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Michael Roth über EU-Politik: "CDU und CSU machen Europa zum Verliererthema"


Wahlkampf und Europa
Staatsminister Michael Roth: "Sie verscherbeln das Erbe von Kohl und Merkel"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch, Patrick Diekmann

23.09.2021Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Michael Roth: "Der deutsche Steuerzahler muss für den Rest der EU aufkommen. Das ist blanker Unsinn."Vergrößern des Bildes
Michael Roth: "Der deutsche Steuerzahler muss für den Rest der EU aufkommen. Das ist blanker Unsinn." (Quelle: Felix Zahn/photothek.net/imago-images-bilder)

Wie muss sich die Europäische Union in der Zukunft aufstellen? Für den kommenden Bundeskanzler gebe es viel zu tun, sagt Staatsminister Michael Roth (SPD). Der Union fehlten die geeigneten Konzepte.

Wer den Wahlkampf verfolgt, muss außenpolitische Themen zum Teil mit der Lupe suchen – abgesehen von der Situation in Afghanistan. Ideen zur Zukunft der Europäischen Union kommen kaum vor. Dabei gibt es mehr als genug zu tun, davon ist Michael Roth überzeugt: Seit 2013 ist er als Staatsminister im Auswärtigen Amt zuständig für Europa, zusätzlich Mitglied des Parteivorstands der SPD und Spitzenkandidat in seinem Heimatbundesland Hessen.

Im Gespräch mit t-online erläutert Roth, warum die EU nicht auf dem Weg zu einer Schuldenunion ist, wie CDU und CSU aus seiner Sicht ein zukunftsfähiges Europa blockieren und wie er die EU-Politik der Linkspartei beurteilt.

t-online: Herr Roth, Deutschland ist in der heißen Phase des Wahlkampfes und Europapolitik war bis zuletzt kaum Thema. Nun behauptet Armin Laschet, dass unter einem Kanzler Olaf Scholz die EU durch eine Vergemeinschaftung von Schulden auseinanderbrechen würde. Gefährdet die SPD die Stabilität Europas?

Michael Roth: CDU und CSU haben nichts gelernt, sie legen – wenn sie unter Druck stehen – immer die gleiche Schallplatte auf. Für eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt, europafreundlich zu sein, ist das ein Armutszeugnis.

Welche Schallplatte meinen Sie?

CDU und CSU behaupten immer dasselbe: Der deutsche Steuerzahler muss für den Rest der EU aufkommen. Das ist blanker Unsinn. Wir sind doch nicht auf dem Weg in eine Schuldenunion. Aber wir brauchen endlich eine soziale Union durch Mindeststandards und eine verbindliche wirtschaftspolitische Koordination. Und exakt das blockieren CDU und CSU.

Das heißt?

Ökonomische und soziale Verwerfungen in Europa müssen abgemildert werden. Die Schere zwischen Arm und Reich ist nach wie vor zu groß. Die EU macht seit ihrer Gründung nichts anderes: Es gibt Fonds, von denen weniger entwickelte Regionen profitieren – auch unsere Bundesländer, vor allem Ostdeutschland. Umverteilung findet seit Beginn des vereinten Europas statt. Aber das ist keine Schuldenunion. Der Vorwurf ist lächerlich. Mit dem europäischen Wiederaufbaufonds "Next Generation EU" darf die EU Kredite aufnehmen, die sie bis 2058 zurückzahlen wird. Ich kann daran nun wirklich nichts Gefährliches sehen. Im Gegenteil!

Demnach schadet dieser Wahlkampf der europäischen Idee?

Ja, CDU und CSU machen Europa zu einem Verliererthema und schüren Ängste. Damit versündigen sie sich abermals an der europäischen Idee. Ein weiteres Beispiel ist die Arbeitslosenrückversicherung: Das hört sich kompliziert an, aber letztlich geht es darum, das deutsche Erfolgsmodell der Kurzarbeit in die EU zu exportieren. Das ist ein kreditfinanziertes Programm. Aber Union und übrigens auch die FDP machen daraus, dass Deutschland damit für arbeitslose Griechen zahlen würde. Das ist nicht nur sachlich falsch, sondern auch verantwortungslos. Alle Mitgliedstaaten kommen für das Programm auf. Nur weil die Union den eigenen Machtverlust befürchtet und keine eigenen Wahlkampfthemen hat, singt sie wieder das gleiche Lied: Das Gute kommt aus Berlin, das Schlechte von einer unfähigen Bürokratie in Brüssel. Das ist eine Abkehr von der proeuropäischen Tradition von CDU/CSU. Damit verscherbeln sie das Erbe von Helmut Kohl und Angela Merkel.

