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Hochzeitskorsos – eine Kolumne von Lamya Kaddor


Hochzeitsautokorsos
Die Politik kann und darf solchen Irrsinn nicht dulden

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

03.05.2019Lesedauer: 4 Min.
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Eine türkische Autokolonne in Berlin (Symbolbild): Immer wieder muss die Polizei bei Autokorsos eingreifen.Vergrößern des Bildes
Eine türkische Autokolonne in Berlin (Symbolbild): Immer wieder muss die Polizei bei Autokorsos eingreifen. (Quelle: imago-images-bilder)

Ganze Autobahnen werden von Hochzeitsgesellschaften blockiert – lebensgefährliche Situationen entstehen anlässlich freudiger Ereignisse. Doch die öffentliche Aufmerksamkeit verschärft das Problem weiter.

Kaum ein Wochenende vergeht seit Neuestem, an dem man nichts über Autokorsos lesen kann, die von der Polizei gestoppt werden – wegen teils irrer, teils gemeingefährlicher Manöver. Da werden Schreckschusspistolen abgefeuert, rote Ampeln missachtet, Kreuzungen und sogar Autobahnen blockiert. Solche Dinge müssen geahndet und bestraft werden. Das hat mit Freude und Feiern nichts mehr zu tun. Mit solchen Aktionen gefährdet man sich und Unbeteiligte.

Die bunten Korsos gab es schon immer

Nur wo kommen diese Phänomene auf einmal her? Was ist da los? Autokorsos gab es schon immer. In südlicheren Ländern häufiger als in nördlicheren. Manchmal anlässlich von Siegen der Fußballnationalmannschaft, manchmal nach Wahlerfolgen, und besonders gerne bei Hochzeiten. Ob in Metropolen oder in einer mittelgroßen Stadt wie Ahlen in Westfalen, wo ich aufgewachsen bin.

Ahlen hatte bereits früh Gastarbeiter für den Bergbau angeworben. Sie zogen in die Bergarbeiterviertel mit den typischen Bergmannshäusern und den vielen verspielten Rundbögen und Kohleöfen im Haus. Es entstand ein Viertel, das man in der "Kanak-Sprak" liebevoll "Kolonie" nannte, und ein anderes das schlicht die "Siedlung" hieß. Jedes Wochenende wurden und werden dort Hochzeiten von Deutschen mit türkischem, arabischem, bosnischem, italienischem, spanischem Migrationshintergrund ausgelassen und lautstark gefeiert.

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In verschiedenen Kulturen der Erde, ob in Österreich, Italien, der Türkei, in Syrien, Indien oder anderswo, gehört es dazu, dass der Bräutigam und sein Gefolge die Braut von zu Hause abholt. Vor dem Haus ihrer Eltern fängt der Brauch zum Beispiel mit musikalischer Begleitung durch Trommeln, Trompeten oder anderen Instrumenten an. Es wird gesungen, getanzt. Bei Arabern stoßen Frauen schrille Laute der Freude aus. Dem Bräutigam werden kleinere Streiche gespielt, damit man die Braut noch nicht sofort rausrücken muss.

Das endet dann in feierlichem Getöse und setzt sich mit einem Autokorso hupend in Richtung Hochzeitssaal fort. Um das Geleit als solches zu erkennen, werden gleichfarbige Bändchen an den Autotüren befestigt. Die Maxime dabei: Je lauter die Musik, je länger der Autokorso, um so mehr Freude kommt auf. So sieht es seit Jahrzehnten in vielen Orten Deutschlands fast an jedem Wochenende aus.

Etwas hat sich am Brauch verändert

Bis vor Kurzem hat kaum jemand Anstoß daran genommen. In der eigenen Nachbarschaft wird ja auch nicht jedes Wochenende geheiratet und die sommerlichen Gartenpartys der Nachbarn sind im Vergleich dazu länger, lauter, nerviger. Auch im Straßenverkehr hat man sich daran gewöhnt, dass Autokorsos mitunter hupend durch die Straßen fahren. In der Regel nehmen alle anderen Verkehrsteilnehmer darauf Rücksicht und warten, bis das Geleit vorbeigezogen ist. Schließlich will niemand dazwischengeraten, wenn er nur schnell von A nach B fahren will.

Und wenn so ein Autokorso die Autobahn benutzen muss, beschränkte sich das meist auf den rechten Fahrbahnstreifen, wo 20, 30 manchmal 50 Autos hinter dem Brautpaar eine Kolonne bildeten bei Tempo 120, viel schneller kann ein Brautwagen mit Blumengesteck auf der Motorhaube sowieso nicht fahren.

Doch in jüngster Zeit scheint der gesittete Brauch zunehmend zu entgleisen. Da heißt es, Autokorsos beanspruchten gleich alle drei Fahrbahnspuren auf der Autobahn für sich und behinderten so den gesamten Verkehr. Lebensgefährlich wird es, wenn der Autokorso, wie in jüngster Zeit geschehen, auch noch auf den Fahrstreifen stehen bleibt. Ein erhöhtes Adrenalin ist dem Hochzeitsgeleit bei solchen Aktionen sicher. Allerdings erhöhen sie nicht nur ihre eigene Adrenalinausschüttung, sondern auch derer, die von hinten mit über 130, 150 oder 200 km/h angerast kommen.

Diese neuen Entwicklungen haben vermutlich mit einem irren Wettbewerb in Zeiten des Internets zu tun. Noch mehr "posen". Noch krassere Aktionen. Noch außergewöhnlichere Fotos schießen, als man sie von anderen in Social Media gesehen hat. Die Sozialen Medien schreien nach spektakulären Aufnahmen, Motiven und Situationen. Das ist wie so manch anderes Verhalten in der schönen neuen Medienwelt unverantwortlich. Eine weitere Erklärung dürfte sein, dass die derzeitige öffentliche Aufmerksamkeit für solche entglittenen Autokorsos andere auf die Idee bringt, irgendwelche verrückten Aktionen zu starten.

Für die Behörden und für eine seriöse Politik ist es nicht einfach, darauf zu reagieren. Sie kann und darf solchen Irrsinn nicht dulden; zumal schon Autokorsos mit Hupen und Warnblinklichtern an sich in Deutschland nicht erlaubt oder in einer rechtlichen Grauzone sind. Zugleich muss sie aber aufpassen, mit ihren Herangehensweisen den Rassisten nicht in die Hände zu spielen.


Es wird zumeist von türkisch- oder arabischstämmigen Hochzeitsgesellschaften berichtet, die aus dem Ruder laufen, und bekanntlich warten viele Zeitgenossen nur auf neue Gelegenheiten, um weiter Stimmung gegen diese Minderheiten zu machen. Wenn der NRW-Innenminister Herbert Reul ein hartes Vorgehen ankündigt, ist das in der Sache gut. Er sollte seine Worte jedoch mit Bedacht wählen, um nicht das Klischee der "unzivilisierten Migranten", die sich angeblich nicht an die "deutsche Hausordnung" halten wollen, zu nähren. Eine solche kulturalistische Aufladung der Problematik wird es nicht erleichtern, die Auswüchse wieder einzudämmen.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Sie ist Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB e.V.). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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