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Boris Pistorius: Die Deutsche Brigade in Litauen | Projekt


Deutsche Kampfbrigade in Litauen
Das Jahrhundertprojekt

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel

Aktualisiert am 23.12.2023Lesedauer: 6 Min.
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Pistorius beim Panzerbataillon 203 im Januar: Wo kommen die Leoparden her?Vergrößern des Bildes
Pistorius beim Panzerbataillon 203 im Januar: Wo kommen die Panzer für die Litauen-Brigade her? (Quelle: Sascha Schuermann)

Eine deutsche Kampfbrigade soll im Ernstfall Litauen vor einem russischen Einmarsch verteidigen. Für Boris Pistorius ein Prestigeprojekt, doch noch fehlt es an allem: Geld, Panzern – und Soldaten.

Boris Pistorius lächelt, als er seine Unterschrift unter das Dokument setzt: Mit seinem litauischen Amtskollegen Arvydas Anusauskas besiegelt er am 18. Dezember vor laufenden Kameras ein Dokument, das in die Geschichte eingehen wird: Es ist der Fahrplan für die deutsche Litauen-Brigade, eine deutsche Kampfbrigade, die ab 2027 voll einsatzfähig und dauerhaft in dem baltischen Staat stationiert werden soll.

Pistorius' sichtlich gute Laune ist nachvollziehbar. Mit seiner Stippvisite in Vilnius hat der deutsche Verteidigungsminister sein Mammutprojekt ein entscheidendes Stück nach vorne gebracht. Viel gab es zwar noch nicht zu verkünden: Es soll ab Frühjahr 2024 ein "Vorkommando" nach Litauen verlegt werden, das aus 20 Offizieren besteht. Ab 2025 soll die Brigade in den Dienst gestellt, ab 2027 voll einsatzfähig sein.

Doch war die Symbolik der Reise mindestens genauso wichtig: Mit dem nun vereinbarten groben Zeitplan hat der deutsche Verteidigungsminister seine politische Karriere mit der Litauen-Brigade verkettet. Probleme bei der Brigade werden direkt aufs Konto des Ministers gehen. Auch rhetorisch legte Pistorius die Latte hoch und sprach von einem "Leuchtturm-Projekt der Zeitenwende".

Internationaler Druck auf Deutschland

International könnte der Druck kaum größer sein: Deutschland hat der Nato bis 2025 eine einsatzbereite Division zugesagt, die Kampfbrigade in Litauen ist Teil davon. Nicht zuletzt ist die Erwartungshaltung in Litauen gewaltig: Für den baltischen Staat mit seinen rund 15.000 Soldaten sei die deutsche Brigade "wie eine zweite Armee", so der litauische Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas.

Die großen Worte aus Berlin und Vilnius drohen bereits jetzt die Erwartungen so in die Höhe zu schrauben, dass sie kaum erfüllbar scheinen. Denn das Prestigeprojekt soll auf fast wundersame Weise gelingen – während die bekannten Strukturprobleme der Bundeswehr ungelöst bleiben. Auch sind die zentralen Fragen der Brigade ungeklärt: Wie teuer wird sie und wie wird sie finanziert? Wo kommen die Soldaten her, wo die schweren Waffen und die Ausrüstung?

Hoffnung in Litauen

Die unterschiedlichen Erwartungen in Litauen und Deutschland könnten dem Projekt in die Quere kommen. Wie weit diese auseinanderliegen, verdeutlicht eine Szene auf dem Berliner Forum für Außenpolitik im November, bei dem auch der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis zugegen war.

Auf die Frage von ARD-Moderatorin Tina Hassel, ob sich Litauen etwas mehr Tempo beim Aufstellen der Brigade wünsche, verzieht sich Landsbergis' Gesicht plötzlich zu einem verkrampften Lächeln. Der Minister stockt, scheint kurz von der Rolle und blickt gedankenverloren an die Decke. Es dauert ein paar Sekunden, bis Landsbergis weiß, was er den (vermutlich) mehrheitlich deutschen Zuhörern an dieser Stelle mitgeben will.

"Eine der wichtigsten Entscheidungen in diesem Jahrhundert"

Er sei nicht sicher, was man in Deutschland über die Brigade denke, aber für Litauen sei sie "eine der wichtigsten sicherheitspolitischen Entscheidungen in diesem Jahrhundert". Dass die Bedeutung für Deutschland offenbar deutlich geringer ist, wollte der litauische Chefdiplomat so direkt nicht sagen, aber ließ sich an seiner Reaktion ablesen.

