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Maybrit Illner: Sigmar Gabriel gesteht Fehler in der Flüchtlingspolitik ein


Talk bei "Maybrit Illner"
"Die Wähler kann ich nicht beschimpfen"

Aktualisiert am 15.12.2017Lesedauer: 5 Min.
Talkrunde bei Maybrit Illner: Außenminister Sigmar Gabriel musste sich vom Kabarettisten Serdar Somuncu unangenehme Fragen stellen lassen.Vergrößern des BildesTalkrunde bei Maybrit Illner: Außenminister Sigmar Gabriel musste sich vom Kabarettisten Serdar Somuncu unangenehme Fragen stellen lassen. (Quelle: ZDF/Jule Roehr)
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Donald Trump und Kim Jong-Un drohten sich gegenseitig mit Atomraketen, in Maybrits Illners Jahresrückblick ging es aber vor allem um deutsche Befindlichkeiten. Ein Kabarettist setzte Sigmar Gabriel besonders zu.

Die Gäste

  • Sigmar Gabriel (SPD), geschäftsführender Bundesaußenminister
  • Edmund Stoiber (CSU), Ehrenvorsitzender der CSU
  • Serdar Somuncu, deutscher Kabarettist und Schriftsteller
  • Melinda Crane, Journalistin bei der Deutschen Welle
  • Peter Frey, ZDF-Chefredakteur

Das Thema

Maybrit Illner wollte in ihrer letzten Sendung des Jahres den umfassenden Rundumblick zurück wagen. "Vertrauen, Wahrheit, Sicherheit – was ging 2017 verloren?" lautete das Thema. Statt im thematischen Fundbüro landete die Sendung aber in der engen, dunklen Schublade der aktuellen GroKo-Diskussion. Fast hätte man während dieser Ausgabe vergessen können, wie gefühlt endlos Donald Trump und Kim Jong-un vor der Bundestagswahl die politischen Talkshows dominiert hatten.

Jetzt aber wurde der US-Präsident nur ein-, zweimal überhaupt erwähnt. Der nordkoreanische Diktator und seine atomaren Drohgebärden fehlten gleich ganz. Konkrete Pläne für den Brexit und gegen den Terror? Ukraine? Fehlanzeige.

Stattdessen drehte sich die Debatte immer wieder um die Themen, die in möglichen Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD eine Rolle spielen werden sowie um die Aufarbeitung von Fehlern der einstigen Volksparteien im Wahlkampf. Die GroKo-Scheuklappen hatten sich Illner und ihre Redaktion natürlich schon mit der Auswahl der Gäste eingehandelt. Oppositions-Vertreter waren nicht geladen.

An deren Stellen durfte Somuncu den Chefankläger der Noch- und vermutlich wohl Bald-wieder-Koalitionspartnern geben. Wer hat wie in der Flüchtlingskrise versagt? Wie stabil oder labil ist Deutschland wirklich? Wie lange kann der französische Präsident Emanuel Macron mit seinen Plänen für Europa noch auf Berlin warten? Und wer hat noch mal wie in der Flüchtlingskrise versagt? Thematisch trat die Runde auf der Stelle.

Die Fronten

"Was sind wir für ein glückliches Land." Im allgemeinen Wehklagen über eine politische und gesellschaftliche Krise in Deutschland wagte Gabriel mal eine andere Sicht auf die Dinge. "Ich mache mir keine großen Sorgen über das Land", betonte der Ex-Parteichef der SPD. So viel Ausgeglichenheit stieß Somuncu sauer auf.

Er warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Sozialdemokraten vor, das Flüchtlingsthema unterschätzt und daher der AfD das Feld überlassen zu haben. "Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu", räumte Gabriel ein. "Wir haben keine aufgeklärte Debatte darüber geführt."

Stoiber fand im Thema Integration sein Steckenpferd des Abends und geriet richtig in Fahrt. "Er redet sich in einen Rausch", meinte einer der Teilnehmer leise, als der ehemalige bayerische Ministerpräsident davon sprach, dass sich ein großer Teil der deutschen Bevölkerung von den "polyglotten Eliten" und der "Erasmus-Generation" abgehängt fühle. Ein ums andere Mal verwies Stoiber auf die enormen Herausforderungen der Integration für das Land. "Die Wähler kann ich nicht beschimpfen, weil sie die AfD gewählt haben", betonte er aufgeregt. Frühere treue Anhänger hätten ihm mitgeteilt, dass sie wegen der Flüchtlingskrise nicht mehr für die CSU stimmen würden. "Das habe ich noch nie in Wahlkämpfen erlebt, dass Leute sagen, sie wählen die CSU aus einem bestimmten Grund nicht mehr."

