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Identitätspolitik: Das Gerede über "alte weiße Männer" ist verächtlich


Identitätspolitik
Das Gerede über "alte weiße Männer" ist verächtlich

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

11.03.2021Lesedauer: 6 Min.
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AfD-Politiker Alexander Gauland sitzt im Bundestag: t-online-Kolumnistin Lamya Kaddor sieht die Verwendung des Begriffes "alter weißer Mann" für politische Gegner kritisch.Vergrößern des Bildes
AfD-Politiker Alexander Gauland sitzt im Bundestag: t-online-Kolumnistin Lamya Kaddor sieht die Verwendung des Begriffes "alter weißer Mann" für politische Gegner kritisch. (Quelle: imago-images-bilder)

Die Bezeichnung "alter weißer Mann" wird oft als Schmähung oder als gezielter politischer Racheakt genutzt. Das ist respektlos und hilft uns nicht dabei, gesellschaftliche Probleme zu lösen.

Warum ich die Bezeichnung "alte weiße Männer" in öffentlichen Diskursen nicht benutze, hat viele Gründe. Wer für andere Menschen Gleichberechtigung und Respekt einfordert, sollte diese anderen nicht verwehren. Das schwächt die eigene Position. Durch die Bezeichnung fühlen sich Menschen gekränkt, und, wenn immer möglich, sollte man auf Kränkungen verzichten.

Oft werden die Worte gezielt als Schmähung eingesetzt. Einigen, die sie benutzen, verschaffen sie Genugtuung oder sogar die Befriedigung von Rachegelüsten. Sie helfen, den eigenen Leidensdruck abzubauen. Verletzungen und Verbitterungen der Vergangenheit sollen jetzt, wo das veränderte gesellschaftliche Klima es zulässt, zu Heilungszwecken ins Gegenteil verkehrt werden. Man will es denen, die einen bisher leiden ließen, mit gleicher Münze heimzahlen. Sie sollen spüren, wie es ist, ausgegrenzt, abgewertet und von oben betrachtet zu werden. So nachvollziehbar der Wunsch erscheint: Rache hat noch selten Probleme gelöst, meist nur neues Leid erzeugt.

Schwarze Pädagogik ist kein guter Ratgeber

Andere hoffen durch die Wortwahl, die Erfahrung, selbst auf Alter, Hautfarbe oder Geschlecht reduziert zu werden, möge Erkenntnis lehren. Die Idee, jemanden nachfühlen zu lassen, wie es anderen ergeht, kann tatsächlich zielführend sein – wenn es in geschlossenen Diskursräumen geschieht, etwa in Seminaren. Öffentlich formuliert besteht vor allem die Gefahr, jene zu verprellen, die man erreichen will. Das sorgt für weitere Polarisierung, und Polarisierung ist Gift für eine Gesellschaft. Sie ruft Protest, Widerstand und Unversöhnlichkeit hervor. Die Wortwahl macht einen allzu leicht angreifbar und lenkt von den eigenen Anliegen ab.

Selbst wenn die Absicht lediglich darin besteht, Verunsicherung zu erzeugen, ist das kaum heilsam. Verunsicherung führt bei Menschen dazu, Antworten zu suchen. Je größer das Bedrohungsgefühl, das mit Verunsicherung einhergeht, bei jemandem ist, desto eher führt die Suche nicht zu guten, sondern zu vorschnellen Antworten – um die Unsicherheit so rasch wie möglich zu überwinden. Verunsicherung macht unkritisch.
Schwarze Pädagogik ist eben kein guter Ratgeber. Wer jemanden erst vor den Kopf stößt, kann mit der Person danach entweder gar nicht mehr oder nur noch schwer kommunizieren. Um nachhaltig in der Gesellschaft etwas zu bewegen, braucht es Mitstreiter – in allen sozialen Gruppen.

