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Bundesparteitag der AfD in Sachsen: Frust, Fehler, Führungsstreit


Parteitag in Sachsen
AfD adé?

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 17.06.2022Lesedauer: 7 Min.
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AfD-BundesparteitagVergrößern des Bildes
AfD-Bundesparteitag (Quelle: dpa-bilder)

Die AfD wählt am Wochenende eine neue Spitze. Parteichef Tino Chrupalla gilt zwar als schwach, hat aber wenige ernsthafte Konkurrenten. Davon könnte eine scharfe Rhetorikerin profitieren.

"AfD adé" heißt das Bündnis, das im sächsischen Riesa gegen den Bundesparteitag der Rechtspopulisten mobil macht. Proteste soll es an diesem Wochenende unter anderem vor der Sachsenarena geben, wo 600 AfD-Delegierte zusammenkommen. Die AfD ist im Kommunalparlament stark vertreten, aber soll Riesa nicht mehr als Bühne für große Veranstaltungen nutzen – das ist das Ziel. "AfD adé" eben.

Die Partei allerdings ist auf dem Weg, den Slogan der Gegenproteste selbst in die Tat umzusetzen – und das auch noch erfolgreicher. Denn sie befindet sich in weiten Teilen des Landes auf einem Schrumpfkurs: Bei den vergangenen neun Wahlen verlor sie an Zustimmung, in Schleswig-Holstein flog sie aus dem Landtag, auch die Zahl der Mitglieder sinkt.

Selbst hochrangige Parteimitglieder spekulieren über das drohende Ende der Partei. Öffentlich.

In der AfD fürchten viele um ihre Posten; Panik und Unmut sind deswegen weit verbreitet. Der Bundesparteitag soll helfen, diesen Trend zu stoppen. Neue Inhalte sollen diskutiert, vor allem aber ein neuer Vorstand gewählt werden. Wichtigstes Amt ist dabei das des Parteivorsitzenden, in der AfD "Bundessprecher" genannt. Drei Kandidaten haben bisher ihr Interesse bekundet, auch Spontankandidaturen am Wochenende sind nicht ausgeschlossen.

Wer hat die größten Chancen, wer könnte sich überraschend noch aus der Deckung trauen? Ein Überblick.

Tino Chrupalla: Parteichef unter Beschuss

Tino Chrupallas Laune ist kurz vor dem Parteitag das Gegenteil zu der seiner Partei: blendend. Denn am Mittwoch hat die AfD vor Gericht einen Sieg errungen. Endlich wieder einmal. Noch dazu einen gegen Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, die über so viele Jahre Feindbild Nummer 1 war.

Merkel hatte die Wahl des FDP-Politikers Kemmerich zum Ministerpräsidenten in Thüringen mit Stimmen der AfD als "unverzeihlich" bezeichnet – ein Verstoß gegen ihre Pflicht zur Neutralität, urteilte das Bundesverfassungsgericht. "Vollumfänglich bestätigt" worden sei die Einschätzung der AfD, freut sich Chrupalla im Telefonat mit t-online und spricht von einem "richtungsweisenden Urteil".

Der 47-Jährige kann Siege gerade gut gebrauchen. Ob er als Parteichef wieder mit einem ordentlichen Ergebnis bestätigt wird, ist ungewiss. Innerparteilich steht er unter Beschuss. Bei den Landtagswahlen im Westen schnitt die AfD in diesem Jahr schlecht ab.

Bei der Kommunalwahl in Sachsen am vergangenen Wochenende wollte die Partei dann zeigen, dass es im Osten besser für sie läuft. Doch nicht einen einzigen der acht Landrats- und über 200 Bürgermeister-Posten konnte sie im ersten Wahlgang erringen. Ausgerechnet in Sachsen, Hochburg der AfD, Heimat von Tino Chrupalla. Für den Parteichef eine herbe, auch sehr persönliche Schlappe.

Die auch seinen Gegnern neue Argumente liefert. Seit Wochen schon machen sie Stimmung gegen ihn, werfen ihm mangelnde Führungsqualitäten sowie mangelnde Kompetenz vor. Nicht nur in internen Chats reißen sie Scherze über "Tiny Tino" – den "winzigen Tino".

Chrupalla kennt die Kritik und Frotzeleien, er bleibt gefasst in der Sache, seine Stimme aber klingt scharf und verärgert. "Eine Handvoll Querulanten" mache Stimmung gegen ihn und die Partei, so sieht er es.

Chrupalla: "Möchten Kapitel Meuthen jetzt endgültig abschließen"

Tatsächlich hat Chrupalla nach wie vor eine Front mächtiger Unterstützer – und auch die Zahl jener, die finden, dass er sich auf dem schwierigen Posten zumindest ordentlich anstrenge, ist groß. Aber reicht das?

