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Debakel für CDU bei Bundestagswahl: Die Trümmertruppe um Armin Laschet


Debakel für CDU bei Bundestagswahl
Die Trümmertruppe


Aktualisiert am 27.09.2021Lesedauer: 7 Min.
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Unzufrieden mit Ergebnis: Armin Laschet reagiert auf die deutlichen CDU-Verluste bei der Bundestagswahl. (Quelle: reuters)

Mit Armin Laschet erreicht die Union ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Ob er Kanzler wird oder nicht: Die CDU steht vor dem größten Umbruch in ihrer Geschichte.

Es ist kurz vor 18 Uhr an diesem Wahlsonntag, als Serap Güler die CDU-Zentrale betritt. Die 41-Jährige ist Staatssekretärin für Migration in Nordrhein-Westfalen, sie gilt als enge Vertraute von Armin Laschet – und als mögliche Bundesministerin, sollte der Kandidat Kanzler werden.

Güler, orangenes Sakko, schwarze Handtasche, hat ein Glas Weißwein in der Hand, sie wirkt entspannt und plaudert ein wenig mit mehreren Parteifreunden. Doch zwei Minuten bevor die Wahlprognose an diesem Sonntag veröffentlicht wird, geht Güler plötzlich zur großen Treppe im Foyer. Sie will weg vom Gedränge und den neugierigen Blicken am Eingang.

Und dann, um Punkt 18 Uhr, wird es fast ganz still im Konrad-Adenauer-Haus. Nur die Stimme des ARD-Moderators durchschneidet die Ruhe erbarmungslos aus den Lautsprechern: "Die Union kommt zusammen auf 25 Prozent, das schlechteste Ergebnis in der Parteiengeschichte." Seine Worte verhallen im Irgendwo des Lichthofes, wo überall groß das Parteilogo hängt.

Die Umfragen als Eisschicht – und jetzt ist man eingebrochen

Die Parteifunktionäre starren wütend und ungläubig auf die Bildschirme, doch es hilft nichts: Der blaue Unions-Balken hört bei rund 25 Prozent einfach zu wachsen auf, die SPD zieht gleichauf und später vorbei. Nicht deutlich, aber immerhin. In den letzten 16 Jahren haben CDU und CSU den Kanzler gestellt, die Wahlergebnisse lagen teilweise bei über 40 Prozent. Jetzt hat sich die Zustimmung beinahe halbiert.

Es war einmal eine Volkspartei.

Die bittere Lehre für die Christdemokraten lautet: Es gibt kein Abo aufs Kanzleramt, die guten Umfragen der letzten Jahre haben sich als dünne Eisschicht entpuppt. Und nun ist die Partei eingebrochen.

Wer künftig regiert, ist völlig offen: Eine SPD-geführte Ampelkoalition erscheint möglich, ein rot-rot-grünes Bündnis ist noch nicht endgültig ausgeschlossen. Die einzige realistische Machtoption der Union, eine Jamaika-Regierung, ist nur eines der möglichen Szenarien. Und es ist nicht unbedingt das wahrscheinlichste.

Armin Laschet klammert sich trotzdem daran. Er versucht an diesem Abend die Flucht nach vorn und reklamiert für sich, einen Regierungsauftrag zu haben. "Wir werden alles daransetzen, eine Bundesregierung unter Führung der Union zu bilden", sagt er an diesem Abend, als er nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen ans Rednerpult tritt.

Das Bild des Zusammenhalts bekommt Risse

Hinter Laschet steht die gesamte Führungsriege der Partei, unter anderem: Kanzlerin Angela Merkel, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, Gesundheitsminister Jens Spahn, Fraktionschef Ralf Brinkhaus, Kanzleramtsminister Helge Braun. Und Serap Güler steht in der ersten Reihe und strahlt.

Das Bild soll die Botschaft transportieren: Wir halten zusammen.

Doch bereits am Sonntagabend bekommt dieses Bild Risse, denn in der Partei bricht Unruhe aus. Die Vizechefin der Unionsfraktion im Bundestag, Gitta Connemann, sagt t-online: "Wir sind auf dem Weg, den Status der Volkspartei zu verlieren. Deshalb darf es kein Weiter-so geben. Alles muss auf den Prüfstand – Strukturen, Verfahren, Mitgliederbeteiligung. Dazu gehören auch personelle Konsequenzen." Der Chef der NRW-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und Staatssekretär im Innenministerium, Günter Krings, mahnt, es brauche jetzt "eine gründliche und schonungslose Analyse des Wahlergebnisses." Auch die Vizechefin der Mittelstandsunion und Bundestagsabgeordnete Jana Schimke mahnt, man müsse sich "inhaltlich und personell hinterfragen".

