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Ampel-Koalition: Der Teufel steckt in den Halbsätzen


Raufen sie sich zusammen?
Der Teufel steckt in den Halbsätzen

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

21.10.2021Lesedauer: 5 Min.
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Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Christian Lindner als Campact-Protest-Figuren bei den Sondierungen: Jetzt wird's konkret.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Christian Lindner als Campact-Protest-Figuren bei den Sondierungen: Jetzt wird's konkret. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Es wird ernst für SPD, Grüne und FDP, heute beginnen die Koalitionsverhandlungen. Und mit ihnen die Konflikte, die im Sondierungspapier an vielen Stellen schlummern.

Robert Habeck hat die Ärmel seines dunkelblauen Hemdes hochgekrempelt. Er weiß, dass die Arbeit jetzt erst richtig losgeht.

"Vielen Dank für den freundlichen Applaus vorweg schon", sagt der Grünen-Chef, als er am Sonntagnachmittag auf der Bühne des Parteitags in Berlin steht. "Aber es ist natürlich noch gar nichts gewonnen."

Knapp drei Wochen haben SPD, Grüne und FDP nach der Bundestagswahl gebraucht, um zueinander zu finden. Damit einigte sich die wohl kommende Ampelkoalition schneller, als es viele in den Parteien erwartet hatten. Das Zwischenergebnis, ein Sondierungspapier, wurde am vergangenen Freitag dann auch von allen Partnern als guter, fairer Kompromiss gefeiert.

Die erste Etappe ist geschafft.

Ob es auch die schwerste Etappe war, das wird sich noch zeigen müssen. Wahrscheinlich war sie es nicht. Denn mit den zwölf Seiten des Sondierungspapiers ist tatsächlich noch nicht viel gewonnen. Sie sind gewissermaßen nur die Grundlage einer Grundlage einer Ampelregierung.

Viele Themen, auch kritische, sind im Sondierungspapier nur angerissen, andere sind noch nicht mal das. Hinter jedem inhaltlichen Satz verstecken sich ganze Welten von Details, die ab heute ausgehandelt werden müssen – in den Koalitionsverhandlungen, an deren Ende der Koalitionsvertrag einer Ampelregierung stehen soll.

Und in den wenigen Tagen seit diesem ersten Kompromiss ist deutlich geworden: Das wird noch kompliziert. Denn schon jetzt streiten die Parteien darüber, wie die Sätze und Halbsätze, die sie da aufgeschrieben haben, eigentlich zu interpretieren und in konkrete Politik zu verwandeln sind.

Dabei geht es längst nicht nur um Details. Und auch längst nicht nur um die wichtige und vieldiskutierte Frage, woher das Geld für die nötigen Zukunftsinvestitionen genau kommen soll. Das zeigen schon einige Beispielsätze aus dem Sondierungspapier:

Bürgergeld, oder die Frage: Was bleibt von Hartz IV?

  • "Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen. (...) An Mitwirkungspflichten halten wir fest und prüfen, wie wir hier entbürokratisieren können." (Sondierungspapier, S. 6)

Hartz IV zu überwinden, ist eine der wichtigsten Forderungen von SPD und Grünen. Nur: Was heißt das konkret? Im Sondierungspapier wird zumindest der Namenswechsel vollzogen. "Bürgergeld" soll es künftig heißen, so wie die SPD es vorgeschlagen hatte.

  • Im Wortlaut: Hier lesen Sie das Sondierungspapier von SPD, FDP und Grünen


Ob damit aber auch das SPD-Konzept in Gänze übernommen wird? Also mit deutlich weniger Sanktionen und deutlich höheren Regelsätzen? In Bezug auf die Sanktionen lässt der Satz mit den "Mitwirkungspflichten" daran zweifeln. Die Regelsätze kommen gar nicht explizit vor. Es gibt nur die Formulierung, das Bürgergeld solle "die Würde des und der Einzelnen achten" – die viel offen lässt.

SPD und Grüne haben schon betont, dass ein Namenswechsel nicht ausreiche. Die FDP hingegen will traditionell weniger für Soziales ausgeben und pocht auf Mitwirkungspflichten. Ein Konflikt ist programmiert.

Mieten, oder die Frage: Kommt der Deckel drauf?

  • "Solange nicht genug bezahlbare Wohnungen gebaut werden, verhindert die Wohnraumknappheit vor allem in Ballungsgebieten, dass sich angemessene Mieten am Wohnungsmarkt bilden können. Daher werden wir die geltenden Mieterschutzregelungen evaluieren und verlängern." (Sondierungspapier, S. 8)

Bauen, bauen, bauen – darauf können sich eigentlich immer alle einigen. So auch die Ampelpartner im Sondierungspapier. 400.000 neue Wohnungen sollen pro Jahr entstehen, davon 100.000 öffentlich geförderte.

Nur was passiert in der Zeit, in der die Wohnungen gebaut werden und die Mietsteigerungen dann idealerweise gebremst werden? SPD und Grüne sind dafür angetreten, sie in angespannten Märkten durch ein zeitlich befristetes Mietenmoratorium (SPD) oder die Möglichkeit von Mietobergrenzen (Grüne) zu deckeln. Die FDP setzt auf den Markt.