Chrupalla war nie der charismatische Parteichef, nach dem sich viele in der AfD sehnen. Vor drei Jahren trat er den Posten in einer Doppelspitze mit Jörg Meuthen als Gegengewicht an: Auf der einen Seite der Professor aus dem Westen, der sich zumindest öffentlich gerne gegen extremistische Strömungen in der Partei stemmte; auf der anderen Seite der Malermeister aus dem Osten, der seinen Aufstieg nicht zuletzt den radikalen Netzwerken in der Partei zu verdanken hatte.

Die Doppelspitze nahm kein gutes Ende: Meuthen trat im Januar aus der Partei aus, Chrupalla ist seither alleiniger Parteichef. Das hat für ihn Vor- und Nachteile. Seine Gegner kreiden die Wahlschlappen allein ihm an, Chrupalla aber verweist auf Meuthen: Sein Fokus auf die Lagerkämpfe habe der Partei geschadet. "Wir möchten das Kapitel Meuthen auf dem Parteitag jetzt endgültig abschließen", kündigt er im Gespräch mit t-online an und verspricht "Aufbruchsstimmung". Was wohl auch bedeuten dürfte: endgültig Schluss mit dem Kampf gegen extremistische Tendenzen.

Höcke-Kandidatur ist unwahrscheinlich

Chrupalla hat nie gegen diese Tendenzen angekämpft. Im Gegenteil: Er hat sich von ihnen tragen lassen, ohne sich ihre Positionen öffentlich gemein zu machen. Konkurrenz durch den umstrittenen Thüringer Landeschef Björn Höcke braucht er auf dem Parteitag deswegen wohl nicht zu fürchten.

Zwar liebäugelte Höcke vor wenigen Wochen mit einer Kandidatur für den Bundesvorsitz, nun aber ist davon nichts mehr zu hören. Stattdessen hat er einen Antrag für die Einrichtung einer Kommission zur Neustrukturierung der AfD eingereicht – mit Unterstützung von Chrupalla. Er schiele auf den Posten als Kommissionschef, heißt es in der Partei, mit dem Ziel, die AfD im Hintergrund in seinem Sinne umzukrempeln.

Er finde es gut, wenn Höcke sich in der Kommission einbringe, sagt Chrupalla. "Es liegt nichts gegen ihn vor, man kann und sollte ihm die Mitarbeit nicht verbieten."

Doch so stark der Höcke-Flügel in der Partei auch ist: Chrupalla weiß, dass seine Unterstützung allein nicht für Mehrheiten reicht. Die Landesverbände im Westen, die mit dem Radikal-Kurs im Osten nichts weniger als ihren Untergang fürchten, haben mehr Mitglieder und damit auch mehr Delegierte. Chrupalla hat deswegen bereits vorab ein Personaltableau für einen Vorstand unter seiner Leitung vorgestellt, das viele Höcke-Freunde, aber auch etwas gemäßigtere westliche Kräfte enthält.

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Ob das genügen wird, hängt allerdings maßgeblich davon ab, wer gegen Chrupalla kandidiert.

Norbert Kleinwächter: Volle Front gegen Chrupalla

Einer seiner Gegner ist das genaue Gegenteil von Chrupalla: Norbert Kleinwächter, 36 Jahre alt, eigentlich Lehrer, redegewandt, auf Meuthen-Kurs. Es brauche einen neuen Stil in der AfD, sagt er t-online. "Wir sind Liberale und Konservative, das müssen wir auch wieder im Habitus, in der Kommunikation nach außen tragen."

Kleinwächter gilt als ausgewiesener Gegner von Chrupallas "Anything goes"-Führung. Als stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag hat er es gewagt, an einer mit Putin-PR gespickten Rede des Parteikollegen Steffen Kotré öffentlich Kritik zu üben. In der Fraktion war der Ärger groß, auch wenn einige so denken wie Kleinwächter. Die Folge: Sondersitzungen, Diskussionen über Sanktionsmaßnahmen – für Kotré wie Kleinwächter.

Der Pro-Putin-Kurs, den im Osten viele führende AfDler seit Beginn des Ukraine-Krieges vertreten, ist Kleinwächter zurzeit der größte Dorn im Auge. Sein Wahlkreis liegt zwar in Brandenburg, er ist aber durch und durch westlich sozialisiert: Er ist in Bayreuth aufgewachsen, studierte in den USA, spricht gut und gerne Englisch. Seine Veranstaltungen kündigt er gerne hochtrabend im "amerikanischen Format" an.

Kleinwächter würde sich als Vorsitzender nicht nur gegen Russland-Flirts stemmen, er will die Partei auch für die Medien öffnen. Traditionell haben besonders die radikalen Kräfte keinerlei Interesse an einer Zusammenarbeit mit Journalisten. Die sind in ihren Augen oft sogar ein Problem, das es zu bekämpfen gilt. Kleinwächter sieht das anders: Er will mehr Pressekonferenzen veranstalten, mehr Pressemitteilungen verschicken, den Kontakt zu Journalisten enger halten – in der Hoffnung, dass endlich nicht mehr nur die Skandale, sondern auch die Inhalte der AfD in den Zeitungen landen.

