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Tagesanbruch: Sanna Marin – Man muss jung sein, um große Dinge zu tun


Was heute wichtig ist
Diese Frauen wollen Großes leisten

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 11.12.2019Lesedauer: 6 Min.
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Bildungsministerin Li Andersson, Finanzministerin Katri Kulmuni, Ministerpräsidentin Sanna Marin und Innenministerin Maria Ohisalo.Vergrößern des Bildes
Bildungsministerin Li Andersson, Finanzministerin Katri Kulmuni, Ministerpräsidentin Sanna Marin und Innenministerin Maria Ohisalo. (Quelle: Lehtikuva Vesa Moilanen/Reuters-bilder)

Guten Morgen und na na na na na, liebe Leserinnen und Leser,

na na na na naaaaaa na, she's got the look! Einfache Worte, große Worte. Ein großer Song. Viele große Songs. Melodien der Jugend, wehmütige Erinnerungen, was waren wir jung, damals in den Achtzigern. Was sahen wir alles in der Roxette-Sängerin Marie Fredriksson: Coolness, Wildheit, pure Energie. Nun ist sie nicht mehr unter uns. Aber vielleicht wirbelt sie über uns weiter, droben über den Wolken, wo es keine Vergänglichkeit gibt und sie zwischen all den Gestirnen nun als ein weiterer heller Stern strahlt. Schön sieht er aus. Welch ein Look!

Nun wenden wir den Blick wieder den irdischen Gefilden und einem politischen Knaller zu:

WAS WAR?

Knaller? Genau: In Finnland ist das Amt des Premierministers neu besetzt worden. Aha, höre ich Sie murmeln, na und? Na das: Den Chefsessel im Land wird Sanna Marin einnehmen, und sie ist gerade einmal 34 Jahre alt. Damit ist sie die jüngste Regierungschefin der Welt. Nun lassen Sie bitte zum Vergleich vor Ihrem geistigen Auge eine 34-jährige Bundeskanzlerin erscheinen, die in Berlin der Republik die Richtung vorgibt. Unvorstellbar? Genau.

Premierministerin Marin führt die bestehende Koalition mit vier weiteren Parteien fort, deren Vorsitzende ebenfalls alle Frauen sind: die eine gerade mal Mitte fünfzig, die anderen 32, 32 und 34 Jahre alt. Sie sitzen zugleich auf der Regierungsbank, teilen sich dort aber nicht das Ministerium für "Familie und Gedöns", wie unser Altkanzler Gerhard Schröder sich seinerzeit auszudrücken beliebte, sondern besetzen die Ressorts des Inneren, der Justiz und der Bildung, eine der beiden 32-Jährigen gibt gerade das Wirtschaftsministerium ab und übernimmt jetzt die Finanzen. Apropos Gedöns, der geschasste Premier darf erst einmal weiterhin Vorsitzender der finnischen Sozialdemokraten bleiben (bis Frau Marin ihn beim nächsten Parteitag abräumt). Der Ex heißt Antti Rinne, ist 57 Jahre, männlich und war nur sechs Monate im Amt. Hat halt nicht so gut geklappt.

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Nun kann man in dieser Auflistung ein Muster erkennen. Und man kann die Frage schon hören, bevor sie gestellt ist: Ja, können die das denn? So jung! Und auch noch Frauen! Premierministerin mit Kleinkind! Wenden wir deshalb kurz den Blick von den Finnen ab und schauen wir nach Neuseeland. Dort regiert Jacinda Ardern, 39 Jahre, ebenfalls mit Kleinkind nach Schwangerschaft im Amt. Zu ihrer Bilanz gehört zum Beispiel die radikale Verschärfung des Waffenrechts, nachdem ein rechtsradikaler Gewalttäter in Christchurch ein Blutbad angerichtet hatte. Das Verbot von Gewehren, die zum Massenmord geeignet sind, war 28 Tage nach dem Anschlag bereits Gesetz. Anderswo – vor allem in den USA – scheitern die Politiker seit Jahrzehnten daran. Zurzeit befindet sich die Premierministerin jedoch in einem kleinen Popularitätstief: Sie liegt in Umfragen nur noch knapp 30 Prozentpunkte vor ihrem nächsten Rivalen. Genau: 30. Vor.

Aber genug von fernen Ländern. Was geht uns das an? Nun, vielleicht mehr, als wir auf den ersten Blick annehmen. Alle reden von der Krise der Volksparteien, Umfragen mies, Wahlergebnisse dito. Selbst die Dinosaurier der Parteienlandschaft haben zwar jüngere Leute zu bieten. Zum Beispiel den Kevin von der SPD und den Minister Spahn von der CDU, die sind ja noch jung und haben eine große Zukunft vor sich. Also später Mal. Denn bis sie wirklich ganz nach oben an die Spitze vorrücken dürfen, könnten die Damen in Finnland und Neuseeland längst mehrere Amtszeiten hinter sich gebracht haben. Gewiss, es hat sich auch hierzulande schon einiges geändert. Dennoch kann man gelegentlich den Eindruck bekommen, die Republik werde von alten Menschen für alte Menschen regiert.

