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Urteil: Gefährder dürfen ''nicht auf Nachsicht hoffen''


Wegweisendes Urteil
Gericht erleichtert Abschiebung von Gefährdern

dpa, afp, Michael Evers

Aktualisiert am 23.08.2017Lesedauer: 4 Min.
In Deutschland geborene Gefährder mit ausländischem Pass dürfen abgeschoben werden, wenn von ihnen eine Terrorgefahr ausgeht, so das Bundesverwaltungsgericht.Vergrößern des BildesIn Deutschland geborene Gefährder mit ausländischem Pass dürfen abgeschoben werden, wenn von ihnen eine Terrorgefahr ausgeht, so das Bundesverwaltungsgericht. (Quelle: Sebastian Willnow/dpa-bilder)
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Das Bundesverwaltungsgericht hat die Abschiebung zweier Terrorverdächtiger als rechtmäßig eingestuft. Die Klage der vom niedersächsischen Landeskriminalamt als salafistische Gefährder eingestuften Männer gegen eine Abschiebungsanordnung wiesen die Richter am Dienstag in Leipzig ab.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann wertete die Entscheidung als Bestätigung für die Linie des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius (SPD). "Wer terroristische Anschläge plant, darf nicht auf Nachsicht hoffen, sondern muss mit Verhaftung, Ausweisung und Abschiebung rechnen." Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth bezeichnete die Urteile als wichtiges Signal: "Diese machen ganz deutlich, dass für Gefährder in unserer Gesellschaft kein Platz ist."

Die 27 und 22 Jahre alten Männer aus Algerien und Nigeria waren vor sechs Monaten bei einer Razzia in Göttingen festgenommen worden. Von den Sicherheitsbehörden in Niedersachsen waren sie als islamistische Gefährder eingestuft und zunächst längere Zeit beobachtet worden. Die Polizei entschloss sich zum Zugriff, weil sie Anzeichen für einen womöglich unmittelbar bevorstehenden Anschlag sah.

Für ein Strafverfahren reichten die Beweise der zuständigen Staatsanwaltschaft allerdings nicht. Daher machte Niedersachsen von einer 2005 ins Aufenthaltsgesetz eingefügten Vorschrift Gebrauch, wonach die Länder die Abschiebung eines Ausländers anordnen können, um terroristischen oder anderen Sicherheitsgefahren vorzubeugen. Das Bundesverfassungsgericht bewertete diese Vorschrift erst kürzlich als verfassungsgemäß.

Menschenrechtskonforme Behandlung

In den nun entschiedenen Fällen hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits im März im Eilverfahren die Abschiebung gebilligt - im Fall des Algeriers unter der Voraussetzung, dass das Land eine menschenrechtskonforme Behandlung zusichert. Niedersachsen schob daraufhin den Nigerianer Anfang April und nach Eingang entsprechender Zusagen den Algerier im Juli ab.

Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte nun auch im Hauptverfahren, dass dies rechtmäßig war. Beiden Männern habe keine unmenschliche Behandlung gedroht. Dies habe sich nun auch rückblickend bestätigt. Ob ein vom Innenministerium in Hannover verhängtes unbefristetes Wiedereinreiseverbot rechtmäßig ist, soll nun noch das Verwaltungsgericht Göttingen prüfen.

Eine Frage der Inneren Sicherheit

Angesichts von Terrordrohungen und Anschlägen steht das Thema Innere Sicherheit im Bundestagswahlkampf hoch im Kurs. Abseits einfacher Slogans erweist sich der Umgang mit Gefährdern, denen die Polizei jederzeit einen Terrorakt zutraut, in der Praxis aber zäher als gedacht.

Die nun erfolgte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Bestätigung für Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, der im Team von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz für die Innere Sicherheit zuständig ist. Nach der angeordneten Abschiebung der beiden besagten Islamisten drohte er weiteren Gefährdern im Frühjahr bereits "jederzeit mit der vollen Härte der uns zur Verfügung stehenden Mittel".

