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Parteitag in Hannover: Grüne ändern für Habeck die Satzung


Entscheidung auf dem Parteitag
Für Habeck brechen die Grünen mit einem alten Prinzip

Von Jonas Schaible, Hannover

Aktualisiert am 27.01.2018Lesedauer: 4 Min.
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Robert Habeck (2.v.l): Er kann als Bundesvorsitzender kandidieren, nach seinen Wünschen.Vergrößern des Bildes
Robert Habeck (2.v.l): Er kann als Bundesvorsitzender kandidieren, nach seinen Wünschen. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Auf dem Grünen Parteitag tobt der Saal: Ein entscheidender Wahlgang muss wiederholt werden. Dann aber machen die Delegierten den Weg frei für den Star des Wochenendes.

Von der Bühne kommt die Frage: "Haben alle ihre Stimmzettel abgegeben?" Da rufen ohne zu zögern dutzende Stimmen im Chor "neiiiiin", wie eine ganze Grundschule, die gefragt wird, ob sie Angst vorm Krokodil habe. Von Herzen, laut und ein bisschen aufgeregt.

Es wird gemurmelt und gelacht und gejohlt im Kongresszentrum in Hannover, wo die Grünen ihren Bundesparteitag abhalten. Irgendetwas ist schief gelaufen. Dann tritt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ans Rednerpult und sagt: "Das können wir jetzt nur gemeinsam heilen."

Was so dramatisch klingt, heißt nur: Es waren verschiedene Stimmzettel in Umlauf, deshalb soll die aktuelle Abstimmung wiederholt werden. Dann möchte ein junger Delegierter eine Gegenrede halten und der Saal tobt; und noch mehr nur wenige Minuten später, als die Frage durch den Raum geht, ob jemand Stimmzettel 3 nicht habe.

Es ist, als sei das antiquierte Wort "Tohuwabohu" für diesen Parteitag erfunden worden.

Habeck oder nicht Habeck, das ist die Frage

All das zeigt, dass nur vordergründig über eine Formalie abgestimmt wird: darüber nämlich, ob die Grünen ihre Satzung so ändern, dass künftig jemand trotz Mandat oder Amt in den Bundesvorstand gewählt werden kann, dem das jetzt verboten ist, wenn er oder sie es innerhalb von acht Monaten niederlegt.

Es geht auch um einen Grundsatz: Nur ein Drittel des Bundesvorstands dürfen Abgeordnete sein, niemand aus dem Vorstand darf etwa Landesminister oder Fraktionschef sein. Vor 2010, vor einer Urwahlentscheidung, war gar keine Überschneidung erlaubt. Das Führungsduo Claudia Roth und Fritz Kuhn war mit dem Antrag auf Lockerung an einem Parteitag einst gescheitert.

Vor allem aber geht es um Robert Habeck. Darum, ob die Grünen ihn zu ihrem Parteichef machen wollen.

Ihn, der an diesem so wichtigen Tag, an dem alles, was er tut, gedeutet werden muss, einen Pullover trägt, der noch mehr nach Kaminfeuersofanachmittag aussieht als sonst, und der das Wort ergreift für den 8-Monats-Antrag, obwohl er gerne mehr Zeit hätte, und der sagt: "So oder so, wählen wir morgen einen coolen Bundesvorstand." Ihn also, der es schafft, so demonstrativ nicht Erwartungen zu erfüllen, dass es schon wieder nicht-demonstrativ wirkt.

"Es wäre albern, mich hinter irgendwelchen Rücken zu verstecken", sagt Habeck. Also spricht er selbst, weil es wirklich albern wäre, so zu tun, als wüssten nicht alle, dass es um ihn geht.

Nur, wenn er eine Übergangsfrist von mindestens acht Monaten bekommt, will er am Samstag antreten.

Die Debatte ist extrem leidenschaftlich

Deshalb verläuft die Debatte über drei ansonsten identische Anträge, die nur verschieden lange Fristen von drei, acht oder zwölf Monaten vorschlagen, extrem leidenschaftlich. Deshalb buht der Saal, als eine Rednerin Habeck vorwirft, die Delegierten zu erpressen, und noch lauter, als sie sagt, "da ist er wieder, der starke Mann, der seine Forderungen steht, damit wir ihn wählen“.

Dabei hat sie natürlich recht auf eine Art, aber es ist eben nicht irgendein Mann, sondern Habeck, der in seiner kurzen unprätentiösen und direkten Rede zeigt, dass er sprechen kann, dass er argumentieren kann, dass er das auch so tun kann, dass es nicht klingt wie aufgeschrieben. Der als Umweltminister und stellvertretender Ministerpräsident gezeigt hat, dass er Politik beherrscht, auch jenseits der Rede.

Und der nicht zuletzt auch lässig verkündet, wenn nicht, dann eben nicht; ob er das wirklich so meint, weiß niemand, aber er kann es glaubhaft vermitteln, was ihn von anderen starken Männern unterscheidet.

Für die Grünen geht es aber auch um Grundsätze

In vielen Gesprächen haben sich Habeck, der aller Voraussicht nach keinen männlichen Gegenkandidaten am Samstag haben wird, und Grüne aus der Parteispitze darauf verständigt, dass acht Monate ein tauglicher Kompromiss wären, um seine Projekte in Schleswig-Holstein abzuschließen und sich privat auf das neue Leben mit dem Mittelpunkt in Berlin vorzubereiten. Und die Organisatoren haben es geschafft, die Antragsteller so zu bearbeiten, dass die Anträge identisch sind, bis auf die Dauer.

Habeck: "Muffensausen" vor Terminkollisionen

Obwohl unter linken Grünen der Missmut groß ist, dass Habeck der Partei so sehr seine Bedingungen aufzwingen kann. Aber viele gehen dann doch mit, weil sie es für falsch hielten, jetzt Ärger zu machen.

Unbestritten ist dabei, dass es Probleme bringen könnte, wenn ein Parteichef in einem Land noch Ministerpflichten hat.

Habeck selbst gibt zu, dass es zu Terminüberschneidungen kommen könnte, und dass er davor "Muffensausen" habe. Aber: "Mit wenig Schlaf und keinem Alkohol geht das alles“. Und Jürgen Trittin, der alte Parteilinke, steigt für Habeck in die Bütt und argumentiert geschickt, das sei doch eine Situation, die man sich häufiger wünsche: dass erfolgreiche Regierungsgrüne sich wieder in der Partei einbrächten.

Unter den drei Varianten setzt sich entsprechend der Antrag durch, den Habeck selbst empfiehlt: acht Monate. Und dann, im zweiten Wahlgang, auf dem Stimmzettel Nummer 3, da schreiben dann 578 Delegierte: "Ja". Das sind 77 Prozent, viel mehr als die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit.

Der Antrag ist damit angenommen. Die Grünen ändern ihre Satzung. Sie brechen mit einem Prinzip. Künftig dürfen Mitglieder des Vorstands acht Monate lang ihr Amt oder Mandat behalten. Habeck wird am Samstag antreten.

Und der Saal?

Tobt.

Quellen

- eigene Recherche vor Ort
- Satzung in ihrer bisherigen Form

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