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Corona-Krise in Deutschland: Kann Merkel Ausgangssperren überhaupt durchsetzen?


Gegen den Willen der Länder
Kann die Kanzlerin überall Ausgangssperren verhängen?


Aktualisiert am 29.03.2021Lesedauer: 3 Min.
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Deutschland im Frühjahr 2021: Ausgangssperren sollen das Coronavirus eindämmen helfen.Vergrößern des Bildes
Deutschland im Frühjahr 2021: Ausgangssperren sollen helfen, das Coronavirus einzudämmen . (Quelle: Marius Bulling/imago-images-bilder)

Immer mehr Menschen infizieren sich mit dem Coronavirus, nun werden sogar Ausgangssperren erwogen. Doch wer darf sie anordnen? Und nutzen sie überhaupt etwas? Der Überblick.

Die Corona-Lage in Deutschland spitzt sich immer weiter zu, die Forderungen nach neuen, effektiveren Maßnahmen werden lauter. Vor allem Ausgangssperren seitens der Bundesländer sollen zu einer Reduzierung der Infektionszahlen beitragen.

Aber wie sinnvoll wäre eine solche Maßnahme überhaupt? Und wäre Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Durchsetzung auf die Länder angewiesen? Das ist der derzeitige Stand bei dem umstrittenen Thema:

1. Wie groß ist die Ansteckungsgefahr in nicht geschlossenen Räumen?

Das Gros der Forscher ist überzeugt, dass Tröpfchen und die noch kleineren Aerosole eine entscheidende Rolle bei der Übertragung des Coronavirus spielen.

Nach dem bisherigen Forschungsstand ist das Risiko, sich mit SARS-CoV-2 anzustecken, an der frischen Luft deutlich geringer als in Innenräumen. Eine Untersuchung aus Japan ergab, dass die Wahrscheinlichkeit, das Coronavirus zu übertragen, in geschlossenen Räumen etwa 20-mal höher ist. "Wir atmen Aerosole und eventuell Viren aus – draußen in einen riesigen Luftraum im Vergleich zu einem Innenraum", sagte der Aerosolforscher Martin Kriegel im Interview mit t-online.

2. Was bringen Ausgangssperren für die Bekämpfung der Pandemie?

Ausgangssperren sind umstritten. Einige Bundesländer wie Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen machen in Regionen mit besonders hoher Sieben-Tage-Inzidenz bereits davon Gebrauch. Das Ziel: Kontakte reduzieren und die Mobilität einschränken. Doch trotz dieser Maßnahme blieb die Inzidenz vielerorts hoch.

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Klar ist: Eine Ausgangssperre hat einen gewissen Effekt auf das Infektionsgeschehen. Dass dieser nur schwer messbar ist, sehen viele Corona-Experten kritisch. "Über die Wirksamkeit dieser Maßnahme wissen wir leider praktisch nichts, vor allem da nicht ausreichend dokumentiert ist, wo sich die Menschen aktuell anstecken", sagte der Epidemiologe Markus Scholz von der Uni Leipzig t-online. Eine erste Modellstudie aus Großbritannien kam im Februar sogar zu dem Ergebnis, dass Ausgangssperren unter allen analysierten Corona-Maßnahmen den geringsten Effekt erzielten.

3. Kann der Bund ohne die Länder so harte Regeln durchsetzen?

Die Frage ist rechtlich umstritten. In der Talkshow "Anne Will" hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigt, bei weiterer Tatenlosigkeit seitens der Bundesländer über die Möglichkeit bundeseinheitlicher Lösungen nachzudenken. Auch Bayerns Regierungschef Markus Söder äußerte sich positiv dazu, dem Bund über das Infektionsschutzgesetz mehr Kompetenzen zu verleihen: "Ich bin da sehr dafür und offen."

Allerdings hat die Kanzlerin selbst eingeschränkt, dass die Länder einer entsprechenden Änderung des Infektionsschutzgesetzes zustimmen müssten. Ob die notwendige Mehrheit zustande kommen würde, ist fraglich. Ebenso ist umstritten, ob der Bundestag nicht generell die Bekämpfung der Corona-Pandemie an sich ziehen könnte, wie auch bisweilen argumentiert wird.

Der Verfassungsrechtler Christoph Möllers argumentiert, dass der Bund über den Artikel 74, Absatz 1, Nummer 19 des Grundgesetzes zu "Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren" tatsächlich die Bekämpfung der Corona-Pandemie per Bundesgesetz an sich ziehen könnte – ohne die Zustimmung der Länder zu benötigen. So könnte etwa ein Lockdown inklusive der Ausgangssperren allein vom Bund beschlossen und durchgesetzt werden.

Allerdings setzte die Bundeskanzlerin bis dato vor allem auf Konsens zwischen Bund und Ländern. Vor allem bräuchte Merkel aber im Bundestag die notwendige Mehrheit. Schwierige Debatten könnten dem vorausgehen. Bundesinnenminister Horst Seehofer macht jedenfalls Druck. "Man muss als Bundesregierung handeln", so der CSU-Politiker. "Von jeher" habe der Bund "die Gesetzgebungskompetenz auf diesem Gebiet", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" Seehofer. "Man muss nur Gebrauch davon machen."

4. Wie abhängig ist Merkel von den Ministerpräsidenten?

Zumindest politisch ist eine große Abhängigkeit vorhanden. Zu Beginn der Krise wirkte das Zusammenspiel zwischen Kanzlerin und Länderchefs noch sehr harmonisch. Doch als im letzten Frühjahr Armin Laschet bereits auf Lockerungen drängte und Markus Söder eher für einen harten Kurs plädierte, offenbarte sich das Spannungsfeld. Ab diesem Zeitpunkt war klar: Mit der Einigkeit war es vorerst vorbei. Merkel musste immer wieder ihre ganze Autorität bemühen, damit es zu Beschlüssen kam – die einzelne Landeschefs dann regional wieder brachen.

Bei der jetzigen Krisenstrategie stellt sich auch die Frage: Will die Kanzlerin wirklich den harten Bruch mit den Länderchefs, indem sie ihre Politik durchsetzt und die Zuständigkeit beim Bund bündelt? Es wäre ein gefährliches Signal, wenn sich die ausführende Gewalt des Staates zerstreiten würde. Das Vertrauen in die Politik würde wohl weiteren Schaden nehmen.

5. Kommt bald ein umfassender Lockdown mit Ausgangsbeschränkungen?

Angesichts der steigenden Infektionszahlen und sich weiter ausbreitenden Corona-Mutationen halten manche Politiker Ausgangssperren für unumgänglich. Karl Lauterbach sagte t-online, es sei noch keinem Land gelungen, die Ausbreitung der britischen Mutation ohne Ausgangssperren zu stoppen. Das wiederum wissen auch die Länderchefs.

Im Kanzleramt herrscht nach t-online-Informationen die Hoffnung, dass schärfere Maßnahmen mit einer Mehrheit der Ministerpräsidenten zu erzielen seien. Die anderen würden dann schon mitziehen, wenn der öffentliche Druck hoch genug würde. Ob es tatsächlich zum flächendeckenden Lockdown kommt, ist allerdings noch völlig offen. Die Entwicklung der Infektionszahlen in den nächsten Tagen könnte dazu beitragen, einen harten Entschluss zu fassen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Nachrichtenagentur dpa
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