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SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Interview: "Das habe ich so nicht gesagt"


SPD-Fraktionschef Mützenich
"Das ist ein heftiger Einbruch"

  • Peter Schink
  • Johannes Bebermeier
InterviewVon Peter Schink, Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 12.06.2020Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Rolf Mützenich: Der SPD-Fraktionschef verteidigt im Gespräch das Konjunkturpaket und seinen Vorstoß zur atomaren Abrüstung.Vergrößern des Bildes
Rolf Mützenich: Der SPD-Fraktionschef verteidigt im Gespräch das Konjunkturpaket und seinen Vorstoß zur atomaren Abrüstung. (Quelle: Christian Spicker/imago-images-bilder)

Rolf Mützenich ist für die SPD zum wichtigen Strippenzieher geworden. Im Gespräch mit t-online.de spricht der Fraktionschef über Kritik am Konjunkturpaket, Atomwaffen – und eine mögliche Kanzlerkandidatur.

Rolf Mützenich, 60 Jahre alt, hat in den vergangenen Monaten noch mal richtig Karriere gemacht. Der langjährige SPD-Politiker hatte im Sommer 2019 vorübergehend den Fraktionsvorsitz übernommen, nachdem sich Andrea Nahles zurückgezogen hatte. Doch es lief so gut für ihn, dass er blieb. Seitdem muss er die 152 SPD-Abgeordneten im Bundestag zusammenhalten und zugleich mit dem Koalitionspartner Union verhandeln.

Das hat beim Konjunkturpaket besonders gut funktioniert, findet die SPD. Im Interview mit t-online.de spricht der SPD-Fraktionsvorsitzende über die Kritik an den Plänen, seine umstrittenen Vorstöße zu Atomwaffen – und einen möglichen nächsten Karriereschritt: die Kanzlerkandidatur.

Herr Mützenich, steht die SPD noch an der Seite der Arbeiter?

Wir stehen an der Seite aller Beschäftigten. Gerade für die Industrie ist das Konjunkturprogramm auch ein Zukunftsprogramm. Wir setzen uns dafür ein, Produktion in Deutschland zu halten und Arbeitsplätze zu sichern. Wir unterstützen die Industrie massiv, damit sie die Herausforderungen der Digitalisierung und der Klimakrise meistern kann.

Sigmar Gabriel glaubt, dass die SPD nach den Kohlearbeitern nun die Autobauer als Wähler verliert. Was hat Gabriel an der SPD-Politik nicht verstanden?

Wir haben ein großes Paket geschnürt, um die Konjunktur zu stützen. Mit dem Kurzarbeitergeld helfen wir Beschäftigten und Unternehmen durch die Krise zu kommen. Gleichzeitig schaffen wir mit der Senkung der Mehrwertsteuer und dem Kinderbonus Nachfrageimpulse. Neben dem Konjunkturpaket gibt es ein Zukunftspaket, von dem auch die Automobilindustrie profitiert. Über zusätzliche Forschungsförderung und den Ausbau der Ladeinfrastruktur schafft der Staat die Voraussetzungen, damit sich dieser entscheidende Industriezweig für die Zukunft aufstellen kann, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Aus den Gewerkschaften kam teils deutliche Kritik, besonders was die Automobilhilfen angeht. Worüber kann oder muss man mit der IG Metall noch mal reden?

Das Paket wird nicht aufgeschnürt, aber natürlich reden wir weiter mit allen Gewerkschaften, wie wir das auch vor der Entscheidung getan haben. Dabei gab es in einem Punkt eben mal eine unterschiedliche Position.

Ist es für die SPD mit Blick auf die Bundestagswahl nicht fatal, die Unterstützung der Gewerkschaften zu riskieren?

Davon kann keine Rede sein. Wir haben gemeinsame Wurzeln. Wir müssen in der Politik und als Volkspartei gleichwohl Entscheidungen treffen, die für das gesamte Land richtig sind. Gewerkschaftsführer haben diese Rollenteilung immer im gegenseitigen Interesse verstanden.

Kann die Automobilindustrie die Nachfrage nach E-Autos überhaupt bedienen, die das Paket stimulieren soll?

Langfristig wird sie das können. Wir schaffen als Staat die Voraussetzungen, um die Automobilindustrie als Leitindustrie Deutschlands zukunftsfest zu machen, indem wir technologischen Fortschritt und die notwendigen Rahmenbedingungen unterstützen.

Langfristig hilft das aber nicht für den kurzfristigen Konjunkturimpuls.

Einige Autobauer haben zu spät auf E-Mobilität gesetzt, das wissen die Beschäftigten auch. Die Politik kann nur Angebote machen und Anreize schaffen. Das haben wir jetzt erneut getan. Für den kurzfristigen Konjunkturimpuls haben wir die Mehrwertsteuer gesenkt. Drei Prozent sind bei einem Auto eine Menge. Die Autobauer sollten die Mehrwertsteuersenkung an die Verbraucher weitergeben und mit eigenen Prämien ergänzen. Die Branche hat in den vergangenen Jahren ja auch große Gewinne gemacht.

