt jemand aus der Delegation, die Baerbock auf dieser Reise begleitet.

Ein schmaler Grat

Und tatsächlich sträubt sich eine Vielzahl an Staaten – etwa in Afrika – dagegen, vereinnahmt zu werden in einem Konflikt, den man weniger als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, sondern als Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland wahrnimmt.

Baerbocks Antrieb hingegen ist immer noch ein Schockerlebnis von Anfang März. Damals, eine Woche nach Kriegsausbruch, sprach sie vor der Uno-Vollversammlung: Russlands Krieg wurde in New York mit überwältigender Mehrheit verurteilt. Es schlugen sich fünf Schurkenstaaten auf die Seite Russlands, damit hatte sie gerechnet. Nicht aber damit, dass sich ganze 35 Staaten enthalten würden. Und dass etwa ein Land wie Marokko der Sitzung gleich komplett fernblieb.

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Das soll nie wieder passieren. Und so bemüht sich Baerbock darum, die Länder, die damals den Krieg nicht verurteilten, in ihr Lager zu holen. Kanzler Scholz sieht dieselbe Notwendigkeit, nur hat er weniger Zeit für diese Aufgabe als Baerbock.

"Putins Krieg?" Baerbock sagt es anders als Scholz

Ob es eine deutsche Außenministerin wirklich schaffen kann, die internationale Koalition gegen Russland bedeutend auszuweiten, ist eine gänzlich offene Frage. Aber Baerbock versucht es immerhin mit vielen Mitteln.

Die andere Aufgabe lautet, die Front in Europa zusammenzuhalten, was immer schwieriger wird. Am Tag nach dem Marokko-Besuch ist Baerbock in Dänemark, zu Gast bei Freunden. Als sie mit ihrem Amtskollegen in Kopenhagen in einem dunklen Raum im Außenministerium vor die Presse tritt, tut sie so, als seien die Grenzkontrollen der Dänen, die die Pendelei behindern, quasi das einzige Problem mit dem Nachbarn. Stimmt so natürlich nicht.

Dänemark würde wegen des Krieges gern keine russischen Touristen mehr ins Land lassen. "Es muss deutlich gemacht werden gegenüber Putin, welche Einstellung wir haben", sagt der Außeminister Jeppe Kofod. Dieser Streit über ein Visaverbot für Russen dominiert auch das Außenministertreffen in Prag in dieser Woche. Die deutsche Bundesregierung vertritt eine andere Haltung als Dänemark.

Bundeskanzler Scholz hatte dieses Ansinnen, das vor allem mehrere osteuropäische Länder verfolgen, eher brüsk abgebügelt. "Es ist Putins Krieg", sagte er kürzlich bei seiner Sommerpressekonferenz in Berlin und bei anderen Gelegenheiten, nicht der Krieg der Russen. Basta.

Baerbock sieht es gar nicht so anders als der Kanzler. Man dürfe nicht "140 Millionen Russen in Sippenhaft nehmen". Und doch spricht sie anders über das Problem. Unterschiedliche Länder betrachteten das eben aus unterschiedlichen Blickwinkeln, sagt sie.

Gerade für Nachbarländer, die sich durch Putin bedroht fühlen, ist die Freizügigkeit mitunter schwer zu ertragen. Dieser osteuropäischen Perspektive gab Baerbock Raum. Scholz tat es nicht. Erst seit kurzem betont der Kanzler diesen Umstand ebenfalls.

Natürlich ist und bleibt es der Bundeskanzler, der die Richtlinien der Politik bestimmt, doch in der Kommunikation kann es eben auch einmal anders herum laufen.

Jetzt kommt China

Es bleibt eine heikle Konstellation zwischen Baerbock und Scholz bestehen. Mehr als ihre Schlagworte einer wertebasierten Außenpolitik oder feministischen Außenpolitik sind es ihre Russland-Politik und Russland-Rhetorik, die Baerbocks Amtszeit bislang definieren.

Anfangs sorgte das für Reibereien und Misstöne zwischen ihr und der SPD, die sich lange über eine andere Haltung gegenüber Moskau definiert hatte. Da lästerten die Genossen über eine Außenministerin, die zwar öffentlichkeitswirksam Putin angreife, sich aber vor schwierigen Gesprächen drücke. Das hört man jetzt kaum noch in Berlin.

Hitzig könnte es dann allerdings bei der kommenden Auseinandersetzung über die neue deutsche China-Politik zugehen. Baerbock vertritt hier die klare Haltung, dass Deutschland klarere Grenzen ziehen müsse. Ihre Russland-Rhetorik überträgt sie bisweilen auch auf China und die Taiwan-Krise, was man in Peking gar nicht gern hört.

Die Grüne hat sich zur Amtsübernahme auch die Verantwortung für eine nationale Sicherheitsstrategie ausbedungen, die gerade erarbeitet wird und einen Kompass für Deutschlands Politik in der Welt darstellen soll. Hier beginnt nun hinter den Kulissen eine Auseinandersetzung mit dem Verteidigungsministerium und natürlich dem Kanzleramt.

Dabei dürften die Konflikte mit Olaf Scholz und seinen SPD-Ministern noch deutlich zutage treten. Doch Annalena Baerbock, das ist zumindest der Eindruck aus ihrer Russland-Politik, ist für solch eine Auseinandersetzung gerüstet.

Verwendete Quellen
  • Eigene Gespräche und Recherchen
  • Begleitung von Annalena Baerbock auf der Reise nach Marokko und Dänemark
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