Ob die im Papier festgeschriebene "Evaluierung" in den Koalitionsverhandlungen noch eine Art Moratorium oder Obergrenze ergeben kann? Völlig offen.

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Klimaschutz, oder die Frage: Wie wird's überprüft – und welche Subventionen?

  • "Die Einhaltung der Klimaziele werden wir anhand einer sektorübergreifenden und analog zum Pariser Klimaabkommen mehrjährigen Gesamtrechnung überprüfen." (Sondierungspapier, S. 3)

Das Klimakapitel des Sondierungspapiers gilt allgemein als großer Erfolg der Grünen und enthält auch viel Konkretes, wie etwa die Solarpflicht für Unternehmen und das Zwei-Prozent-Ziel bei den Flächen für Windkraft. Bei der Überprüfung, ob all das auch genug bringt, birgt der Satz zu den Klimazielen jedoch großes Konfliktpotential.

Bisher wird nämlich in sieben verschiedenen Sektoren einzeln und jährlich überprüft, ob sie ihre CO2-Einsparziele erreichen: Also im Verkehrssektor, in der Industrie, im Gebäudesektor, in der Landwirtschaft und so weiter. Im Sondierungspapier steht zwar, dass alle Sektoren ihren Beitrag leisten müssten.

Bei der Überprüfung der Ziele steht aber nun die "sektorübergreifende" und "mehrjährige Gesamtrechnung". Soll sie die passgenaueren und somit strengeren Sektorziele wirklich ersetzen? Den Druck, tatsächlich CO2 einzusparen, würde das senken. Deshalb wird in den Koalitionsverhandlungen darüber noch gestritten werden.

Genau wie über den folgenden Satz gestritten wird:

  • "Wir wollen zusätzliche Haushaltsspielräume dadurch gewinnen, dass wir den Haushalt auf überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben überprüfen." (Sondierungspapier, S. 11)

Wenn Grüne an "klimaschädliche Subventionen" denken, denken sie an das Dieselprivileg. Also den Umstand, dass für den (klimaschädlicheren) Diesel weniger Steuern fällig werden als für Benzin. Die Grünen stören sich daran schon seit Jahren und wollen diese Subvention schrittweise abbauen.

Die FDP will da nicht ran, das hat Christian Lindner gerade noch mal klargemacht. Denn das hätte für ihn den "Charakter einer Steuererhöhung". Er denkt bei dem Punkt eher an die "Über-Förderung von Elektroautos", von denen Gutverdienende oder Unternehmen durch Dienstwagen profitieren. Das Wort "überprüfen" im Papier lässt ohnehin völlig offen, welche Subventionen dann wirklich abgeschafft werden.

Europa, oder die Frage: Was ist mit den Schulden – und den Investitionen?

  • "Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat seine Flexibilität bewiesen. Auf seiner Grundlage wollen wir Wachstum sicherstellen, die Schuldentragfähigkeit erhalten und für nachhaltige und klimafreundliche Investitionen sorgen." (Sondierungspapier, S. 11)

Wie soll Europa mit seinen hochverschuldeten Staaten umgehen? Darüber wird spätestens seit der Schuldenkrise 2009/2010 gestritten. Die Obergrenzen des Stabilitäts- und Wachstumspakts, also ein Schuldenstand von 60 Prozent und ein Defizit von drei Prozent, gelten vielen inzwischen als zu streng.

Große europäische Volkswirtschaften wie Italien lagen zuletzt bei rund 135 Prozent Schulden, Frankreich bei 98 Prozent. Die Regeln sind wegen der Corona-Krise ohnehin bis 2023 ausgesetzt. Doch wie geht es danach weiter? Darüber werden auch die Ampelpartner in den Koalitionsverhandlungen noch streiten. Grüne und SPD sind dagegen, die Erholung in den Staaten durch Sparpolitik abzuwürgen. Die FDP ist für strenge Regeln.

Das Wort "Flexibilität" im Sondierungspapier lässt absichtlich vieles offen – und zeigt damit deutlich, dass sich die Partner noch nicht einigen konnten, inwiefern sie eine Reform des Paktes unterstützen, über die in der EU längst diskutiert wird.

Ebenso offen ist: Woher kommt das Geld für die "klimafreundlichen Investitionen" und weitere Projekte, die auf der Wunschliste im Sondierungspapier stehen: eine "europäische digitale Infrastruktur, ein gemeinsames Eisenbahnnetz, eine Energieinfrastruktur für erneuerbaren Strom und Wasserstoff" zum Beispiel.

Mit dem Wiederaufbaufonds hatte die EU im Zuge der Corona-Krise erstmals in ihrer Geschichte gemeinsame Schulden aufgenommen. SPD und Grüne wollen diese Möglichkeit beibehalten, auch als wichtigen Schritt zu einem immer engeren Europa. Die FDP findet das eher gefährlich. Vom Wiederaufbaufonds selbst oder von gemeinsamen Schulden ist im Papier deshalb gar nicht die Rede. Spätestens bei der Frage, wo das Geld für die Investitionen herkommen soll, wird es darüber in den Koalitionsverhandlungen trotzdem Streit geben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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