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Pressefreiheit: Deutschland rutscht ab


Journalisten auf Demos
"Es gibt immer wieder heftige körperliche Angriffe"

InterviewVon Liesa Wölm

Aktualisiert am 04.05.2023Lesedauer: 6 Min.
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Angriff auf einen Fotografen bei einer rechtsextremen Demonstration (Archivbild): Die Gewalt gegen Journalisten nimmt zu. (Quelle: Jochen Tack/dpa)

Berichterstattung von Demonstrationen ist für Journalisten in den vergangenen Jahren immer gefährlicher geworden. Eine Initiative will das ändern – und stellt klare Forderungen.

Ein Bericht von "Reporter ohne Grenzen" (RSF) zur Pressefreiheit fällt für Deutschland ernüchternd aus: Die Bundesrepublik ist im Ranking fünf Plätze nach unten gerutscht. Nie zuvor gab es so viele gemeldete körperliche Angriffe wie im vergangenen Jahr. Zwei Drittel der Vorfälle haben sich im Osten ereignet, die meisten in Sachsen.

Dort hat sich vor zwei Jahren eine Initiative gegründet: Between the Lines. Ehrenamtliche begleiten Journalistinnen und Journalisten zu Demonstrationen, um ihnen Schutz zu bieten: Sie schreiten ein, wenn es zu Übergriffen kommt oder eine Situation zu eskalieren droht. Warum das dringend nötig ist und wie sich die Lage in den vergangenen Jahren zugespitzt hat, erklären die Mitglieder Johanna Scholz und Klemens Köhler im Gespräch mit t-online.

t-online: Herr Köhler, wie beurteilen Sie, dass Deutschland im Pressefreiheitsranking abgerutscht ist?

Klemens Köhler: Es ist frustrierend, dass da nichts passiert ist, obwohl Deutschland schon im vergangenen Jahr massiv abgesackt ist. Die Sicherheitslage für Journalistinnen und Journalisten hat sich seitdem aus unserer Sicht kaum verändert. Gleichzeitig haben andere Länder es offensichtlich geschafft, die Lage der Pressefreiheit zu verbessern.

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Woran machen Sie fest, dass es in Deutschland nicht so ist?

Manche Journalisten schrecken inzwischen davor zurück, von Demos zu berichten. Sie trauen sich nicht mehr. Das führt zu Löchern in der Berichterstattung. Schon bei Pegida-Versammlungen vor acht Jahren gab es in Richtung von Medienschaffenden Rufe wie "Lügenpresse". Presseteams wurden bedrängt, oftmals wurde das Handy aus der Hand geschlagen.

Und jetzt ist es noch schlimmer geworden?

Ja. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation zugespitzt: Die Hemmschwelle für heftige körperliche Gewalt ist inzwischen deutlich geringer. Die Menschen pushen sich gegenseitig hoch: Der eine fängt an zu pöbeln und auf einmal machen Dutzende andere mit. Sie wissen ganz genau, wie sie die Presseleute in ihrer Arbeit behindern können und der aggressive Umgang ist normal geworden. Es geht nicht mehr nur um knallharte Rechtsextremisten, sondern um "normale" Demoteilnehmende. Deshalb haben wir vor zwei Jahren unsere Initiative gegründet.

Frau Scholz, welche Erfahrungen machen Sie als Begleitschutz bei Demos?

Johanna Scholz: Tausende Menschen in Deutschland haben das "Feindbild Presse" verinnerlicht. Sie fühlen sich übergangen oder nicht gehört. Das ist ein großes Problem. Wir erleben keinen Einsatz, wo wir nicht bekämpft werden, wo es nicht in irgendeiner Form zu Bemerkungen kommt gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Es gibt immer wieder heftige körperliche Angriffe. Unabhängig vom Anlass ist das in den meisten Fällen noch auf Corona-Maßnahmen bezogen, zum Beispiel wenn jemand Maske trägt oder Abstand halten will. Es hat eine Radikalisierung stattgefunden, im Zusammenhang mit den damaligen Einschränkungen. Das ist ein bundesweites Problem.

