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Anschlag auf deutsche Botschaft: Abschiebestopp nach Afghanistan?


Nach Anschlag in Kabul
Merkel will weiter kriminelle Afghanen abschieben

Von dpa, df

Aktualisiert am 01.06.2017Lesedauer: 3 Min.
Müssen Abschiebungen nach Afghanistan aufhören?Vergrößern des BildesNach dem Anschlag in Kabul: Soldaten und sichern die Straße vor der zerstörten deutschen Botschaft. (Quelle: Rahmat Gul/ap-bilder)
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Dutzende Tote, mehr als 400 Verletzte, eine massiv beschädigte deutsche Botschaft - und eine Stadt in Angst. In Deutschland sprechen sich nach dem Blutbad in Kabul immer mehr Politiker für einen Abschiebestopp nach Afghanistan aus. Kanzlerin Angela Merkel hält vorerst dagegen.

Merkel stellte am Donnerstag klar, dass sie trotz der verschärften Sicherheitslage weiter Menschen nach Afghanistan abschieben lassen will. Sie betonte aber, der Kabuler Anschlag sei "noch einmal Anlass, genau hinzuschauen, die Sicherheitslage immer wieder richtig zu analysieren (...), Provinz für Provinz". Das mache das Außenamt. Es gehe auch darum, sich bei Abschiebungen auf Flüchtlinge zu konzentrieren, die kriminelle Taten begangen hätten. "Das ist für mich die Lehre aus dem gestrigen Tag."

Politiker von SPD und Grünen sowie Menschenrechtsgruppen verlangten indes, keine Afghanen mehr in ihr Heimatland zurückzuschicken. Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz fordert eine Aussetzung der Abschiebungen. Er sprach sich am Donnerstag beim WDR-Europaforum dafür aus, die Einschätzung der Sicherheitslage in dem Land angesichts der jüngsten Ereignisse zu überarbeiten. Bis zum Ergebnis dieser Prüfung sollte erst einmal nicht mehr abgeschoben werden. Er persönlich halte aktuell Abschiebungen für "kein vertretbares Instrument". "Ich selbst bin der Meinung, dass erst einmal keine Kinder und Frauen nach Afghanistan abgeschoben werden dürfen", sagte Schulz. Doch auch insgesamt sollte dieses Instrument "im Lichte der Ereignisse des gestrigen Tages" nicht genutzt werden. Nach der Prüfung der Sicherheitslage sollte man dann entscheiden, wie man weiter verfahre.

In Nürnberg kam es am Mittwoch zu Tumulten, als rund 300 Menschen versuchten, die Abschiebung eines 20-jährigen Afghanen zu verhindern. Neun Polizisten wurden verletzt, fünf Menschen vorübergehend festgenommen.

Verschobener Abschiebeflug soll stattfinden

Wegen des Anschlags mit mindestens 90 Toten und Hunderten Verletzten verschob die Bundesregierung einen für Mittwoch geplanten Abschiebeflug nach Afghanistan. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will aber weiter abgelehnte Asylbewerber zurückschicken.

Er sagte, angesichts des Anschlags hätten die Mitarbeiter der Botschaft in Kabul derzeit Wichtigeres zu tun als sich mit Abschiebungen zu beschäftigen. "Deshalb habe ich entschieden, diesen Flug abzusagen. Er wird aber bald möglichst nachgeholt."

Hermann: Abschiebungen "immer noch zumutbar"

Der stellvertretende Chef der Unions-Fraktion im Bundestag, Stephan Harbarth, sagte der "Rheinischen Post": "Es gibt Provinzen und Distrikte, in denen die Lage vergleichsweise sicher und stabil ist." Auch SPD-Innenexperte Burkhard Lischka sprach von "relativ sicheren" Gegenden in Afghanistan. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, Abschiebungen nach Afghanistan seien "immer noch zumutbar".

Zweifel daran äußerte Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD). "Der grausame Anschlag in Kabul macht es aus meiner Sicht zwingend, dass die Bundesregierung ihre Sicherheitseinschätzung überprüft", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Ähnlich äußerte sich Bundesratspräsidentin Malu Dreyer (SPD).

Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sprach sich für einen zumindest zeitweisen Abschiebestopp aus. "Im Augenblick sind Abschiebungen nach Afghanistan nicht zu verantworten. In diesem Land können die Menschen nirgendwo sicher leben", sagte er der "Passauer Neuen Presse".

Grüne: Regierung handelt zynisch

Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour warf der Bundesregierung Schönfärberei vor. "Der schlimmste Anschlag seit dem Fall der Taliban zeigt die Dramatik der Sicherheitslage in Afghanistan", sagte er der "Heilbronner Stimme". "Es ist nur noch zynisch, wenn die Bundesregierung ihre für Abschiebungen geschönte Einschätzung der Sicherheitslage nicht endlich korrigiert." Pro Asyl forderte einen kompletten Stopp von Abschiebungen nach Afghanistan und eine Freilassung möglicher Abschiebehäftlinge aus dem Land.

Unklar war, ob der Anschlag der deutschen Botschaft galt. "Im Moment haben wir dazu noch kein vollständiges Lagebild", sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes. In dem Viertel liegen in unmittelbarer Nähe noch andere Botschaften, der Präsidentenpalast, das Nato-Hauptquartier und viele afghanische Ministerien.

Schwere Schäden an Botschaft

Bei dem massiven Anschlag mit einer Lastwagenbombe gab es nach Angaben des afghanischen Gesundheitsministeriums neben den vielen Todesopfern auch rund 460 Verletzte. Laut einer Sprecherin des Auswärtigen Amtes wurden eine deutsche Diplomatin leicht und eine afghanische Mitarbeiterin der Botschaft schwer verletzt. Ein afghanischer Wächter wurde getötet. Das Hauptgebäude der Botschaft wurde massiv beschädigt.

Unklar war zunächst, wer hinter der Tat steckt. Die radikalislamischen Taliban ließen verlauten, sie seien es nicht gewesen. Ähnliche Anschläge hatte zuletzt die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) für sich reklamiert. Aber auch auf den üblichen IS-Kanälen gab es kein Bekenntnis.

Die Bombe war am Mittwochmorgen gegen 8.30 Uhr (Ortszeit) an einer vielbefahrenen, engen Straße explodiert. Viele Menschen waren dort gerade auf dem Weg zur Arbeit. Innenministeriums-Sprecher Nadschib Danisch sagte, die Attentäter hätten den Sprengstoff in einem Tanklastwagen versteckt. Die Wucht der Explosion habe mindestens 50 Fahrzeuge zerstört. Bilder zeigten ausgebrannte Autowracks, versengte Bäume, mit Geröll übersäten Asphalt und einen mehrere Meter tiefen Krater nahe der deutschen Botschaft.

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