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Hamas-Angriff auf Israel: Für Putin und Russland kein Zufall


Putin und der Hamas-Terror
Der Zeitpunkt spricht Bände

Von Christoph Cöln

Aktualisiert am 17.10.2023Lesedauer: 7 Min.
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Putin bei einer Technologiemesse im russischen Weliki Nowgorod im September 2023.Vergrößern des Bildes
Putin bei einer Technologiemesse im russischen Weliki Nowgorod im September 2023. (Quelle: Sputnik/Sergei Bobylev/Pool via REUTERS)

Russlands Machthaber Wladimir Putin kommt der Terrorangriff der Hamas gelegen. Die russische Reaktion spricht Bände. Und auch das Datum des Angriffs verwundert.

Hilft Russlands autokratischer Herrscher Wladimir Putin der Hamas etwa dabei, die Welt vollends ins Chaos stürzen? Die Frage mag angesichts der Ereignisse im Nahen Osten zunächst irritieren. Nicht sofort erschließen sich die Verbindungen zwischen den abscheulichen Taten der islamistischen Terroristen und den fortgesetzten Massakern russischer Soldaten an Zivilisten in der Ukraine. Und doch könnte Putin auch nun wieder seine Finger im Spiel haben.

Der Überfall auf Israel hat jedenfalls nicht weniger Eskalationspotenzial als der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf sein Nachbarland. Hier wie dort besteht die reale Gefahr, dass zunächst regional erscheinende Konflikte einen weltweiten Flächenbrand auslösen könnten. Dem Mann im Kreml würde ein weiterer Kriegs-Schauplatz durchaus in die Karten spielen.

"Wir haben Daten, die klar beweisen, dass Russland daran interessiert ist, im Nahen Osten einen Krieg loszutreten, sodass eine neue Quelle von Schmerz und Leid die Einheit der Welt untergräbt", teilte Wolodymyr Selenskyj im sozialen Netzwerk X mit Blick auf die jüngsten Ereignisse mit. "Russland versucht wirklich, überall in der Welt Aktionen zur Destabilisierung durchzuführen", fügte der ukrainische Präsident wenig später im Sender France 2 hinzu. "Es besteht das Risiko, dass sich die internationale Aufmerksamkeit von der Ukraine abwendet, und das wird Folgen haben"

Putin versteht es, das Chaos zu schüren

Dass das Pulverfass Naher Osten nun zu explodieren droht, kommt für Moskaus Alleinherrscher nach Meinung von Experten wie gerufen. "Russland dreht das ganz große Rad", sagte der estnische Abgeordnete Marko Mihkelson dem estnischen Sender ERR. "Der Zeitpunkt und die Ursachen für den Hamas-Terror sind direkt mit iranischen und russischen Interessen verknüpft".

Fakt ist: Seit vergangenen Freitag schaut die Welt in der Tat woandershin, in den Nahen Osten und nicht mehr in die Ukraine, wo Putins Truppen seit mehr als 19 Monaten ein ganzes Land und seine Bevölkerung terrorisieren. Die Frage, die sich daher nicht nur politische Analysten stellen, ist folgende: Inwiefern gibt es Verbindungen zwischen dem russischen Machthaber Putin und in den islamistischen Terroristen der Hamas?

Die Palästinenser, und auch die militante Hamas, unterhalten seit Langem schon gute Kontakte zum Kreml. In den vergangenen Monaten tauschten sich ihre Vertreter mehrfach mit Putin-Vertrauten aus. Das allein muss noch nichts bedeuten, dennoch scheint bei den außenpolitischen Bemühungen Russlands ein Muster erkennbar.

Bei allen größeren Brandherden der letzten Zeit ist Moskau zum Akteur geworden. Ob im Kaukasus, in Afrika, auf dem Balkan oder auch im Nahen Osten, entweder durch direkte Präsenz in den jeweiligen Regionen (russische Truppen in Bergkarabach, Wagner-Söldner im Niger) oder durch sehr gute Verbindungen zu den jeweiligen Konfliktparteien (Serbiens Präsident Alexander Vučić ist ein langjähriger Putin-Verbündeter, Syriens Diktator Baschar al-Assad ebenfalls).

Nun ist Putin gewiss nicht verantwortlich für all die Konflikte unserer Zeit, die Ukraine mal ausgenommen, aber der Machthaber in Moskau versteht es, das Chaos, das andernorts herrscht, für seine eigene antiwestliche Agenda zu nutzen. Es konnte daher kaum verwundern, dass Repräsentanten des Putin-Regimes sogleich den Westen für den Terror der radikal-islamischen Hamas verantwortlich machten.

Etwa Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Der traf am Montag den Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Aboul Gheit und zeigte bei der Gelegenheit mit dem Finger auf die USA und ihre Verbündeten, die, wie er sagte, schon seit Jahrzehnten daran scheiterten, den Nahost-Konflikt beizulegen. Nun würde man eben die Quittung für dieses Scheitern erhalten, so Lawrow.