Parteiintern wird sein Griff nach dem Parteivorsitz von einigen allerdings eher belächelt: Große Worte, große Pläne – doch die Chancen sind gering, heißt es da. Selbst in seinem Brandenburger Landesverband wirkt er bisweilen wie ein Fremdkörper, hier dominieren die eher radikalen Freunde von Andreas Kalbitz und Björn Höcke. Kleinwächter ist deswegen nicht einmal als Delegierter für den Parteitag benannt. Er muss auf der Gästetribüne Platz nehmen.

Um ihn an die Spitze zu katapultieren, müsste wohl eine Sache eintreten, die in der AfD seit Langem nicht mehr passiert ist – und mancher Beobachter für gänzlich ausgeschlossen hält: Es müsste eine Mehrheit für einen gemäßigten Kurs geben.

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Nicolaus Fest: Ex-Journalist mit Imageproblem

Nicht viel besser stehen die Chancen für Nicolaus Fest – allerdings aus anderen Gründen. Über den aktuellen Kurs der AfD in Bezug auf Putin denkt der ehemalige "Bild"-Journalist wie Kleinwächter ("Ich halte die Nähe zu Putin für schädlich, mich verbindet nichts mit ihm"). Klar signalisiert er aber, ganz ähnlich wie Chrupalla: Man werde sich schon einigen können.

Es müsse nicht immer alles gleich "innerparteilich eine Frage von Krieg und Frieden sein", fasst es Fest im Gespräch mit t-online zusammen. Inhaltlich aber gebe es tatsächlich wenige Unterschiede zwischen den verfeindeten Lagern. "Wenn ich frage: 'Was unterscheidet euren Patriotismus von meinem?', dann haben die meisten darauf keine klare Antwort."

Fest hat sich in der Vergangenheit mit scharfen Worten gegen Migration und besonders den Islam gewendet. Auch bei den extremeren Teilen der Partei kommt das eigentlich gut an. Allerdings gilt der 59-Jährige als arrogant und unsympathisch. Dass er für die AfD im EU-Parlament sitzt, könnte ihm weitere Minuspunkte bringen: Brüssel ist in der AfD zutiefst verhasst.

Fest hat bereits lange vor dem Parteitag genetzwerkt, versammelte prominente Unterstützer hinter sich – so wie die stellvertretende Bundesvorsitzende und Berliner Abgeordnete Beatrix von Storch. Ihre Kandidatur in Fests Team galt in Parteikreisen eigentlich als sicher. Am Mittwoch aber entschied das Bundesschiedsgericht der AfD: Alle 24 Delegierten aus der Hauptstadt, darunter Fest und von Storch, dürfen auf dem Parteitag zwar kandidieren, aber nicht abstimmen.

Sie müssen wie Kleinwächter auf der Gästetribüne sitzen – weil Beatrix von Storch bei der Delegiertenwahl die Listen manipuliert haben soll. Der Berliner Landesvorstand protestierte und klagte beim Landgericht, das aber gab dem Schiedsgericht recht. Ein Fauxpas, der Fest ein bekanntes Zugpferd und nicht nur einige Stimmen aus Berlin kosten könnte.

"Alles ist möglich"

Hört man sich in der Partei um, entfallen die größten Chancen deswegen neben Chrupalla auf Alice Weidel. Die 43-Jährige leitet mit Chrupalla bereits die Fraktion im Bundestag. Die beiden gelten als eingespieltes Team: Chrupalla ist der Fleißige. Weidel ist charismatischer, prominenter, die stärkere Rednerin.

Bisher belässt sie es bei Andeutungen und Koketterien, eine Kandidatur hat sie noch nicht öffentlich erklärt. In Parteikreisen aber gilt als sicher: Wird Chrupalla gewählt, gesellt sich Weidel als Co-Sprecherin an seine Seite. Auch Alexander Gauland, einflussreicher Ehrenvorsitzender der Partei, teilte mit, dass er sich ein Führungsduo mit Weidel und Chrupalla vorstellen könne.

Weitere, spontane Kandidaturen für den Vorsitz sind auf dem Parteitag allerdings nicht ausgeschlossen. Der einzige Nenner, auf den sich Experten und Mitglieder bisher einigen können, ist: "Chrupalla ist wahrscheinlich – aber alles ist möglich." Tatsächlich könnte Chrupalla sogar alleiniger Parteichef werden: Eine Mehrheit der Delegierten in Riesa sprach sich am Freitagnachmittag für die Möglichkeit einer Einzelspitze aus.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräche mit Tino Chrupalla, Norbert Kleinwächter, Nicolaus Fest
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