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AfD-Austritt von Jörg Meuthen: Der lange Abstieg


Meuthen tritt aus
Er bleibt sich im Abgang treu

  • Jonas Mueller-Töwe
MeinungVon Jonas Mueller-Töwe

28.01.2022Lesedauer: 4 Min.
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Zerrissenes AfD-Wahlplakat mit dem damaligen Parteichef: Er hat die Partei verlassen.Vergrößern des Bildes
Zerrissenes AfD-Wahlplakat mit dem damaligen Parteichef: Er hat die Partei verlassen. (Quelle: imago-images-bilder)

Der Machtkampf ist verloren, Jörg Meuthen aus der AfD ausgetreten. Der ehemalige Vorsitzende hinterlässt eine radikale Partei. Das machte ihm viele Jahre nichts aus – bis der Druck zu groß wurde.

Jörg Meuthen ist ein Mann, der auch noch die größte Niederlage als Sieg zu verkaufen versteht. Der sich auch traut, noch das Offensichtlichste abzustreiten. Und der sich nie zu fein gewesen ist, eben jenes gegen seine Gegner zu verwenden, was ihm selbst vorgeworfen wird. Damit war er lange genau der Richtige, eine Partei zu führen, die nach außen hin von sich ein Bild der Rechtsstaatlichkeit und Bürgerlichkeit pflegte, seit Jahren aber beides sehr frei für sich auslegte.

Jörg Meuthen bleibt sich im Abgang treu. Seine Karriere als AfD-Vorsitzender ist aber vorbei. Am Freitag trat er aus der Partei aus, weil Teile derselben "nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung" ständen – keine 48 Stunden, nachdem der Rechtsausschuss des EU-Parlaments den Weg für strafrechtliche Ermittlungen gegen Meuthen freigemacht hatte. Nicht nur seine innerparteiliche Konkurrentin Alice Weidel dürfte darin einen bemerkenswerten zeitlichen Zusammenhang erkennen.

Der Aufstieg des Wirtschaftsprofessors in der Partei begann, als der eines anderen vorbei war. Bernd Lucke hatte als Parteigründer die AfD auf Anti-Euro-Kurs gebracht und mit dem geschürten nationalistischen Ressentiment jene angezogen, die fortan den Kurs mehr und mehr bestimmen sollten. Was Lucke nicht konnte und wollte, vollbrachten in seiner Nachfolge zunächst Meuthen und seine Co-Sprecherin Frauke Petry: den Schulterschluss mit dem völkischen Lager, den fast offen Rechtsradikalen. Auch auf sie gründete sich der Machtanspruch des Duos.

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Petrys Kalkül ging fehl

Lange währte er nicht: Petry suchte die Konfrontation und landete erst im Abseits, dann in der fraktionslosen Isolation. Ihr Kalkül, dass ihr viele Moderate nach der Bundestagswahl im Parteiaustritt folgen würden, ging fehl.

Meuthen hingegen suchte nicht die Konfrontation. Er suchte lange die Nähe des "Flügels", dessen Sprecher Björn Höcke, unterstützt von Petrys Nachfolger Alexander Gauland, die Partei – so schien es zumindest – systematisch immer weiter rhetorisch nach rechts führte. Meuthen bestand derweil öffentlich darauf, dass ja schließlich das Programm die Marschrichtung vorgebe – das zumindest weniger radikal klang, als das, was aus den Ostverbänden zu vernehmen war.

Doch seine Scharnierfunktion zwischen den fast unvereinbar wirkenden Strömungen der Wirtschaftsliberalen und Völkischen in der Partei litt mit den Jahren. Es begann zu quietschen. Erst leise, dann immer lauter.

Die Partei konnte ohne Radikale nicht mehr

Denn offenbar unversehens musste sich auch Meuthen damit abfinden: Die Partei, deren Funktionärsposten und Mandate im Bundestag noch über einige Jahre mehrheitlich von weniger Radikalen besetzt wurden, konnte ohne die Radikaleren nicht mehr. Das zeigten die mal mehr, mal weniger offen geführten Konfrontationen während der Parteitage, in denen die Machtbalance stets zu kippen drohte. Das ergab gleich zwei Probleme.