Beste Kontakte zur radikalen Palästinenserorganisation

Zugleich zeigte sich der Diplomat scheinbar um das Wohl der Zivilbevölkerung besorgt und drängte darauf, das palästinensisch-israelische Blutvergießen zu beenden. "Die Kämpfe müssen sofort gestoppt und die Zivilisten geschützt werden, die diesen Kämpfen in großer Zahl zum Opfer fallen. Zugleich muss das Palästina-Problem gelöst werden, das seit vielen Jahrzehnten gärt." Wen er dafür geeignet hält, einen dauerhaften Frieden im Mittleren Osten zu erzielen, sagte Lawrow auch: "Wir sind bereit, das zu erledigen".

Russland als Friedensstifter? Der diplomatische Vorstoß Moskaus darf verwundern. Nicht nur, dass Lawrow sich im Namen der zivilen Opfer in Israel und Palästina für den Frieden einsetzt, während sein Land in der Ukraine Zehntausende Zivilisten durch systematischen Bombenterror verletzt und umgebracht hat und dies weiterhin jeden Tag tut. Auch gilt Russland als einer der wichtigsten Akteure in eben jenem israelisch-palästinensischen Konflikt, den Lawrow nun so großzügig zu lösen anbietet.

Russland pflegt nach Angaben des russischen Außenministeriums bereits seit Jahren beste Kontakte zur radikalen Palästinenserorganisation Hamas. So führte etwa der Nahost-Beauftragte des Kremls, Vizeaußenminister Michail Bogdanow, mehrfach in diesem Jahr Gespräche mit Hamas-Vertretern – am Telefon und auch bei persönlichen Begegnungen in Moskau. Auch soll Russland der Hamas in der Ukraine erbeutete westliche Waffen geliefert haben. Mehr dazu lesen Sie hier.

Dazu passt, dass russische Medien am Dienstag von einem geplanten Besuch von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas in Russland berichten. "Es wurde vereinbart, dass Herr Abbas nach Moskau kommt", zitiert die russische Nachrichtenagentur RBC den palästinensischen Botschafter in Moskau, Abdel Hafiz Nofal. Beide Seiten hätten "täglichen Kontakt". Der Fatah-Politiker Abbas hatte Putin zuletzt am Rande einer Konferenz in Kasachstan getroffen. Moskau unterhält also beste Beziehungen zu den Palästinensern im Gaza wie auch im Westjordanland.

"Hoffen, dass dies keine dramatischen Auswirkungen haben wird"

Zudem ist Russland im Laufe des Ukraine-Kriegs eine Art strategische Partnerschaft mit dem Iran eingegangen. Die Mullahs in Teheran liefern Putin massenweise Drohnen für seinen Krieg gegen das Nachbarland, im Gegenzug hilft Russland der Islamischen Republik wohl beim Ausbau ihres Atomprogramms. Beide eint der Hass auf den gemeinsamen Feind: die USA und den Westen.

Ein Schwelbrand im Nahen Osten – je nachdem, wie lange sich der nun entfachte Konflikt zwischen Israel und der Hamas hinzieht – bedeutet für den Kreml eine politische Verschnaufpause. Die zuletzt ohnehin bröckelnde Unterstützung des Westens für die Ukraine könnte nun weiter zurückgehen, politische und militärische Ressourcen gebunden werden. Ganz zu schweigen von der weltweiten Aufmerksamkeit.

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"Wir hoffen, dass dies [der Israel-Palästina-Konflikt, Anmerkung der Redaktion] keine dramatischen Auswirkungen auf die Unterstützung für die Ukraine haben wird", sagte ein EU-Diplomat dem Magazin "Politico". "Aber klar, vieles wird davon abhängen, wie lange sich der Krieg hinzieht. Wenn wir ein ernstzunehmender politischer Akteur sein wollen, dann müssen wir mit vielen Krisen gleichzeitig fertig werden."

Meister in der Disziplin der Schuldumkehr

Was für die EU ein diplomatischer und sicherheitspolitischer Härtetest mit ungewissem Ausgang ist, scheint für Moskau ein Glücksfall zu sein: viele Krisen zugleich. Das erhöht für den Kreml die Chance, die vom Westen propagierte regelbasierte Ordnung in Frage zu stellen, ja, sie sogar als ineffektiv und wirkungslos bloßzustellen. Wahrscheinlicher als eine ernst gemeinte Friedensinitiative aus Moskau ist es daher, dass Russland einen Krieg im Nahen Osten keineswegs rasch beenden, sondern den Fokus weg vom Ukraine-Krieg lenken möchte, der die Weltgemeinschaft bislang in Atem hielt.