Aber auch Armin Laschet sagt, dass er ein überzeugter Europäer sei.

Am Ende zählen nicht Worte, sondern Taten. Armin Laschet ist im Wahlkampf noch mit keiner einzigen Idee um die Ecke gekommen, die Europa und damit auch uns voranbringt. Hat er sich etwa dem Gequatsche von der Schuldenunion entgegengestellt? Mitnichten. Diese auch von Herrn Merz vorgetragenen Parolen schüren Ressentiments und schaden am Ende Deutschland und der EU. Die SPD und Olaf Scholz machen hingegen mehr als deutlich: Die EU muss zu einer echten Sozial- und Fiskalunion werden.

Aber auch in der Linkspartei gibt es nicht unbedingt viele EU-freundliche Politiker. Warum schließt die SPD eine Koalition dennoch nicht aus?

Manches, was ich von Politikerinnen und Politikern der Linkspartei in Sachen Europa höre, ist ziemlicher Käse. Für die SPD ist eine unzweideutige proeuropäische Grundhaltung zwingend für die Beteiligung an einer neuen Bundesregierung. Da sind wir sehr klar. Das weiß die Linkspartei auch genau.

Was heißt das konkret?

Die Parteien müssen nach dem bewertet werden, was in ihren Programmen steht. Bei der Linkspartei gibt es eine Reihe von außen- und europapolitischen Forderungen, die ich hochproblematisch finde. Ein Teil der Linken sieht in der EU einen Büttel des Marktradikalismus. Für die ist die EU militaristisch, undemokratisch und neoliberal. Die wollen deshalb eher zurück in den vermeintlich heimeligeren Nationalstaat. Aber ich komme aus Hessen und wir haben uns dort vor etlichen Jahren mit Ausschließerei vor der Wahl an den Rand des Abgrunds manövriert.

Diese Wahl markiert auch den Abschied von Angela Merkel. Sie hinterlässt auch ein Machtvakuum auf europäischer Ebene. Inwieweit wird das zum Problem für die europäische Gemeinschaft?

Die Bundestagswahl ist auch eine europäische Wahl, denn für unsere Partner ist es entscheidend, wer an der Spitze des größten und wirtschaftlich stärksten Landes steht. Ich werde oft in Europa gefragt, wie es nach Angela Merkel weitergehen soll.

Was antworten Sie?

Ein Kanzler muss nicht nur Deutschland können, sondern auch Europa. Da spricht eben alles für Olaf Scholz, denn er ist ein echter Profi auf dem europäischen und internationalen Parkett. Die Kanzlerin musste sich von Krise zu Krise hangeln, das kann man ihr nicht vorwerfen. Europa braucht jetzt aber mehr als Krisenbewältigung, es braucht Perspektiven und neuen Mut, Pflöcke für die Zukunft einzuschlagen.

Welche Pflöcke?

Es wird darum gehen, wie es mit der EU angesichts von Gesundheits-, Finanzmarkt-, Klima- und der sozialen Krise weitergehen soll.

Das klingt aber schon nach Krisenbewältigung.

Aus der in der Krise gestärkten europäischen Solidarität muss jetzt ein dauerhafter Integrationsfortschritt werden. Die Krisenbewältigung sah bislang so aus, dass etwas Unvorhergesehenes geschah und dann mussten wir da irgendwie durch. Dabei wurde aber verpasst, Europa eine langfristige Perspektive zu geben. Die derzeitige Konstruktion ist wohl nicht mehr zukunftsfähig. Viele Entscheidungen müssen einstimmig getroffen werden. Da gibt immer der Langsamste und Unwilligste Tempo und Richtung vor. Wir brauchen in wichtigen Politikfeldern Mehrheitsentscheidungen.

Die meisten Regierungen in Europa kämpfen aktuell nicht für mehr europäische Kompetenzen und Richtlinien.

Da haben Sie leider recht. Bei vielen EU-Partnern gibt es eine große Zurückhaltung, den großen Wurf zu wagen. Momentan sind manche froh, wenn der Status quo gesichert bleibt.

Deshalb wird in vielen Ländern Wahlkampf gegen die EU gemacht?