Denn einerseits begann der Verfassungsschutz in Bund und Ländern langsam aber sicher das Offensichtliche festzustellen: dass die AfD zunächst in den Landesverbänden und bald auch im Bund nicht mehr viel mit ihrer Programmatik gemein haben dürfte, sondern im Gegenteil sie als Deckmantel für verfassungsfeindliche Bestrebungen nutzen könnte.

Und andererseits wurde immer deutlicher: Den wichtigeren unter den Radikalen war mit wachsendem Einfluss Meuthen stets zu sehr Scharnier und zu wenig einer von ihnen.

Meuthen erzwang Auflösung des "Flügels"

Die Erkenntnis, dass beides seiner Machtposition und seinen Plänen, die AfD zur Volkspartei zu machen, nicht gerade zuträglich sein dürfte, kam Meuthen spät, so hatte es den Anschein. Mit Reden und Ränke wusste er sich aber durchaus länger zu behaupten als seine gescheiterte Co-Sprecherin Petry. Für einen kurzen Moment schien er im Frühjahr 2020 Oberwasser gewonnen zu haben.

Er erzwang die Auflösung des völkischen "Flügels", den er so lange verteidigt hatte – sowohl unter dem Eindruck zahlreicher Austrittsdrohungen der weniger Radikalen als anscheinend auch, um die Beobachtung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz zu verhindern. Dass er dadurch innerparteiliche Gegner zurechtstutzen konnte, wird ihm nicht ungelegen gekommen sein.

Es war nicht mehr als der oft beschworene Pyrrhus-Sieg.

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Für wichtige Ausschlussverfahren fehlten Meuthen die Mehrheiten. Die Strukturen bestanden fort. Das stellte auch der Verfassungsschutz fest und setzte an – trotz aller Beteuerungen seitens Meuthens AfD-Spitze, dass damit die AfD ja nun fest auf bürgerlichem Kurs sei –, nun auch die Bundespartei in den Blick zu nehmen. Seine Machtbasis erodierte, immer mehr Mitstreiter warfen das Handtuch.

Im Herbst kündigte er schließlich an, nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren zu wollen. Ein "Rückzug" sei das aber nicht, sagte er t-online.

Meuthen war nicht völlig unbeteiligt

Doch Meuthen kämpfte seit Jahren noch an anderer Front: Seit Bestehen der AfD waren aus dubiosen Quellen verdeckt Spenden in die Partei geflossen und dadurch hatten sich versteckte Einflussnetzwerke gebildet. So jedenfalls stellte es die ehemalige Co-Vorsitzende Frauke Petry in einem Gastbeitrag für t-online dar und das legen Recherchen unter anderem von "Correctiv" nahe, das den Spendenskandal der Partei federführend aufdeckte.

Meuthen, das steht mittlerweile gerichtlich fest, war zumindest nicht völlig unbeteiligt. Auch aufgrund von dubiosen Spenden an seine persönliche Kampagne musste die Partei Hunderttausende Euro Strafe zahlen. Dass seine parteiinterne Rivalin Alice Weidel ebenfalls verwickelt war, schadete ihr nicht gleichermaßen. Sie hatte sich schließlich nicht öffentlich mit dem "Flügel" überworfen.

Für Meuthen wurde der Druck zuletzt immer größer: Im Juni berichtete t-online, dass die Generalstaatsanwaltschaft Berlin nun auch Ermittlungen gegen Meuthen prüfe. Er steht demnach im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen den ehemaligen Bundesschatzmeister. Geklärt soll werden, wer für falsche Angaben in den Rechenschaftsberichten der Partei die Verantwortung trägt.

An diesem Mittwoch dann folgte der nächste Rückschlag: Der zuständige EU-Ausschuss machte den Weg frei für ein Strafverfahren, wie t-online zuerst berichtete.

Meuthens Gegner könnten sich über diese Entwicklung durchaus gefreut haben. Das vermutet er zumindest: "Chrupalla, Weidel, Gauland, Höcke, Brandner nicht zu vergessen, die werden sich richtig freuen, dass der Meuthen nun endlich weg ist. Haben sie lange dran gearbeitet", sagte er zu seinem Austritt im Interview mit WDR, NDR und ARD, die zuerst darüber berichteten. Es klingt wie das vorläufige Ende eines langen Abstiegs. Nur sein Mandat im Europaparlament will er behalten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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