Ein regelrechter Warn-Wahlkampf

Laschet will nach dem Kanzleramt greifen, doch gleichzeitig beginnt bereits ein Umbruch in seiner Partei. Dieser Wahlsonntag mit dem historisch schlechten Ergebnis könnte zur Stunde null der Christdemokraten werden. Eine Partei steht auf ihren eigenen Trümmern – und will sich jetzt neu erfinden.

In der Union beginnt bereits die Fehleranalyse, damit jetzt schnell umgesteuert werden kann.

Am Tag vor der Wahl trug sich eine Szene zu, die für manche symptomatisch für die Fehler der Partei im Wahlkampf ist. Armin Laschet hielt am Samstag seine Schlusskundgebung in seiner Heimat Aachen-Burtscheidt ab. Die Kanzlerin war extra zur Verstärkung angereist. Auf der kleinen Bühne warb Laschet für Wachstum, nicht für "ideologische Experimente": Eine Warnung vor einem rot-rot-grünen Bündnis.

Dieser Satz war der Schlusspunkt eines regelrechten Warn-Wahlkampfes, den Laschet und sein Generalsekretär Paul Ziemiak in den vergangenen Wochen geführt hatten. Ziemiak erklärte sehr generalsekretärshaft, eine rot-rot-grüne Regierung würde Deutschland "außenpolitisch ins Abseits stellen" und die "Genossen von Kühnert werden die Macht übernehmen". Laschet selbst warnte vor einem "Angriff auf Deutschlands Wohlstand".

Aus CDU-Kreisen ist zu hören, dass die "Rote Socken"-Kampagne eine Art flink gezimmerte Notlösung war, nachdem die Umfragen so eingebrochen waren. Die gesamte CDU-Strategie mit Slogans wie "Gemeinsam für ein modernes Deutschland" oder "Deutschland gemeinsam machen" war noch lange vor der Flutkatastrophe und Laschets Patzer konzipiert worden. Doch die Wahlkampfleitung hielt daran so lange fest, dass zum Schluss nur noch als Parole übrig blieb: Wählt uns oder die bösen Linken übernehmen das Ruder.

Das Ergebnis davon ist für die Union besser als die schlechtesten Umfragen, aber nicht berauschend: rund 25 Prozent. Mit Warnungen vor roten Schreckgespenstern allein lässt sich die politische Konkurrenz nicht mehr in die Ecke drängen. So viel ist nach diesem Wahlkampf klar.

"Uns war klar, dass wir für die Merkel-Ära einen hohen Preis zahlen"

Deshalb stellt sich bei dem bevorstehenden Umbruch in der CDU die Frage: Wofür steht die Partei eigentlich noch? Oder ist sie inhaltlich längst entkernt? Wer mit christdemokratischen Wahlkämpfern spricht, der hört, dass viele längst gefallene Entscheidungen in diesem Sommer neu mit den Wählern diskutiert werden mussten: War es angesichts der Klimakatastrophe richtig, aus der Atomenergie auszusteigen? Hätte man nicht die Wehrpflicht beibehalten können?

Ein Grund für die allgemeine Orientierungslosigkeit ist auch Angela Merkel. Ihr Erfolgsrezept war die "asymmetrische Demobilisierung", also der Versuch, die potenziellen Wähler der Konkurrenz so einzulullen, dass sie möglichst nicht zur Wahl gehen. Darunter hat vor allem die SPD gelitten, weil die Kanzlerin in ihrem Programm wühlte. 2013 übernahm sie die Forderungen nach einer Mietpreisbremse und einer Rentenaufstockung, 2017 unterstützte sie kurz vor der Wahl plötzlich die Ehe für alle. Vielen Christdemokraten wurde da schon in der Vergangenheit schwindelig.

Ein ranghoher CDU-Funktionär drückt die mangelnde inhaltliche Klarheit so aus: "Uns war klar, dass wir für die erfolgreiche Ära Merkel einen hohen Preis bezahlen müssen." Künftig könnten eigene Kommissionen über die Positionierung der Partei entscheiden, heißt es. Schon in diesem Herbst könnten dafür Mitglieder gewählt werden, die dann in Papieren aufschreiben, wofür die Partei stehen soll. Manch einer glaubt bereits, ein Zurück zur Atomenergie könnte für die CDU künftig ein Teil des politischen Markenkerns werden.

