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Neue Energiediplomatie: Hatten die Grünen schon immer recht?


Tagesanbruch
Hatten die Grünen schon immer recht?

MeinungVon Sebastian Späth

Aktualisiert am 26.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in den Vereinigten Arabischen Emiraten.Vergrößern des Bildes
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in den Vereinigten Arabischen Emiraten. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist bekannt, dass er sein Müsli schon mal mit Wasser statt mit Milch verspeist. Etwa dann, wenn die Zeiten für ihn so stressig sind wie während der Koalitionsverhandlungen im vergangenen Jahr. "Seit zehn Tagen habe ich nicht mehr abgewaschen", klagte Habeck damals. "Der Müll ist nicht rausgebracht. Die Milch ist alle. Heute Morgen habe ich Müsli mit Wasser gegessen, ohne Scheiß." Er hat es hingenommen. Ging halt nicht anders.

Deutlich wichtiger als die Kulinarik ist dem Vizekanzler hingegen sein mediales Bild, das darf als gesichert gelten. Habeck gilt nicht nur als telegen, er beherrscht auch die Kunst der Selbstinszenierung so gut wie kaum ein anderer Politiker. Ein ARD-Film, der sich Ende vergangenen Jahres dem Menschen hinter dem Politiker Robert Habeck näherte und aus dem die Müsli-Szene stammt, stellte den Wahlkämpfer als Person dar, die ständig nach dem besten Fotohintergrund für ihre Beiträge auf Instagram und Co. sucht. Habeck kümmert sich nicht nur leidenschaftlich um politische Inhalte. Er kümmert sich ebenso leidenschaftlich um deren Verpackung. Und das macht er ziemlich geschickt.

Auch an den neuesten Reisefotos des Vizekanzlers gibt es handwerklich und gestalterisch nichts auszusetzen. Inhaltlich sorgen die Bilder jedoch seit ihrer Veröffentlichung vor wenigen Tagen für reichlich Spott: Sie zeigen den Bundeswirtschaftsminister in Katar und den Arabischen Emiraten, wie er Scheichs in weißen Gewändern huldigt, um ihnen Gaslieferungen und Wasserstoffverträge abzutrotzen. Schließlich will Deutschland nach Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine schnellstmöglich unabhängig von Russland werden.

"Symbolbilder für die neue Zeit, in der wir uns befinden", nennt mein Kollege Fabian Reinbold diese Fotos im Gespräch mit Florian Harms und mir in unserem heutigen Podcast, den ich Ihnen sehr ans Herz lege. Wir gehen darin der Frage nach, welche gewaltigen Folgen der Ukraine-Krieg für Deutschland hat:

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Die neue Energiediplomatie ist brisant. Auch deshalb, weil Habeck am Freitag verkündete, dass Deutschland bereits zum Jahresende weitgehend unabhängig von russischem Öl sein soll. Auch beim Gas und bei der Kohle soll es schneller gehen als gedacht.

Das wirft eine Frage auf: Wenn wir nun statt mit Russland Deals mit den Scheichs machen, tauschen wir dann Pest gegen Cholera? Sind die Diktatoren am Arabischen Golf bessere Geschäftspartner als der Diktator im Kreml? Also die Leute, die Frauen und religiöse Minderheiten unterdrücken, Gastarbeiter ausbeuten und sich an einem bestialischen Krieg im Jemen beteiligen?

Zwar ist Robert Habeck nicht der Politiker-Typus, dem man rundheraus schmutzige Deals zutraut. Doch die Verträge, die er jetzt ausgehandelt hat, erinnern doch sehr an das Motiv aus einem Mafiafilm: Um sich aus der Abhängigkeit eines Clans zu lösen, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich in die Protektion eines anderen, womöglich noch skrupelloseren Clans zu begeben. Sonst ist man nämlich schutzlos, was, auf die aktuelle Situation Deutschlands übertragen, heißt: Man bekommt keine fossilen Brennstoffe, die man zumindest noch so lange braucht, bis all die viel beschworenen Windräder, Solaranlagen, Wasserstoffanlagen und intelligenten Stromnetze da sind.

Es ist schon bemerkenswert: Ausgerechnet der Vizekanzler jener Partei, die eine menschenrechtsorientiertere und feministische Außenpolitik angekündigt hat, tütet nun eilfertig Deals mit Despoten ein, die systematisch Menschenrechte verletzen. Und tauscht obendrein die einen fossilen Brennstoffe gegen die anderen.

Dementsprechend groß ist die Schadenfreude beim politischen Gegner. Mancher sieht sich schon in seinem Urteil bestätigt: Wenn grüne Programmatik auf konkretes Regierungshandeln prallt, dann bleibe halt nicht viel übrig von der ach so nachhaltigen Klimapolitik. Das kann man so sehen.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch dies: Die Vorgängerregierungen der Ampelkoalition haben ihre Energiepolitik viel zu lange auf Gas, Öl und Kohle aus Russland ausgerichtet. Es war eben billig und bequem. Sie rückten selbst dann nicht davon ab, als Putin vor acht Jahren die Krim an sich riss. Auch wegen der Fehler der Regierungen von Gerhard Schröder und Angela Merkel steckt die Ampelkoalition jetzt im Dilemma. Und eine kurzfristige Lösung, die zugleich nachhaltig ist, gibt es leider nicht. Windräder und Solaranlagen lassen sich nicht tausendfach im Hauruckverfahren errichten. Das ist nicht die Schuld der Grünen.

Im Gegenteil: Sie waren es, die den richtigen Riecher hatten und seit Jahren vor Putins Ambitionen warnten. Robert Habeck ging sogar noch weiter und brachte bereits bei seinem Besuch in Mariupol im vergangenen Jahr Waffenlieferungen für die Ukraine ins Spiel. Sein Argument schon damals: Kiew verteidige "die Sicherheit Europas".

Auch von seiner Arabien-Reise ist ein bemerkenswertes Zitat überliefert. Man musste nur etwas genauer hinhören, denn er verpackte es in einem Nebensatz: Er habe vor Ort erfahren, wie viele Staaten Flüssiggas von Katar kaufen wollen, berichtete Habeck. Deshalb gehe von seiner Reise auch der klare politische Auftrag aus, künftig sparsamer mit Energie umzugehen.

Konkret bedeutet das: Mehr Effizienz bei der Energieversorgung wird nicht reichen, ohne Einschränkung wird es nicht gehen. Und noch konkreter: Alle Bürger – also auch Sie und ich – müssen ihr Leben ändern. Wir können nicht weiter so verschwenderisch mit unseren Ressourcen umgehen wie bisher. Der Mut, diese Wahrheit zumindest vorsichtig anzudeuten, ist Robert Habeck hoch anzurechnen. Aber jetzt braucht es in der gesamten politischen Führung viel mehr von dieser Aufrichtigkeit.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Am Montag kommentiert Miriam Hollstein den Ausgang der Landtagswahl im Saarland, ab Dienstag schreibt Florian Harms dann wieder die Tagesanbrüche.

Herzliche Grüße

Ihr

Sebastian Späth
Politischer Reporter im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @sebastianspaeth

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Mit Material von dpa.

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