Umfragen bestätigen das: So ergab etwa eine Befragung im "Sicherheitsreport 2023" im Februar dieses Jahres, dass zwar viele Deutsche Russland als Bedrohung sehen. Doch befürworteten nur 40 Prozent einen deutschen Militäreinsatz zur Verteidigung des Baltikums, sollte Russland dort einmarschieren. Ein gleich hoher Prozentsatz forderte hingegen, dass Deutschland sich aus so einem Konflikt heraushalten sollte. Eine Studie der Körber-Stiftung vor wenigen Wochen kam zu einem ähnlichen Ergebnis.

Ist die Zeitenwende schon zu Ende?

Von dieser mangelnden öffentlichen Rückendeckung scheint sich der deutsche Verteidigungsminister nicht beeindrucken zu lassen. Boris Pistorius führt, wenn auch vorerst vor allem mit Worten. Denn viel ist noch nicht passiert hinsichtlich der Litauen-Brigade, das meiste ist noch in der Planungsphase.

Neben den Kosten, die laut einer Quelle zunächst auf "vier bis fünf Milliarden Euro" geschätzt werden, sind das vor allem Personal und Ausrüstung. Beides existiert bisher nur auf dem Papier.

"Neuland für die Bundeswehr"

Immerhin die grobe Struktur der "Panzerbrigade 42", wie die Litauen-Brigade heißen soll, steht seit ein paar Wochen fest. Nach dem Willen des Verteidigungsministers sollen dafür zwei bestehende Kampftruppenbataillone aus Deutschland ans Baltikum verlegt werden: das Panzerbataillon 203 aus Augustdorf in NRW und das Panzergrenadierbataillon 122 aus dem bayerischen Oberviechtach. Die beiden Bataillone gelten als leistungsfähig und einsatzerfahren.

Das dritte Bataillon soll die multinationale Nato-Battlegroup sein, die bereits seit 2017 rotierend in Litauen stationiert ist. Der Kampfverband setzt sich aus mehreren europäischen Ländern zusammen, die Führungsnation Deutschland beteiligt sich mit 800 Soldaten.

Das Verteidigungsministerium plant mit einer Brigadestärke von 5.000, bestehend aus 4.800 Soldaten (Kampftruppen samt Unterstützungskräfte wie Feldjäger, Fernmelder und Sanitätsdienst) sowie 200 zivilen Kräften. Ein Teil soll in Rudninkai nahe der Hauptstadt Vilnius stationiert sein, ein anderer in Rukla. An beiden Standorten soll eine umfangreiche Infrastruktur entstehen, darunter Schulen und Kita-Plätze für die Familien der Soldaten.

Das Ministerium scheint mögliche Probleme und Verzögerungen beim Aufbau der Infrastruktur schon einzupreisen und spricht auf t-online-Anfrage in dem Zusammenhang von "Neuland für die Bundeswehr".

Bundeswehr setzt auf Freiwilligkeit – "vorerst"

Nur wo kriegt man bis 2027 die 5.000 militärischen und zivilen Kräfte her? Laut Generalinspekteur Carsten Breuer wolle man "vorerst" auf Freiwilligkeit setzen. Ob das klappt, ist fraglich. In Ministeriumskreisen sieht man die Personalfrage ohnehin als das größte Problem. Bekannt ist, dass die Bundeswehr seit Jahren mit Personalmangel und unbesetzten Dienstposten zu kämpfen hat. Nicht auszuschließen ist daher, dass am Ende einige Tausend Soldaten per Befehl ans Baltikum verlegt werden.

Doch noch setzt das Verteidigungsministerium auf bewährte Lockmittel: Mit "attraktiven Angeboten" wie Prämien will sie Soldaten zum Einsatz an der Nato-Ostflanke ködern.

Die können vor allem für Offiziere üppig ausfallen: Laut "Spiegel" soll ein alleinstehender Hauptfeldwebel etwa einen steuerfreien monatlichen Auslandszuschlag in Höhe von 2.050 Euro am Standort Rukla erhalten, ein Oberstleutnant mit Familie sogar einen Zuschlag von 3.878 Euro. Für jeden Tag Dienst in Litauen sollen zudem zwei Tage Lebensarbeitszeit verrechnet werden.