Und wie steht es mit der Rolle der Medien selbst beim Aufstieg der AfD? Dazu war Frey von seinem eigenen Sender geladen und verteidigte erwartungsgemäß das Fernsehen gegen Vorwürfe der Voreingenommenheit. Zwar räumte er Fehler ein. Das lief allerdings eher suboptimal. "Wir haben vielleicht zu wenig in die Milieus hineingeguckt, die sich verängstigt fühlen", sagte der ZDF-Chefredakteur. "Wir waren zu wenig in den Problemvierteln in Deutschland unterwegs“, ob das "im Dortmunder Norden ist oder irgendwo in Ostdeutschland". Jetzt aber gehe das ZDF überall hinein ins Land - "bis nach Görlitz". „Problemviertel“? "Milieus"? Mit dieser Wählerschaft ist die AfD sicherlich nicht zur drittstärksten Kraft im Bundestag geworden.

Aufreger des Abends

Gerade hatte Gabriel ihm beim Urteil über die misslungene Flüchtlingsdebatte zugestimmt. So viel Harmonie wollte Somuncu aber nicht erst aufkommen lassen. "Sprechen Sie ihn (Erdogan) auf Deniz Yücel an?", wollte er vom Außenminister mit Blick auf den in der Türkei inhaftierten deutschen Journalisten wissen. Gabriel zögerte keinen Moment. "Immer. Es gibt kein Gespräch mit Vertretern der türkischen Regierung, bei dem dieser Name und übrigens eine Reihe anderer nicht fällt. Das beeindruckt die türkische Regierung aber nur im begrenzten Maße."

Gabriel schwenkte dann zur AfD, wollte die Sache dann aber doch nicht auf sich beruhen lassen. "Darf ich eine Frage stellen?", fragte er an den Kabarettisten gewandt. "Können Sie mir erklären, wie Sie auf die Idee kommen, dass ein deutsches Regierungsmitglied in die Türkei fährt, ohne Deniz Yücel zu erwähnen?"

Die Steilvorlage ließ sich Somuncu natürlich nicht entgehen. "Das kann ich Ihnen erklären. Ich sehe das Ergebnis. Ich sehe, dass Sie mit jemandem gemeinsame Sache machen, der in keiner Weise den demokratischen Standards standhält", sagte er auch mit Blick auf Überlegungen in der Türkei, die Todesstrafe wieder einzuführen. Dann schaltete sich auch Stoiber ein. Solle man also mit der Türkei gar nicht mehr reden? "Natürlich müssen wir reden", entgegnete Somuncu. "Aber Sie können doch als Deutschland klare Forderungen stellen."

Eine Viertelstunde später kam Gabriel zurück zum Thema und redete mal diplomatischen Klartext. Wenn man nur mit solchen Ländern Verträge schließen wolle, die europäischen Normen entsprächen, "dann gibt es nicht viele Länder außerhalb Europas, mit denen ich noch einen Vertrag machen kann". Und wozu dann das Ganze?, wollte Somuncu wissen. "Weil wir nicht nur Werte, sondern auch Interessen haben", erwiderte der Außenminister. Interessen wie: Wirtschaftsbeziehungen oder eine wie auch immer geartete Beziehung zur Türkei. Deutschland sei in der EU überhaupt nur noch eines der wenigen Länder, die das Thema Menschenrechte wenigstens noch ansprechen würden, betonte Gabriel.

"Illner-Momente"

Ein umfassender Jahresrückblick hätte einer starken Hand bedurft. Konsequente Themenwechsel und dabei das große Ganze fest im Blick – das gelang Illner an diesem Abend leider nicht. Gegen Ende redeten vor allem Gabriel, Stoiber und sogar Frey nur noch unter sich. Die hilflosen Einwürfe der Moderatorin gingen komplett unter. Schließlich musste sogar fünf Minuten überzogen werden, ohne dass damit ein großer Erkenntnisgewinn verbunden gewesen wäre.

Illner schaffte es schlichtweg nicht, ihre Gäste zum Schweigen zu bringen. Dann war es an der Zeit für die abschließende Frage an die Runde. Und was kam? Die Moderatorin wollte tatsächlich wissen: Welche Bundesregierung haben wir wohl am Ende des nächsten Jahres? Alle sagten GroKo. Ein in seiner Kurzsichtigkeit wunderbar passender Abschluss dieses Jahresrückblicks.

Was von der Sendung übrig bleibt

Werden wir beim Jahresrückblick 2018 überhaupt noch spontan wissen, wofür die Abkürzungen GroKo und KoKo noch mal standen? Gut möglich. Aber diese Talkshow hat gezeigt, wie extrem die aktuell angesagte Themensau alle anderen wichtigen Entwicklungen in den Hintergrund drängt. Haben wir uns tatsächlich schon so sehr an Trump oder die Atomdrohungen aus Nordkorea gewöhnt, dass sie keine Diskussion mehr wert sind? Auch das könnte ein Aspekt des Sendungsthemas "Was ging 2017 verloren?" sein.

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