Kein Allheilmittel

Trotz der Bestätigung der Leipziger Richter aber sind Abschiebungen kein Allheilmittel im Kampf gegen gefährliche Islamisten, die nicht wegen einer konkreten Straftat hinter Gitter geschickt werden können. Denn sie kommen nur bei einem kleineren Teil der bundesweit knapp 700 Gefährder in Betracht. Wer Deutscher ist oder die deutsche Staatsangehörigkeit neben einer ausländischen besitzt, ist vor Abschiebung geschützt.

Dazu kommt, dass das Aufenthaltsgesetz unter Paragraf 58a klare Voraussetzungen für eine Abschiebung formuliert. Diese ist möglich "auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr (...)". Ein vager Verdacht oder ein Bauchgefühl alleine reicht also nicht. Die entsprechende Möglichkeit war nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 geschaffen worden. Niedersachsen nutzte sie als erstes Land und betrat damit bundesweit Neuland.

Wenig internationale Kooperation

Große Nachahmung hat der harte niedersächsische Schritt gegen die in Göttingen geborenen Gefährder bislang nicht gefunden. Möglicherweise auch, weil das Leipziger Gericht im Fall des Algeriers in seinem Eilentscheid die Abschiebung von der Zusicherung der algerischen Regierung abhängig machte, dass dem Betroffenen keine Folter oder unmenschliche Behandlung droht. Etliche Monate verstrichen, bis eine solche Zusage aus Algerien in Hannover eintraf. Andere Zielländer von Abschiebungen mit schwieriger Menschenrechtslage dürften kaum kooperativer und schneller reagieren.

Ein langes juristisches Hickhack gibt es auch um den terrorverdächtigen Tunesier Haikel S. Das Verwaltungsgericht Frankfurt hatte die Abschiebung mit dem Hinweis untersagt, dass dem Mann in seiner Heimat die Todesstrafe drohe. Nun müssen auch hier die Leipziger Richter entscheiden. Im Fall eines Bremer Gefährders wurde die Abschiebung Anfang August auf dem Weg zum Flughafen gestoppt: Der 18-Jährige hatte als letzte Möglichkeit Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt, bis zu einer Entscheidung dauert es.

Wohnungsdurchsuchung blieb ergebnislos

Um Gefährder zumindest an der Ausreise in die Kampfgebiete der Terrormiliz Islamischer Staat zu hindern, können deutsche Behörden auch die Reisepässe der Betroffenen einkassieren. Auch hier gibt es aber rechtliche und praktische Probleme, wie sich kürzlich am Verwaltungsgericht Hannover zeigte. Zwar gaben die Richter der Stadt Hildesheim Recht, die eine Gefährderin zur Abgabe ihres libanesischen Reisepasses aufgefordert hatte. "Meinen Pass kriegt ihr nicht", schleuderte die Frau aber Polizisten entgegen, als diese das Dokument abholen wollten, eine Wohnungsdurchsuchung blieb ergebnislos.

Erfolg versprechen sich die Behörden auch von einem Verbot der Rekrutierungsorte der radikalen Islamisten, denn dort werden junge Menschen radikalisiert und Gefährder herangezüchtet. Im März verbot das niedersächsische Innenministerium den Deutschsprachigen Islamkreis Hildesheim. Die beschlagnahmte Moschee will das Land verkaufen. Wenige Wochen zuvor war in Berlin der umstrittene Moschee-Verein Fussilet 33 verboten worden, in dem auch Attentäter Anis Amri häufig verkehrte.

Gesichtserkennung gegen Terror?

Noch etwas futuristisch mutet unterdessen ein Test im Berliner Bahnhof Südkreuz mit einer automatischen Gesichtserkennung an. Erprobt wird seit Anfang August, ob an eine Computer-Software gekoppelte Überwachungskameras Gesichter von Menschen wiedererkennen können. Die Sicherheitsbehörden begründen ihr Vorhaben auch damit, dass mögliche Gefährder vor einem Anschlag erkannt und die Tat vereitelt werden könnte. "Unsere öffentlichen Plätze müssen sicher sein", argumentierte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Juristen aber haben rechtliche Zweifel an dem Projekt.

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