Persönliche Befriedigung, wenig Fortschritt

Wem allein der Gedanke an Kooperation an dieser Stelle zuwider ist, der will möglicherweise die sozialen Verhältnisse bloß umkehren: Privilegierte zu Unterprivilegierten, Mächtige zu Schwachen, Mehrheiten zu Minderheiten machen. Außer persönlicher Befriedigung bringt das wenig Fortschritt. Man dreht sich im Kreis. Wenn andere zu Leidtragenden werden, muss man später deren Rechte wieder erkämpfen.

Auch diskriminierte Menschen können diskriminieren. Das wird bisweilen vergessen. Menschen mit hellerer Hautfarbe fühlen sich Menschen mit dunklerer überlegen; ich habe es von klein auf unter vielen Syrern erlebt, wie jede Nuance des Teints dazu führt, Menschen auf- oder abzuwerten. Polen fühlen sich Vietnamesen überlegen, Russen fühlen sich Polen überlegen, Türken halten sich für kultivierter als Araber, Araber für rechtgläubiger als Iraner, Iraner für zivilisierter als Afghanen. Unter Schwulen gibt es Islamfeindlichkeit und unter Muslimen Homophobie. Beim Thema Rassismus ist niemand außen vor. Jeder kann sich falsch verhalten.

Reduzierung auf drei Eigenschaften

Gute Pädagogik lehrt, mit gutem Beispiel voranzugehen – andere abzuwerten ist nicht vorbildlich. Wie bei der Bezeichnung "deutsche Kartoffel" steckt hinter der Wortwahl ein abwertendes Moment. Sprache schafft Wirklichkeit. Das verächtliche Reden über "alte weiße Männer" kann aus Worten Taten werden lassen. Immer wieder gibt es Fälle, in denen etwa (frustrierte, ausgegrenzte) Jugendliche bei Konflikten mit Personen, die so markiert wurden, brutal zuschlagen und die Wut über ihre Marginalisierung in jeden einzelnen Faustschlag legen. Die Häufigkeit solcher Fälle wird steigen, je mehr das Feindbild genährt wird.

Ähnlichkeiten auf anderen Ebenen gibt es mit dem Meme "OK Boomer". Beides wird als Totschlag-Argument missbraucht. Wer mit den Worten belegt ist, ist raus aus der Diskussion. Weiterreden überflüssig. Doch wir sollten ebenso zuhören bei Gesprächspartnern, die weiß, männlich und älter sind. In anderen Situationen sind wir vielleicht wieder darauf angewiesen, dass sie uns zuhören.

Ein letzter Grund, warum ich die Worte nicht benutzen möchte, liegt in der irreleitenden Vereinfachung, die ihnen zugrunde liegt. Die Reduzierung auf drei Eigenschaften unterschlägt zum einen, dass der Status einer Person auch sozioökonomisch prädestiniert wird. Einige stammen aus wohlsituierten Bildungshaushalten, andere aus Unterschichten, die in den USA etwa als "white trash" verunglimpft werden. Zum anderen denken nicht alle gleich, ob reich oder arm, viele bemühen sich, das Erbe ihrer von Kolonialismus, Imperialismus und Globalisierung geprägten Dominanzgesellschaft kritisch zu betrachten und sich davon zu emanzipieren. Dieses Bemühen zu bestrafen, ist weder fair noch konstruktiv. Differenzierung tut deshalb not.

Menschen in Machtpositionen verhalten sich falsch

Und dennoch: Die oberen Etagen im Dahrendorfhäuschen sind nach wie vor weitgehend homogen. Wer heute in Deutschland die Geschicke bestimmt, sprich wer wirtschaftlich und politisch Macht hat, gesellschaftlich privilegiert und damit keinen oder nur selten strukturellen Diskriminierungen in Beruf und Alltag ausgesetzt ist, auf den treffen in der Regel viele Eigenschaften zu – aber oft auch diese: Alter Ende 40 aufwärts, Hautfarbe weiß, Geschlechtszuordnung männlich. Viele Menschen in diesen Machtpositionen verhalten sich falsch: Sie grenzen jene aus, die nicht so sind wie sie, kanzeln sie ab, und beschweren sich lautstark darüber, wenn dasselbe irgendwo mit ihnen passiert.

