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Gewalt gegen Frauen unter Muslimen: Eine Gefährliche Ignoranz


Gewalt gegen Frauen unter Muslimen
Wie wir mit "widerspenstigen Ehefrauen" umgehen sollten

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 09.08.2019Lesedauer: 4 Min.
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Muslimische Pilger in Mekka: Wer Vers 4:34 heute interpretiert, muss klarstellen, dass Frauen nicht geschlagen werden dürfen.Vergrößern des Bildes
Muslimische Pilger in Mekka: Wer Vers 4:34 heute interpretiert, muss klarstellen, dass Frauen nicht geschlagen werden dürfen. (Quelle: imago-images-bilder)

Ein Münchner Islam-Zentrum hält an einem umstrittenen Koranvers fest: Ein muslimischer Mann darf seine Frau schlagen. Dahinter steckt ein grundsätzliches Problem, sagt Lamya Kaddor.

Das Islamische Zentrum München (IZM) sorgt bundesweit für Schlagzeilen. Auf der Website der Organisation ist zu lesen: "Der Koranvers macht deutlich, dass im Falle einer in größeren Schwierigkeiten steckenden Ehe der Ehemann diese drei Schritte auf jeden Fall einhalten muss: Ermahnung, Trennung im Ehebett und Schlagen." Das kann Fachleute nicht wirklich überraschen. Es sind nicht die einzigen Muslime in Deutschland, die so eine Haltung vertreten. Weil der Bayerische Rundfunk (BR) den Münchner Fall jedoch zum Thema gemacht hat, redet nun das ganze Land darüber.

Warum ändert das IZM die Passage auf der Website nicht?

Seit Jahren steht dieses Plazet für Ehemänner zum Züchtigen ihrer "widerspenstigen" Ehefrau(en) nun auf der Seite des IZM. Selbstverständlich umrahmt von verbalem Rumgeeiere, weil man dort schon ahnt, dass das Schlagen von Frauen hierzulande nicht so gut ankommen dürfte wie, sagen wir mal, in Saudi-Arabien.

Vor Monaten sollen die Verantwortlichen in München dem BR auf Anfrage gesagt haben, man werde die Internetseite mit dieser Passage überarbeiten. Bis heute ist das nicht geschehen aus fadenscheinigen Gründen wie Krankheit, Urlaub und "anderen Umständen". Im Grunde will man da nämlich gar nichts ändern – jedenfalls nicht so schnell.

Dahinter steckt eine gefährliche Ignoranz. Sie zeigt, dass viele Muslime bis heute nicht bereit sind, die Aussagen des Korans im Licht der Gegenwart zu spiegeln. Schlimm ist ferner, dass jenseits des IZM diverse Musliminnen und Muslime die Aufregung um die Sache nicht verstehen: Schließlich geht es doch um das Verb "daraba" in Vers 34 aus Sure 4. Und dieses arabische Wort wird bis heute nun mal in der Regel von den meisten als "schlagen" verstanden.

Frauenfeindlich? Nein, eher konservativ und geistig träge

Das ist korrekt. Allerdings steht das Wort in einem Text, der aus dem 7. Jahrhundert stammt und damit aus einer Zeit, in der gerade Seife entdeckt wird, Windmühlen erstmals in Gebrauch gehen und das "Griechische Feuer" bei Seeschlachten die neue Wunderwaffe, die neueste Entwicklung frühmittelalterlicher Rüstungsindustrie, ist: Brennende Flüssigkeit wird auf den Feind gespritzt. Eine Zeit also, in der das Thema Feminismus nicht gerade hoch im Kurs gestanden hat.

Inhaltlich offenbaren die Haltung des IZM und das mangelnde Problembewusstsein mancher Muslime, gepusht und inspiriert vom antiquierten und männlich dominierten Islambild ausländischer Gelehrter, nicht unbedingt Frauenfeindlichkeit, sondern einen Konservatismus gepaart mit geistiger Trägheit.

Er führt zu Stagnation und Gleichgültigkeit in der Gemeinschaft und leistet der Gewalt gegen Frauen Vorschub. Der BR zitiert die Mitarbeiterin einer Anlaufstelle für misshandelte Frauen, die nicht genannt werden will. Sie berichtet von einer Muslimin, deren Ehemann häusliche Gewalt als legitim angesehen habe, weil seine Gemeinde diese für rechtens gehalten habe. Große Zweifel erzeugen solche Schilderungen in mir nicht.

Wer den Vers darlegt, muss klarstellen: Frauen werden nicht geschlagen

Der Koran ist wie jede andere Heilige Schrift eine Art dynamischer Text. Schon der islamische Philosoph Muhammad Iqbal empfahl, den Koran so zu lesen, als werde er genau in diesem Moment und für diesen Leser offenbart. Man muss und kann den Koran nur zeitgemäß verstehen.

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Im 7. Jahrhundert versteht man ihn wie im 7. Jahrhundert, im 11. Jahrhundert wie im 11., im 18. wie im 18., im 21. wie im 21. Und im 25. Jahrhundert wird man ihn wie im 25. Jahrhundert verstehen müssen, sprich auf der jeweiligen Höhe des Wissenstandes der Menschheit. Alles andere geht in Richtung eines religiösen Fundamentalismus.

Heute gehört in eine Darlegung zu Vers 4:34 explizit die Aufforderung, "schlagen" in keinem Fall mehr wörtlich zu nehmen. Frauen werden in einer Ehe nicht geschlagen. Niemals. Zu keiner Zeit, sofern der Ehemann nicht in Notwehr gegen seine gewalttätige Frau handeln muss. Alles andere sind patriarchale Machtfantasien, wonach der Mann der Herr im Haus ist; selbstredend darf umgekehrt eine Frau ebenso wenig Gewalt gegen ihren Ehemann anwenden.

Dabei spielt es keine Rolle, ob "schlagen" wörtlich im Koran steht. Im Koran wird auch explizit empfohlen, in bestimmten Situationen Sklaven freizulassen. Wie bitte machen die selbsternannten Tugendwächter von heute das, da es doch keine Leibeigenen mehr gibt?

Wie Streit heute beigelegt wird, gehört auf die Seite eines Islam-Zentrums

Versuche, den Begriff "daraba" in Vers 4:34 symbolisch zu verstehen oder das Verb als "anstupsen" mit dem damals auf der arabischen Halbinsel verbreiteten Hölzchen zum Zähneputzen auszulegen, wie manche es tun, sind zwar redliche Ansätze, weil sie eine Brücke zwischen traditionellen Ansichten und feministischen Perspektiven bauen wollen. Letztlich führen sie allerdings zu ein und demselben klaren Ergebnis: Keine Gewalt in der Ehe.

Vers 4:34 kann im Lichte der Zeit nur noch so verstanden werden, dass er zu einer aktiven, prozesshaften Bemühung zur Beilegung von Ehestreitigkeiten auffordert – und zwar einzig und allein mit den Instrumenten der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Also Gespräch, Gestik, Mimik, Tonfall, Körpersprache, Annäherung und so weiter. Das und nichts anderes hat auf einer Seite eines Islamzentrums zu stehen.


Die mangelnde Entschlossenheit des IZM bei diesem Thema zeigt, wie wichtig der Einfluss kritischer, moderner reflektierender Musliminnen und Muslime ist. Sie sind das Korrektiv in der islamischen Gemeinschaft, das lautstark auf solche Ansichten einwirken muss.

Anmerkung der Redaktion: Das Islamische Zentrum München (IZM) hat mittlerweile reagiert und von seiner Website alle Informationen unter dem Navigationspunkt "Islam" entfernt.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und i. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

Verwendete Quellen
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