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Glauben Sie denn, dass die Mehrwertsteuersenkung auch in anderen Branchen wirklich beim Bürger ankommt? Oder ist es eher eine Krisenhilfe für die Unternehmen, weil sie die Differenz behalten?

Die Unternehmen sind klug genug, die Senkung der Mehrwertsteuer auch weiterzugeben. Gleichzeitig gibt es viele souveräne Konsumenten, die darauf bei ihrem Einkauf achten werden. Eine kritische Öffentlichkeit kann ebenso etwas bewirken.

Sie haben in Aussicht gestellt, dass die Mehrwertsteuer eventuell länger als bis zum Ende dieses Jahres gesenkt bleiben könnte. Machen solche Ankündigungen nicht den gewünschten kurzfristigen Kaufimpuls zunichte?

Das habe ich so nicht gesagt. Die Mehrwertsteuersenkung ist bis zum Ende des Jahres befristet. Wir beobachten bis dahin die Entwicklung der Pandemie und bewerten die konjunkturelle Lage. In Abhängigkeit davon sortieren wir unseren Instrumentenkasten.

Das heißt aber, Sie schließen eine längere Senkung weiterhin nicht aus?

Das Konjunkturpaket gilt und wird wie verabredet umgesetzt. Neuen Herausforderungen stellen wir uns, wenn sie vor uns liegen.

Der deutsche Export ist im April um 30 Prozent eingebrochen. Kann man das mit Kaufanreizen im Inland überhaupt wettmachen?

Das ist ein heftiger Einbruch, nicht nur eine Delle – und zwar weltweit. Aber Deutschland ist in besonderer Weise betroffen. Schon im letzten Jahr hat sich die Auslandsnachfrage abgeschwächt. Mit unserer Politik haben wir die Binnennachfrage gestärkt und das Wachstum gesichert. Dieser Kurs leitet uns auch jetzt. Eine kluge Tarifpolitik hat zusätzliche Effekte gebracht. Und auf europäischer Ebene sorgen wir mit dem Wiederaufbaufonds dafür, dass die Exportnachfrage zumindest in unseren Nachbarländern auch wieder steigen wird.

Die SPD hatte sich dafür eingesetzt, die Kommunen nicht nur stärker finanziell zu unterstützen, sondern auch die Altschulden zu übernehmen. Das ist nun nicht Teil des Pakets. Wie sehr schmerzt Sie und die Kommunen das?

Wir mussten uns in den Beratungen entscheiden: Entweder Altschuldenübernahme oder kurzfristige Hilfe für die Kommunen, indem wir dauerhaft einen Großteil der Kosten für die Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern übernehmen. Diese Kosten belasten Kommunen gerade in Ballungsgebieten. Damit konnte sich die SPD in den Koalitionsverhandlungen bislang nicht durchsetzen, jetzt kommt sie. Die Entlastung ist mit 4 Milliarden Euro pro Jahr sehr groß und noch mehr Städte und Gemeinden profitieren davon.

Und die Übernahme der Altschulden?

Dafür werden wir uns weiter einsetzen, Finanzminister Olaf Scholz hat ein überzeugendes Konzept für eine Unterstützung durch den Bund vorgelegt. Jetzt sind die Länder wieder stärker gefordert. Die Ministerpräsidenten von CDU und CSU haben auf Bundesebene diese Lösung nicht ausreichend unterstützt. In den anstehenden Wahlen auf kommunaler und Landesebene werden wir die Altschuldenfrage deutlich herausstellen.

Viele Unternehmen haben in der Krise die verbesserten Regelungen für das Kurzarbeitergeld genutzt. Müssen die auch 2021 noch gelten?

Die SPD will die Regelungen zum Kurzarbeitergeld verlängern. Wir haben uns mit der Union darauf verständigt, spätestens im September eine Entscheidung zu treffen.

Die SPD freut sich diesmal auffällig geschlossen über das Konjunkturpaket: Parteispitze, Minister und Fraktion sind gleichermaßen zufrieden. Das war beim Klimapaket noch ganz anders. Was ist diesmal besser gelaufen als damals?

Wir haben uns in der Partei, Regierung und Fraktion sehr gut abgestimmt. Unterschiedliche Positionen konnten wir schon vorher zusammenbringen und so in den Verhandlungen mit der Union geschlossen auftreten. Das muss auch in Zukunft so sein.

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Die Kfz-Steuer soll sich künftig stärker nach den CO2-Emissionen richten, das kommt mit dem Konjunkturpaket jetzt wieder auf die Agenda. Aber sind Steuererhöhungen für Spritschlucker in der Corona-Krise die richtige Maßnahme?

Um unsere Klimaziele zu erreichen, muss der Schadstoffausstoß von Autos gesenkt werden. Ein Instrument ist, dass die Kfz-Steuer mit der Höhe des CO2-Ausstoßes stufenweise ansteigt. Das haben wir beim Klimapaket verabredet und setzen es jetzt um.

Der Gesetzentwurf aus dem Finanzministerium sieht Berichten zufolge vor, dass auch ein VW Golf 8 mit 90 PS mehr Steuern kosten wird. Ist das angemessen?