In Sachsen, wo Sie agieren, sind die Corona-Regeln auf besonders heftigen Widerstand gestoßen.

Sachsen ist in dem aktuellen RSF-Bericht trauriger Spitzenreiter in Deutschland. Während der Corona-Pandemie gab es dort zwischenzeitlich ein Demonstrationsverbot – doch zu diesem Zeitpunkt stellten sich etliche Tausend Menschen gegen die Maßnahmen und wollten verdeutlichen: "Wir machen da nicht mit." Entsprechend fiel die Hemmschwelle für Gewalt. Vorher waren es vorwiegend organisierte Gruppen von Neonazis, die Journalistinnen und Journalisten angegriffen haben. Inzwischen ist jeder Demoteilnehmer ein potenzieller Angreifer – ob jung, alt, männlich, weiblich.

Werden bestimmte Journalistinnen und Journalisten vermehrt Ziel von Angriffen?

Klemens Köhler: Wir begleiten regelmäßig eine Journalistin, die nur noch selten ohne uns zu Demos geht – weil sie bekannt ist und im Fokus steht. Sie sagt völlig zu Recht, dass die Kolleginnen und Kollegen in ihrer Nähe in Ruhe arbeiten können, wenn sie von einer Demo berichtet – weil die Teilnehmenden sich verbal und auch manchmal körperlich sofort auf sie stürzen.

Und das geht vielen Medienschaffenden so: Wenn sie vor Ort sind und Demoteilnehmende sie erkennen, greifen sie sie an. Wer das erste Opfer wird, ist alles andere als wahllos. Vor Demonstrationen gehen Namen von Journalisten in Telegramgruppen herum. Zudem werden jüngere Menschen und Frauen öfter attackiert, aber auch Journalisten, deren Aussehen den Angreifern nicht passt.

Gibt es auch rassistische Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten?

Bundesweit ja, in Sachsen eigentlich kaum. Aber das hat keinen positiven Grund: Viele Journalisten mit Migrationshintergrund oder People of Colour trauen sich gar nicht erst zu den Demos. Es ist zu gefährlich für sie.

Wie ist es zu dieser Radikalisierung gekommen?

In den Kreisen, in denen große Gewaltbereitschaft herrscht, informieren sich viele Menschen über alternative Medien. Dort gibt es ein permanentes Trommelfeuer, was bestimmte Feindbilder angeht. Wenn eine Journalistin in Telegramgruppen ständig beschimpft wird und eine Person liest das fünf- oder zehnmal am Tag, ist die Gewalthemmschwelle bei einem Aufeinandertreffen für sie womöglich viel niedriger. Eine große Rolle spielen zudem Verschwörungsideologien. Die besagten Menschen denken bei allen Informationen: "Irgendjemand will uns belügen." Sie glauben nichts mehr, außer das, was ihnen von Bekannten in Telegramgruppen zugetragen wird.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Auf einer Demo haben Teilnehmende die Journalisten und unsere Personenschützer gewaltsam weggetrieben. Auf Telegram hieß es später, es sei umgekehrt gewesen. Es werden abstruse Informationen verbreitet.

Wie genau schützen Sie Journalisten?

Johanna Scholz: Es geht vor allem darum, dass wir nicht noch mehr Hass auf die Journalisten ziehen. Auch wenn wir anwesend sind, kann es zu Übergriffen kommen – aber schon allein unsere Präsenz schreckt viele potenzielle Angreifer ab. Und wenn es zu einem Zwischenfall kommt, gehen wir sofort dazwischen. Das bringt den Journalisten mehr Freiheit und Sicherheit: Sie können ohne Bedenken durch ihr Kameraobjektiv schauen, weil sie wissen, wir haben für sie die Lage im Blick. Manche Journalisten würden die Veranstaltung ohne uns sonst gar nicht besuchen. Das heißt: Die Gewalt schränkt die Pressefreiheit ein.