Das stimmt teilweise. Ich möchte aber daran erinnern, dass die Populisten und Nationalisten nicht verhindert haben, dass wir in den gegenwärtigen Krisen zum Beispiel mit dem Wiederaufbaufonds deutlich mehr Europa gewagt haben. Dazu dürfen wir nicht den Fehler machen, Regierungen mit der Bevölkerung gleichzusetzen. Die Menschen, besonders die junge Generation, sind überwiegend sehr proeuropäisch. In Polen zum Beispiel waren nach einer jüngsten Umfrage fast 90 Prozent der Bevölkerung für einen Verbleib in der EU.

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Aber besonders in Krisenzeiten zerfällt Europa doch immer wieder in einen politischen Flickenteppich. Zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik.

Auch in der Asyl- und Migrationspolitik haben wir Fortschritte erzielt. Es sind noch nicht die nötigen Schritte, aber auch dort geht es in die richtige Richtung. Leider viel zu langsam.

Welche Fortschritte?

Wir stimmen uns in Europa zum Beispiel in der Entwicklungszusammenarbeit stärker aufeinander ab. Oder wir nehmen unsere Verantwortung für Frieden und Stabilität mehr wahr, indem wir für Geflüchtete in Transit- und Herkunftsländern deutlich mehr tun.

Auf der anderen Seite werden Länder wir Griechenland oder Italien im Stich gelassen. Es gibt desaströse humanitäre Verhältnisse für Flüchtlinge in Ländern wie Libyen und auf der Balkanroute schotten sich Länder mit hohen Zäunen ab. Darauf kann die EU doch nicht stolz sein?

Ich bin darauf mitnichten stolz. Es ist noch immer ein großes Problem, dass sich die EU-Staaten nicht auf eine faire und solidarische Verteilung von Geflüchteten einigen können. Auch rechtsstaatliche Verfahren an den EU-Außengrenzen, die zügig über eine Annahme oder Ablehnung der Anträge entscheiden, gibt es bislang nicht. Außerdem können wir nicht überall garantieren, dass Geflüchtete menschenwürdig behandelt werden.

Das klingt nach einer europäischen Kapitulationserklärung.

Kapitulation wäre das falscheste, was wir tun könnten. Aber ja, wir sind in dieser Frage noch sehr weit von dem entfernt, was notwendig wäre. Die EU-Kommission hat während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine neue Initiative in der Asyl- und Migrationspolitik gestartet, aber der Vorschlag von Kommissionspräsidentin von der Leyen kam zu spät. Die derzeitige Migrations- und Asylpolitik ist sicherlich die Achillesferse der Europäischen Union.

Letztlich schadet es auch der EU. Ist es nicht unehrlich, wenn Politiker in Wahlkämpfen in Migrationsfragen auf europäische Lösungen verweisen, obwohl es diese nicht geben wird?

Nationalisten und Populisten haben eine Blockade errichtet, die wir endlich durchbrechen müssen. Sie haben ein Klima der Angst und Ressentiments erzeugt – diese Angst ist auch einigen progressiven Regierungen in die Glieder gefahren. Deshalb müssen wir für mehr Akzeptanz kämpfen – und mit gutem Beispiel vorangehen. Wollen wir dauerhaft ein Europa ohne Grenzen, wie wir es vor der Corona-Krise kannten und nun wieder erleben, brauchen wir eine gemeinsame europäische Migrations- und Asylpolitik. Das bleibt eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Jahre, die über die Glaubwürdigkeit der EU entscheidet. Dass wir dies nur gemeinsam bewältigen können, diese Erkenntnis ist leider noch nicht in allen Hauptstädten angekommen.

Wir haben nun ausführlich über internationale Krisen und Europapolitik gesprochen. Aber zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wo sehen Sie sich nach der Wahl?

Hoffentlich im Deutschen Bundestag, zum siebten Mal direkt gewählt in meinem nordhessischen Wahlkreis.

Außenminister?

Erst einmal arbeiten wir daran, dass die SPD so stark wie möglich wird und die nächste Regierung anführt.

Sehr diplomatisch.

Ob Sie es glauben oder nicht, darüber mache ich mir derzeit wirklich keine Gedanken.

Was ist mit Außenminister Heiko Maas?

Der will genauso wie ich auch seinen Wahlkreis gewinnen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Roth.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Michael Roth am 15.9.2021
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