Aus Sicht von US-Experten ist genau das Putins Plan. Wie das Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington in einer detaillierten Analyse schreibt, versucht Russland bereits mit einer gezielten Desinformationskampagne den Westen als Verursacher der aufflammenden Gewalt zwischen den Palästinensern und Israel zu diskreditieren. Sowohl innenpolitisch als auch nach außen könnte Moskau von dieser Interpretation der Dinge profitieren. Es würde überdies perfekt zu den bereits bekannten Kommunikationsmuster des Kremls passen.

Denn die Propagandisten Putins haben es in der Disziplin der rhetorischen Schuldumkehr zu einer über Jahrzehnte eingeübten Meisterschaft gebracht. So haben sie den russischen Bürgern erfolgreich eingeredet, nicht Russland habe die Ukraine völkerrechtswidrig überfallen, sondern der Westen habe den Krieg mit Russland entfacht. Ähnlich scheint nun auch das Narrativ im Fall des Hamas-Terrors zu funktionieren. Nicht die von Teheran unterstützten Islamisten haben den Terror auf israelisches Territorium getragen, sondern der Westen mit seiner gescheiterten Friedenspolitik sei dafür verantwortlich.

Entsprechend schrieb Putins Mann fürs Grobe, Dmitri Medwedew, bei Telegram, die Gewalt zwischen der Hamas und Israel sei zu erwarten gewesen. "Damit hätten sich mal Washington und seine Verbündeten beschäftigen sollen", so der Ex-Präsident und jetzige Stellvertreter im nationalen Sicherheitsrat. Die USA seien in dem Konflikt zwischen Israel und Palästina ein Schlüsselakteur, giftete Medwedew weiter. Statt sich mit einer israelisch-palästinensischen Lösung zu befassen, hätten diese "Trottel" sich aber in Russlands Angelegenheiten eingemischt.

Zufälligerweise wieder an einem für Putin bedeutenden Datum

Der Iran beeilte sich nach den blutigen Attacken auf israelische Ziele durch Hamas-Extremisten, die Urheberschaft dieser beispiellosen Terrorwelle für sich zu reklamieren. Kaum vorstellbar, dass Russland nichts davon gewusst haben soll.

Schon einmal gelang es dem Kremlherrscher mit einer brutalen Intervention der russischen Armee, die Bemühungen des Westens in der Region zu torpedieren. 2015 stützte er mit einem Militäreinsatz das Regime des syrischen Diktators Baschar al Assad und half dabei, ganze Städte in Schutt und Asche zu legen. Für die USA unter ihrem damaligen Präsidenten Barack Obama war die Niederschlagung der syrischen Freiheitsbewegung eine Demütigung. Für Russland eine gelungene Gelegenheit, die offenkundigen Schwächen des Westens bloßzulegen.

Der Angriff der Hamas auf israelische Siedlungen erfolgte fast genau auf jenen Tag, an dem vor 50 Jahren der Jom-Kippur-Krieg ausgebrochen war. Am 6. Oktober 1973 stürzte der Nahe Osten schon einmal in eine gefährliche Spirale antiisraelischer Gewalt.

Dieses Mal startete die Hamas ihre Terrorwelle am 7. Oktober. Exakt an jenem Tag, an dem es im Kreml etwas zu feiern gab. Der 7. Oktober ist der Geburtstag Wladimir Putins. Kenner der russischen Politik sprechen schon von einem "perfekten Geburtstagsgeschenk" für den Autokraten im Kreml.

Der Zeitpunkt mag Zufall sein. Andererseits ist Putins Vernarrtheit in historische Daten und bedeutende Feiertage berüchtigt. Vielleicht wollte ihm jemand ein Geschenk machen. Vielleicht hat er es sich aber auch selbst gemacht.

Verwendete Quellen
  • foreignaffairs.com: "Putin’s Age of Chaos" (englisch, kostenpflichtig)
  • washingtonpost.com: "Russia cites ‘concern’ but does not condemn Hamas attack on Israel" (englisch)
  • bloomberg.com: "War in Ukraine Strains Ties Between Putin and His Old Serb Ally" (englisch)
  • ecfr.eu: "Alone together: How the war in Ukraine shapes the Russian-Iranian relationship" (englisch)
  • tvpworld.com: "Hamas' attack on Israel could be influenced by Russia: Estonian official" (englisch)
  • politico.eu: "Hamas’ gift to Vladimir Putin" (englisch)
  • fr.de: "Russland: Putin zieht Einheiten aus Syrien ab – Israel reagiert"
  • ynetnews.com: "Hands that pushed Hamas attack forward are in Moscow" (englisch)
  • foreignaffairs.com: "How Wars Don’t End. Ukraine, Russia, and the Lessons of World War I" (englisch, kostenpflichtig)
  • nysun.com: "Were Trips by Hamas Officials to Moscow a Prelude to the Outbreak of War?" (englisch, kostenpflichtig)
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • Eigene Recherche
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