Doch auch die Parteistruktur wird kaum so bleiben, wie sie ist. Denn mit dem miserablen Wahlergebnis ist auch das bisherige Machtsystem gescheitert: Armin Laschet wurde auch deshalb Kanzlerkandidat, weil die CDU-Granden Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier ihn gegen Markus Söder durchsetzten. Es war ein Sieg der etablierten Kräfte der Partei gegen den erklärten Willen der CDU-(wohlgemerkt, nicht CSU-) Basis. So etwas wird sich wohl kaum wiederholen, die Macht der Mitglieder ist nach der Wahl gestärkt. Einige Söder-Fans könnten sich ihren Befürchtungen, mit Laschet lasse sich keine Wahl gewinnen, längst bestärkt fühlen.

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Laschet hängt am seidenen Faden

In der CDU rechnet man auch damit, dass die Macht von Schäuble an ihr Ende gerät. Stattdessen bricht nun wohl die Zeit der jüngeren Köpfe an. Jens Spahn, der parteiintern mächtige Truppen hinter sich weiß, ist einer der Kandidaten. Auch als einflussreich gehandelt werden der Chef der Mittelstandsunion, Carsten Linnemann, ebenso wie die Vizeparteivorsitzende Silvia Breher. Unter ihnen wird wohl die Macht neu verteilt.

Die Suche nach dem neuen inhaltlichen Kern, der Wandel in den Machtstrukturen – beides muss nun erst einmal ein Parteichef managen, der sich gerade so noch im Amt halten kann: Kanzlerkandidat Armin Laschet stehen verhandlungsreiche Tage bevor. Viele Prognosen sehen die Union auf Platz zwei hinter der SPD. Laschet drängt auf eine Jamaika-Koalition, und in seinem Lager setzt man jetzt die ganze Hoffnung auf Christian Lindner: Wenn dieser nicht in eine Ampelkoalition mit den Grünen und der SPD eintrete, dann wäre die Möglichkeit für die Union gegeben, auch als Zweitplatzierter den Bundeskanzler zu stellen.

In der Partei ist die Skepsis groß: Die einst so stolze Union setzt ihre ganze Hoffnung auf einen wankelmütigen FDP-Chef, der schon 2017 die Verhandlungen platzen ließ? Wo soll das noch hinführen? Laschet hängt am seidenen Faden.

Am Montag tagt erst das Präsidium, dann der Parteivorstand. Beide Gremien wird Laschet wohl mit dem Argument zu überzeugen versuchen, dass er Rückendeckung für anstehende Verhandlungen brauche.

Schon am Dienstag steht aber wohl die nächste Schlacht für ihn bevor: Laschet könnte sich zum Fraktionschef wählen lassen, um von dieser Position aus weiterhin an einem Jamaika-Bündnis zu arbeiten. Am Sonntagabend hatte er sich zwar gegenteilig geäußert, doch völlig ausgeschlossen ist es trotzdem nicht, glaubt mancher Funktionär. Kommt es zu diesem Szenario, beginnt erneut ein Machtkampf in der Partei. Der bisherige Fraktionsvorsitzende, Ralph Brinkhaus, will auf seinem Posten bleiben. Auch der ehrgeizige Friedrich Merz könnte ein weiteres Mal nach der Macht greifen. Merz könnte man wohl nur beruhigen, wenn er ein Ministeramt für sich gesichert sieht. Aber es ist ja völlig unklar, ob der nächste Kanzler wirklich Armin Laschet heißt.

Laschet ist im Moment ein Mann, der auf dem Pulverfass CDU sitzt.

Auch in seiner Heimat, bei der CDU Aachen, ist die Stimmung am Wahlabend gedämpft. Als die ersten Hochrechnungen verkündet werden, wird im Raum der Wahlparty noch aufgebaut. Niemand ist da, um sich erleichtert in die Arme zu fallen. Ein Sohn der Stadt gewinnt für die CDU die Wahl und wird nächster Kanzler – das wäre eine Sensation gewesen. Aber offenbar hat sogar in seiner Heimat keiner damit gerechnet. Trotzdem sollte eigentlich schon früh wenigstens ein bisschen gefeiert werden, doch die 25 Prozent schocken auch hier alle.

Kurz darauf erscheint ein Mitarbeiter und erklärt: Alle Ergebnisse seien ja vorläufig, deswegen wolle man – entgegen früherer Zusagen – die Türen erst mal geschlossen halten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche vor Ort in Berlin und Aachen
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