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HomePolitikKolumne - Christoph Schwennicke

FDP-Politiker und Ex-Pornostar: Berichterstattung fernab vom Wesentlichen?


Politik und Belanglosigkeiten
Nein, also wirklich. Da müssen wir was machen!

MeinungVon Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 09.01.2023Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Annina Semmelhaack und Hagen Reinhold beim ersten gemeinsamen WeihnachtsfestVergrößern des Bildes
FDP-Abgeordneter liebt Ex-Pornostar: Annina Semmelhaack und Hagen Reinhold beim ersten gemeinsamen Weihnachtsfest (Quelle: Instagram @annina.semmelhaack)

Politiker trennen sich wegen ehemaliger Porno-Sternchen. Andere produzieren schlechte Silvestervideos. Sie landen damit in den Schlagzeilen – müssen wir darüber wirklich reden?

Das Plakat, das da neuerdings an den Straßenlaternen Berlins hängt, ignoriert fast jede Regel des Marketings. Und erfüllt zugleich die wichtigste: Falle auf. Hebe dich ab. Sei einzigartig. "Unique" nennt sich das, wenn es fachmännisch klingen soll.

Mit dem Auto ist man viel zu schnell dran vorbeigefahren, kein digital geschöntes Gesicht lächelt dem Passanten, der Passantin entgegen. Keine im Windkanal der Zielgruppen getestete Kurzformel sticht ins Auge. Stattdessen ein weitgehend weißes Blatt Papier. Darauf der Satz: "Es gibt wichtigere Dinge als das Design eines Plakats."

Punkt. Leerzeile.

"Gute Politik zum Beispiel."

Dieses Plakat der Newcomer-Partei Volt aus dem Berliner Wahlkampf hat mich beim Vorbeiradeln sofort gehabt. Auch oder vielleicht gerade als langjähriger Blattmacher eines recht ästhetischen und neben Inhalt auf Optik Wert legenden Politikmagazins bin ich es leid, dass die Form immer mehr über den Inhalt siegt. Als ich vom Chefredakteur zum Mit-Verleger und Eigentümer von "Cicero" mutierte, gab mir ein wohlmeinender Bekannter und erfolgreicher Geschäftsführer einer Süßwarenmarke drei Ratschläge mit auf den Weg ins Unternehmertum. Der wichtigste lautete: "Marke kommt vor Marketing". Das sollte sagen: Ohne guten Inhalt ist alle Marketingverpackung nichts. Und der Mann verstand was vom Marketing. Er hatte vor seinem Job die lila Kuh und den coolen Alm-Öhi für eine große Schokoladenfirma maßgeblich mit ausgeheckt.

Kolumnist Christoph Schwennicke
Kolumnist Christoph Schwennicke (Quelle: Antje Berghäuser)

Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".

Bei Süßkram und Autos lasse ich da noch fünfe gerade sein. Aber vollends enervierend ist die Herrschaft des wohltönenden Nichts im politischen Marketing. Und, das gehört leider zur Wahrheit dazu: die Lust an der Oberflächlichkeit bei der politischen Beobachtung und Berichterstattung.

Sich an Oberflächen abzuarbeiten, erleichtert die Arbeit ungemein. Und wird in einer Welt des Twitterismus und der Dauererregung wohl auch durch Aufmerksamkeit belohnt. Schade ist das. Kurzfristig womöglich hilfreich, aber langfristig ganz sicher schädlich. Für die Medienmarke ebenso wie – und das ist wichtiger – für den gesellschaftlichen Diskurs.

Zuletzt haben sich alle oder sehr viele an einem tatsächlich furchtbar missratenen Silvester-Video der Bundesverteidigungsministerin abgearbeitet. Und weil Christine Lambrecht auch schon mal in Stöckelschuhen bei Truppenbesuch im Schlamm unterwegs war und auch sonst im Auftritt oft linkisch wirkt, schrieben sich die Kommentare wie von selbst. In ihnen hallte oftmals noch das Echo der Redaktionskonferenz nach. Hast Du das gesehen? Nein, also wirklich. Da MÜSSEN wir was machen!

Keine falschen Schlüsse bitte. Frau Lambrecht lässt Trittsicherheit vermissen, völlig klar. Aber viel wichtiger, als ihrem Video mit windzerzaustem Haar vor Silvesterböllern eine Rezension zu widmen, wäre, Ihre Kernleistungen als Fachministerin unter die Lupe zu nehmen. Oder, wie es der Kollege Gerhard Spörl vergangene Woche kundig und mit jahrzehntelangem Überblick getan hat, der Frage nachzugehen, warum Verteidigungsminister in Deutschland so oft Not- oder Fehlbesetzungen sind. Obwohl es sich um eine der wichtigsten Positionen im Kabinett handelt.

Nächster Fall. Irgendwo im Norden des Landes hat sich eine FDP-Politikerin in einen Parteikollegen verliebt, oder besser die beiden ineinander. Der Mann hat seine Frau dafür verlassen. So weit, so konventionell. Aber Schärfe kommt an die Geschichte, weil die FDP-Politikerin eine Vergangenheit als Pornodarstellerin hat. Politik mit Porno, das ist wie Nitro und Glycerin. Also wird diese Affäre oder Beziehung nicht nur auf dem Boulevard geradezu pornografisch ausgeschlachtet. Bis hin zu einem Interview der Politikerin, das flächendeckend Schlagzeilen macht, weil sie dort gesagt hat, dass sie die Porno-Drehs seinerzeit "intellektuell unterfordert" hätten.

Sag bloß.

Es gibt die sogenannte Mann-beißt-Hund-Formel. Die besagt, dass journalistisch das Ungewöhnliche interessant sei. Also: Uninteressant ist, wenn ein Hund einen Mann beißt. Interessant und berichtenswert ist dagegen, wenn ein Mann einen Hund beißt.

Was bitte ist interessant an der Nachricht, dass Darsteller und Darstellerinnen in einem Porno weder ein Oscar-reifes Drehbuch in Szene setzen noch schauspielern wie Helen Mirren oder Jack Nicholson?

Die Lust am Oberflächlichen, den Twitter-Reflexen nachzugeben, ist zutiefst menschlich. Jeder kennt das. Der Griff zu den bunten Blättern beim Friseur, oder wenn jemand in der Bahn die "Gala" hat liegen lassen. Aber diesem Reflex sollte im politischen Raum öfter widerstanden werden, als das derzeit der Fall ist. Es mag etwas onkelig wirken, meinetwegen. Aber der Barockdichter Angelus Silesius hatte vor fast 400 Jahren schon einen Punkt, als er den epocheprägenden Vanitas-Gedanken als Stoßseufzer in Verse goss: "Mensch", schrieb er, "werde wesentlich, denn wenn die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht."

Nach der Rückblende ins 17. Jahrhundert eine letzte aktuelle Meldung, abermals aus dem Berliner Wahlkampf. Die CDU hat irgendwo ein riesiges Plakat mit Armin Laschet geklebt. Das ist natürlich genauso dämlich wie dessen öffentliches Lachen seinerzeit an unpassender Stelle. Aber am Ende ist dieser falsche Aufsteller, mehr noch als das Lachen, das Laschet die Kanzlerschaft kostete, zuvorderst eines: vollkommen wurschtegal.

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