Sind die Mitglieder Ihrer Initiative für die Demonstrationen besonders geschult?

Die meisten haben viel Erfahrung mit Demos und Großveranstaltungen, sie wissen, was dort passieren kann. Wir hatten von Anfang an ein Handbuch für unsere Arbeit. Bis Dezember 2021 waren unsere Einsätze relativ gefahrlos. Wir haben krasse körperliche Gewalt nicht regelmäßig erlebt. Neue Ehrenämtler haben wir einfach direkt mit zu Demos genommen, damit sie ihre Erfahrungen sammeln können. Das geht heute so nicht mehr: Nun bieten wir für Begleiter interne Workshops an, weil wir bei keiner Versammlung mehr sicher sein können, dass wir nicht aggressiv angegriffen werden.

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Arbeiten Sie auch mit der Polizei zusammen?

Klemens Köhler: Wir pflegen Kontakt zur Polizei Sachsen. Sie sieht uns als sinnvolle Schutzmaßnahme. Inzwischen kennt man uns und weiß, dass wir keinen Stress machen. Trotzdem müssen wir im ständigen Dialog stehen, um die Zusammenarbeit bei Einsätzen zu verbessern. Wenn es zu einem Angriff kommt, obwohl wir und die Polizei vor Ort sind, sollten wir das gemeinsam aufarbeiten.

Wir füllen eine Lücke zwischen Journalisten und Polizeibeamten – denn viele Pressevertreter berichten ja auch kritisch über die Einsätze und wollen nicht in einer Traube von Polizisten durch die Demo laufen. Sonst wird die Berichterstattung beeinflusst.

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Was erwarten Sie vom Staat?

Der Staat muss die Strafverfolgung erheblich verbessern. Oftmals bringen angegriffene Journalisten oder Personenschützer die Vorfälle nicht zur Anzeige, weil sie die Konsequenzen fürchten, wenn der Name in der Akte landet. Das birgt enorme Gefahren für Betroffene und Zeugen. Die Polizei muss sie besser schützen. Nur in spektakulären Ausnahmefällen leitet der Staat von selbst ein Verfahren ein. Dabei gibt es von den meisten Veranstaltungen viel Videomaterial, um die Situationen nachvollziehen zu können.

Gerade ist der Stand, dass etwas nicht passiert ist, wenn es nicht gemeldet wurde und somit nicht in polizeiliche Statistiken mit einfließt. Wenn die Polizei gegen die Radikalisierung vorgehen will, wären außerdem feste Ansprechpartner für Journalisten sinnvoll – doch die gibt es nicht in allen Bundesländern.

Worin bestehen weitere Probleme?

Johanna Scholz: Die Straftaten werden oftmals zu lasch eingeordnet. Bei einer Demo, bei der wir aktiv waren, kam es zu Tritten, Demonstrierende beschädigten die Ausrüstung eines Journalisten. Dabei riefen sie: "Wenn ich dich kriege, bist du tot!" Trotzdem stufte die Staatsanwaltschaft den Fall als Nötigung und nicht als Körperverletzung ein.

Zudem sollten Polizeibeamte mehr Schulungen zum Thema Medienrecht erhalten. Es kommt immer noch vor, dass Polizisten den Berichterstattenden vorwerfen, dass sie sie auf einer Demo filmen. Das macht es unnötig anstrengend für die Journalisten und uns, weil wir die gesetzlichen Linien erst mal aufzeigen müssen und dann auch nicht sicher sein können, dass Polizisten, die sie nicht kennen, sie auch verteidigen. Dann fühlt man sich nicht gut geschützt.

Frau Scholz und Herr Köhler, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Klemens Köhler am 3. Mai 2023
  • reporter-ohne-grenzen.de: "Nahaufnahme Deutschland: Pressefreiheit im Überblick"
  • twitter.com: Profil von @BTL_DE
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