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Panzer für Litauen – oder die Ukraine?

Die andere Großbaustelle ist das Material. Experten gehen von mehreren 10.000 Rüstungsartikeln aus (Nachtsichtgeräte, Batterien, Fernsprecher, Funkgeräte etc.), die beschafft werden müssen. Schon das ist keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, wie bei der Bundeswehr selbst kleine Beschaffungsaufträge wie Unterhosen zu jahrelangen Verzögerungen führen können.

Doch der eigentliche Knackpunkt sind die schweren Waffen, also Kampfpanzer für das Panzerbataillon und Schützenpanzer für die Panzergrenadiere. Ziel der Stationierung ist die Abschreckung einer aggressiven Großmacht, entsprechend hatte Deutschland seinem baltischen Schützling "schwere Kräfte des Heeres" zugesagt. Doch wo kommen die her?

Das Heer galt schon vor dem Ukraine-Krieg als "blank". Die Zeitenwende hat aufgrund der deutschen Ukraine-Unterstützung paradoxerweise erst mal dazu geführt, dass die Bundeswehr weiter ausgeweidet wurde. Bestes Beispiel ist das Panzerbataillon 203, das den Kern der Litauen-Brigade darstellen soll. Die Einheit hatte 18 ihrer Leopard-2-Panzer an die Ukraine abgegeben. Diese wurden zwar in der verbesserten Version 2A8 nachbestellt und sollen bis 2026 ausgeliefert werden, um rechtzeitig in Litauen zu sein.

Eine "Operettenarmee" im Baltikum?

Aber wo sind die anderen? Das Bataillon 203 hat auf dem Papier 44 Kampfpanzer, abzüglich der 18 für Kiew blieben noch 26. Doch nach t-online-Informationen sind die Systeme nur teilweise einsatzfähig, viele müssen von der Industrie gewartet werden. Laut einer Antwort des Bundesverteidigungsministeriums auf eine entsprechende Anfrage von t-online könnte es sogar den Großteil der Leoparden betreffen:

Demnach erklärt eine Sprecherin, dass das Panzerbataillon 203 aktuell "mit einigen Panzern und den immer für die Ausbildung vorgesehen Simulatoren" seine grundsätzliche Befähigung sicherstelle. Mit einigen Panzer und Simulatoren? Das klingt nicht unbedingt nach den schweren Kräften des Heeres, die Litauen vor einer russischen Bedrohung schützen sollen.

"Umso wichtiger ist es, dass wir möglichst zügig nachbestellen und die Zeitenwende endlich auch in der Rüstungsproduktion umsetzen", sagt der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter t-online. Der Oberst a.D. warnt: "Deutschland darf keine Operettenarmee ins Baltikum schicken", das wäre international eine "Blamage".

"Brigade muss nicht zum Mond fliegen"

Dass die 4.800 Soldatinnen und Soldaten am Ende nicht ohne Panzer in Litauen stehen, beschäftigt auch die Regierungskoalition. "Die Brigade soll an der Nato-Ostflanke Russland abschrecken", so der FDP-Verteidigungsexperte Marcus Faber zu t-online. "Wir haben im Verteidigungsausschuss daher klargemacht, dass die Brigade die bestmögliche Ausstattung haben muss. Das erwarten wir auch von Boris Pistorius."

Faber zeigt sich jedoch zuversichtlich, dass der Minister eine Lösung findet, etwa indem er genügend Material aus anderen Truppenteilen zusammenzieht. Das Projekt sei kompliziert, aber schaffbar.

"Die Brigade muss nicht zum Mond fliegen, sondern nur nach Litauen verlegt werden", so Faber. "Daher bin ich zuversichtlich, dass wir das am Ende hinkriegen."

Verwendete Quellen
  • sicherheitsreport.net: "Sicherheitsreport 2023"
  • koerber-stiftung.de: "The Berlin Pulse 2023"
  • augengeradeaus.net: "Schwere Brigade für Litauen"
  • bmvg.de: "Litauen: Neuaufstellung einer deutschen Kampfbrigade für die Ostflanke"
  • tagesschau.de: "Die Brigade Litauen soll jederzeit einsatzbereit sein"
  • spiegel.de: "Pistorius will Soldaten mit hohen Prämien nach Litauen locken"
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