Nicht-weiße Deutsche brauchen das Phänomen "white privilege" (also beispielsweise das Privileg von weißen Deutschen, bei Behördengängen hierzulande nicht über die eigene Hautfarbe und Herkunft nachdenken zu müssen) bloß anzudeuten, prompt erzeugt es Unverständnis und später heißt es empört: "Man darf ja gar nichts mehr sagen!"

Ein solches dünnhäutige Verhalten beispielsweise ist und muss Gegenstand von öffentlicher Kritik sein. Diese sollte differenziert und offen formuliert werden, sie darf durchaus scharf, emotional und gelegentlich mal ausfällig sein. Nur um persönliche Beleidigungen und Schlimmeres sollten Sie einen Bogen machen. Auch bei der härtesten Kritik sollte man sich öffentlich um angemessene Worte bemühen. "Er hat den Job nur, weil er ein Mann und weiß ist!", ist eine unbequeme Tatsache, die häufig zutrifft und fast nie ausgesprochen wird.

Hass ist ein Teufelskreis

Männerbünde und Homosozialität sind schließlich weitverbreitet und wissenschaftlich belegt – und in Deutschland werden solche Männerbünde an den Schalthebeln der Macht eben von bestimmten Personen beherrscht. Sie sind unter anderem weiß und höheren Alters, aber sie sind eben keine "alten weißen Männer". Das ist mein Weg. Hass ist ein Teufelskreis, er kann nur durch Vernunft und Empathie unterbrochen werden.

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Allerdings müssen sich die privilegierten Menschen bei der Wortwahl auch nicht zutiefst gekränkt fühlen. Nicht-weiße Menschen und Frauen erleben tagtäglich viel Schlimmeres. Warnungen vor einer Radikalisierung unter ihnen, wie sie der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) derzeit äußert, schießen übers Ziel hinaus. Wenn sich BIPoC scharf, verletzend und feindselig äußern, rechtfertigt das keine Gleichstellung mit ähnlichen Attacken aus der Mehrheitsgesellschaft.

Die Mehrheitsgesellschaft hat die Strukturen, die auf sie zugeschnitten sind, im Rücken, Minderheiten nicht. Anfeindungen durch Personen, die hierzulande nicht von strukturellem Rassismus betroffen sind und sich vor dem Hintergrund homosozialer Prinzipien überwiegend in bevorzugten Positionen im Land wiederfinden, haben eine völlig andere Qualität. Jede Gleichsetzung ist an dieser Stelle falsch. Und so gibt es einfach vieles, "was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten". Da hat die Autorin Alice Hasters völlig recht.

Unsere Gesellschaft friedlich halten

Wir können unsere Gesellschaft nur gemeinsam friedlich gestalten – ohne Alarmismus, Anfeindungen, völkisches Denken, Rassismus etc. Manchen weißen Menschen höheren Alters bereiten die täglichen Veränderungen wirklich Sorgen. Das kann man nicht einfach vom Tisch wischen, nur weil sie im Allgemeinen privilegiert sind. Prämisse für Verständnis sollte jedoch die Bejahung der gesellschaftlichen Pluralität in Deutschland sein, die längst Realität und unumkehrbar ist. Denn wer bei Pegida- oder bei Björn-Höcke-Auftritten hasserfüllte Parolen mitbrüllt, für den kann ich persönlich jedenfalls nur schwerlich Empathie aufbringen.

Die derzeit privilegierten Gruppen werden ihren Einfluss niemals ganz verlieren, teilen bedeutet nicht untergehen, teilen bedeutet Gerechtigkeit zulassen. Solange das Gespenst des Faschismus umgeht – die Erfolge der Rechtspopulisten bezeugen es – solange bleibt es weniger problematisch, wenn Minderheiten in ihrer Kritik an der Mehrheit übertreiben, als wenn Mehrheiten dies in Bezug auf eine Minderheit tun.

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