Natürlich ist es für sich genommen keine Qualifikation, jung zu sein. Diejenigen, die dieses Argument am liebsten vorbringen, vergessen aber gern: Alt zu sein, ist es genauso wenig. Da hatte man zwar ein Leben lang Zeit, Erfahrungen zu sammeln, Kontakte zu knüpfen und Seilschaften zu bilden, das bringt einen weiter, sicher. Doch zugleich neigt man dazu, vor lauter Beschäftigung mit der Vergangenheit die Zukunft zu vergessen. So kommt es dann, dass man die Brisanz der Klimakrise, der Digitalisierung oder des weltweiten Bevölkerungswachstums übersieht. Man merkt nicht mehr, dass man sich längst eine Sprache angewöhnt hat, die vierzig Jahre Jüngeren ähnlich unverständlich wie Chinesisch vorkommt. Man lauscht zwar Vorträgen teurer Berater, die allerhand über Youtube, Tiktok und Insta-Irgendwas erzählen, aber insgeheim fragt man sich, was der ganze Quatsch eigentlich soll. Und dann kommt plötzlich so ein Typ mit blauen Haaren daher und schreddert in 55 Minuten die Glaubwürdigkeit einer ganzen Partei. Plötzlich sind da überall junge Leute auf den Straßen und fordern sofort! mehr! Klimaschutz! Man erschrickt ein bisschen und fragt sich, wann man die Worte “sofort“ und “Politik“ wohl das letzte Mal in ein und demselben Satz verwendet hat. Lange her.

Wenn wir verstehen wollen, warum CDU und SPD das Gespür für drängende Zukunftsthemen und den Anschluss an große Teile der Bevölkerung verloren haben, dürfen wir als eine von mehreren Erklärungen durchaus auch mal den Blick auf das Geburtsjahr der 65-jährigen Kanzlerin, des 61-jährigen Vizekanzlers und des 70-jährigen Innenministers wenden. Und wenn wir danach fragen, wie CDU, CSU und SPD ihre Misere überwinden können: einfach mal nach Finnland oder Neuseeland schauen. Wie heißt es so schön? "Man muss jung sein, um große Dinge zu tun." Habe nicht ich gesagt. Hat Johann Wolfgang von Goethe gesagt. Und wem sollten wir denn eher vertrauen als dem Meister aller Geister?


WAS STEHT AN?

Ursula von der Leyen stellt heute ihren “Green Deal“ vor, das wichtigste Projekt der neuen EU-Kommission. Sie will schaffen, was Merkel, Macron und die anderen Regierungschefs nicht geschafft haben: Europa schnell zu einem klimaneutralen Kontinent umbauen. Im Jahr 2050 sollen keine neuen Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen. Wissenschaftler sagen: Es muss noch schneller gehen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht Pulsnitz in Sachsen und diskutiert mit Kommunalpolitikern und Bürgern, darunter auch AfD-Vertreter. Zentrales Thema ist die Hetze gegen Kommunalpolitiker.

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht per Videokonferenz mit Bundeswehr-Soldaten und deutschen Polizisten im Auslandseinsatz.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) präsentieren einen Aktionsplan, wie international agierende Konzerne zur Wahrung von Umweltstandards und Menschenrechten verpflichtet werden sollen.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble stellt das Buch “Der Treuhand-Komplex“ des langjährigen “Spiegel“-Journalisten Norbert F. Pötzl vor. Darin zeigt der Autor, dass sich das beliebte Vorurteil, die Treuhand habe DDR-Betriebe allerorten vorsätzlich abgewirtschaftet, nicht mit den Tatsachen deckt.

Auf der UN-Klimakonferenz in Madrid hält Greta Thunberg eine Rede. Ihre letzte Ansprache vor der UN-Vollversammlung in New York hatte weltweit für Aufsehen gesorgt.

In Leipzig verhandelt das Bundesverwaltungsgericht über die Herausgabe der Verfassungsschutz-Akte des NS-Kriegsverbrechers Alois Brunner. Bekommt der klagende Journalist das Recht, die Akte einzusehen, erfährt die Welt vielleicht endlich, wie der österreichische Nazi mithilfe brauner Netzwerke nach Syrien fliehen konnte und dort den Foltergeheimdienst des Assad-Clans aufzubauen half.


GRAFIK DES TAGES

Deutschland hat besonders großen Nachholbedarf beim Klimaschutz? Ja, ist so.


WAS LESEN?

Boris Johnson liegt in allen Umfragen zu den britischen Parlamentswahlen klar vorn. Trotzdem kann er sich seines Sieges nicht sicher sein. Drei Faktoren machen den Wahlausgang heikel, berichtet unser Brexit-Experte Stefan Rook aus London.


Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat mit großem Tamtam seinen Plan für eine Finanztransaktionssteuer vorgelegt. Klingt gut, ist aber schlecht gemacht, urteilt unsere Wirtschaftsexpertin Ursula Weidenfeld.


Verschwiegen, übertrieben, Geld verprasst: Ein Bericht enthüllt, wie die US-Regierungen den Krieg in Afghanistan schönfärben. Unser Amerika-Korrespondent Fabian Reinbold hat die Details.


WAS AMÜSIERT MICH?

Auf der Klimakonferenz in Madrid kann sich die Bundesregierung ein Zeugnis für ihre Politik abholen.

Bleiben Sie bitte trotzdem gut gelaunt. Im Zweifelsfall hilft ein Gläschen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Und dazu noch mal in voller Lautstärke The Look! In diesem Sinne wohl bekomm’s.




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