Das werden wir uns im Einzelnen anschauen. Höhere Kfz-Steuern für Spritschlucker und niedrigere Belastungen für Elektroautos sind jedenfalls richtig.

Sie selbst haben vor einigen Wochen mit dem Vorschlag Aufsehen ausgelöst, die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland zu beenden. Nicht nur die Union, auch Außenminister Heiko Maas hat Ihnen widersprochen. Gibt es da keine einheitliche Linie in der SPD?

Wir sind gemeinsam der Überzeugung, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle notwendig sind. Über die Wege dorthin diskutieren wir. Wer mir in der Vergangenheit zugehört hat, wusste, wie ich zum atomaren Rüstungswahnsinn stehe. Ich bin überzeugt, dass wir nicht nur über nukleare Teilhabe in der Nato sprechen müssen, sondern auch über die Zukunft der nuklearen Abschreckung, zumal einige Atommächte ganz offen wieder planen, Atomwaffen als Kriegswaffen in Konflikten einzusetzen.

Hat die Strategie der nuklearen Abschreckung in der Vergangenheit nicht funktioniert?

Frieden kann nur durch Abrüstung und langfristig durch einen Verzicht auf alle Massenvernichtungswaffen gesichert werden. Hinzu kommen verlässliche Abkommen, die leider auch von langjährigen Partnern immer weniger akzeptiert werden. Ich werde das auch in Zukunft ansprechen.

Heiko Maas bezweifelt, dass es auf der Welt weniger Atomwaffen gäbe, nur weil in Deutschland keine mehr lagerten. Hat er nicht recht?

Wenn die hier lagernden Atomwaffen im Rahmen einer gültigen US-Nuklearstrategie modernisiert werden sollen, dann muss man das in der Öffentlichkeit auch ansprechen und Schlussfolgerungen ziehen. Zumal die Verteidigungsministerin beabsichtigt, dafür in den USA mit einem hohen finanziellen Aufwand neue Flugzeuge zu bestellen. In Zeiten der Pandemie und deren Bekämpfung muss man diese Fragen stellen. Und es wäre ein guter Moment für Abrüstung, weil alle Staaten große Summen in die Bekämpfung der Corona-Pandemie stecken müssen. Heiko Maas ist im Übrigen ein unermüdlicher Kämpfer für Abrüstung und Rüstungskontrolle und hat das Thema auch im UN-Sicherheitsrat auf die Tagesordnung gesetzt.

Dass es ein guter Moment für Abrüstung ist, ist eine gewagte These. In Moskau und in Washington gibt es dazu doch derzeit keinerlei Bereitschaft.

Das bleibt abzuwarten. Immerhin wollen sich die USA und Russland am 22. Juni in Wien zu Abrüstungsgesprächen treffen. Und unabhängig von den Erfolgsaussichten muss man doch alles versuchen, zumal in den elementaren Überlebensfragen.

Die Bundestagswahl im Herbst 2021 rückt näher. Wie muss sich die SPD da thematisch aufstellen?

Wir bereiten gerade unser neues Wahlprogramm vor. Es wird weiter darauf ankommen, die Menschen und die Wirtschaft angesichts der Brüche und Umbrüche, die durch Digitalisierung und die Klimakrise hervorgerufen werden, zu unterstützen – und dabei Arbeitsplätze zu sichern, etwa durch Weiterbildung und den Ausbau ökologischer Mobilität. Der soziale Zusammenhalt unseres Landes ist das zentrale Thema der SPD.

Das könnte alles ähnlich auch die Union vertreten. Wie will sich die SPD abgrenzen?

Da habe ich die Union in den vergangenen Tagen aber ganz anders erlebt. Wer im Koalitionsausschuss die Abschaffung von Steuern für große Einkommen und einen Unternehmerlohn fordert, unterscheidet sich fundamental von der SPD. Und es zeigt sich auch bei der Grundrente, die von Teilen der Union trotz erzielter Einigung wieder infrage gestellt wird. Mit dem Sozialstaatspapier denken wir die Grundsicherung, den Wert der Arbeit und die Verteilungsgerechtigkeit neu. Das ist eine wichtige Grundlage für den Wahlkampf. Bei der Bewältigung der aktuellen Krise haben wir deutlich gemacht, dass es ein großer Unterschied ist, ob die SPD regiert.

Bei der Union will Angela Merkel nicht mehr antreten. Wer Kanzlerkandidat wird, ist noch nicht klar. Bei der SPD werden gerade zwei Namen genannt: der von Olaf Scholz und Ihrer. Hätten Sie Lust?

Derzeit werden viele Namen diskutiert. Dass der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion auch genannt wird, ist nicht überraschend. Wir werden über die Kanzlerkandidatur in den nächsten Monaten gemeinsam entscheiden.

Aber zutrauen würden Sie es sich schon?

Es geht nicht darum, wer wem etwas zutraut.

Sie schließen eine Kandidatur aber auch nicht aus?

Ich gehöre der SPD seit 1975 an. Meine Erfahrung seitdem ist, dass solche wichtigen Fragen zuerst intern besprochen werden müssen.

Herr Mützenich, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Rolf Mützenich in Berlin
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